Taliban inhaftieren dutzende Frauen und Mädchen

Afghanische Frau auf der Straße
Um keine Konflikte mit der Scharia zu riskieren, empfehlen die Taliban, Frauen zu Hause einzusperren. (Quelle: IMAGO / Kyodo News)

Seit Anfang des Jahres haben die Taliban in der afghanischen Hauptstadt Kabul offensichtlich großangelegte Verhaftungsaktionen von Frauen und Mädchen durchgeführt. Aktivistinnen und Zeugen berichten, dabei seien Frauen und Mädchen auf den Straßen, in Geschäften, in Lernkursen oder auf Märkten gruppenweise verhaftet und mindestens in einigen Fällen geschlagen worden. Ihnen werde vorgeworfen, gegen die strenge Kleiderordnung verstoßen zu haben.

Bekannt wurde das Vorgehen, weil entsprechende Videos und Fotos in den Sozialen Medien aufgetaucht sind. Sie zeigen beispielsweise, wie Frauen in Kabul auf Pick-Up-Trucks verladen wurden.

Ein Sprecher der Taliban bestätigte am Montag gegenüber dem US-Sender CBS News, dass dutzende Frauen und Mädchen letzte Woche in Kabul kurzzeitig festgenommen wurden. Die Festnahmen sollen über mehrere Tage verteilt stattgefunden haben. Bislang ist nicht klar, wie viele Frauen verhaftet wurden. Regierungsangaben zufolge sollen alle Frauen nach mehreren Stunden entweder gegen Kaution freigelassen oder den Justizbehörden zur weiteren Untersuchung übergeben worden sein.

Brutales Vorgehen

Eine 16-Jährige berichtete gegenüber The Guardian von spontanen Verhaftungen und Misshandlungen: Taliban hätten sie zusammen mit anderen Mädchen während des privaten Englischunterrichts festgenommen und in Polizeifahrzeuge gezerrt. Mädchen, die Widerstand leisteten, seien geschlagen worden. Auch hätten die Taliban den Vater des Mädchens später aufgesucht und geschlagen, weil sie ihm vorwarfen, seine Tochter “unmoralisch” erzogen zu haben.

Ihrer eigenen Aussage nach hatte sich das Mädchen vorschriftskonform gekleidet. Die Taliban hätten sie erst nach zwei Tagen in Haft freigelassen und erst, nachdem Gemeindeälteste interveniert hätten. Sie sei als Ungläubige beschimpft worden, weil sie Englisch lernen und ins Ausland gehen wolle. Die Teilnahme am Englischunterricht wurde ihr nach der Freilassung untersagt.

“Ich habe gesehen, wie schlimm mein Vater geschlagen wurde, weil ich den Kurs besuchte. Als ich nach meiner Rückkehr Fotos von ihm sah, hatte ich große Angst, dass ich ihn verlieren würde”, sagte das Mädchen gegenüber The Guardian. Nach dem Vorfall fehle ihr die Motivation zum Lernen. “Ich möchte diese Erfahrung nicht noch einmal machen.”

Die Nachrichtenagentur Afghanistan International veröffentlichte ein Interview mit einem weiteren Mädchen, wie CBS berichtete. Es erzählt darin unter Tränen von der Festnahme ihrer Schwester durch die Taliban. Sie hätten das Mädchen mitgenommen, als die Geschwister aus der Koranschule in Kabul zurückkehrten. Die Mädchen hätten Hidschab getragen und den Koran in den Händen gehalten.

Eine Familie, die mit CBS News sprach, konnte eine junge Frau erst aus dem Gefängnis abholen, nachdem sie umgerechnet 2200 US-Dollar an die Taliban gezahlt und ihren Pass abgegeben hatte. Die Beamten hätten sie außerdem dazu gezwungen, ihre Hausbesitzurkunden auszuhändigen. Vater und Bruder der Frau mussten schriftlich versichern, dass die Frau künftig nicht ohne männliche Begleitung und Hidschab auf die Straße gehen wird.

Einschüchterung ist das Ziel

Die afghanische Frauenrechtsaktivistin Farida Mohib war selbst Zeugin von Verhaftungen in Kabul und sprach von einem “exzessivem Ausmaß” gegenüber der britischen Zeitung The Independent. Ihrer Ansicht nach dienen die Repressalien dazu, die letzten Proteste gegen das Bildungsverbot für Frauen und Mädchen zu zerschlagen.

Laut Mohib werden öffentliche Proteste unter den Taliban immer seltener, sie würden mit “brutaler Gewalt” bekämpft. So habe es in Kabul in letzter Zeit gar keine Straßenproteste mehr gegeben, weil Demonstrierende befürchten, festgenommen oder direkt erschossen zu werden.

Bekleidungsvorschriften

Seit Mai 2022 schreibt ein Dekret der Taliban allen Frauen in dem Land vor, in der Öffentlichkeit Gesicht und Körper zu verdecken. Taliban-Chef Hibatullah Achundsada empfahl damals das Tragen der Ganzkörperbedeckung, “da dies traditionell und respektvoll ist”. Die beste Art der Bedeckung sei die Burka, diese verdeckt auch die Augen.

Wie unter anderem The Guardian berichtet, betreffen Regelverstöße gegen die Kleidervorschriften auch die Familien der Frauen. Denn werden Frauen beim Brechen der Regeln ertappt, werde ihr männlicher Vormund mit einer Geldstrafe oder Gefängnisstrafe belegt.

Heather Barr, stellvertretende Direktorin für Frauenrechte bei Human Rights Watch, bezeichnete diesen Teil der Vorschrift gegenüber The Guardian als besonders beunruhigend. “[…] denn sie bedeutet, dass Frauen nicht einmal selbst entscheiden können, welche Risiken sie eingehen”, so Barr.

Lebenslang Hausarrest

Die Taliban empfehlen Frauen im Dekret auch, ihr Heim nach Möglichkeit gar nicht mehr verlassen – das sei die “die beste Option”, um die Regeln der Scharia einzuhalten. Auch ist es Frauen in Afghanistan kaum noch erlaubt, Berufe auszuüben oder sich zu bilden: Mädchen dürfen nur noch bis zum Alter von zwölf Jahren die Schule besuchen, häufig wird auch dies nicht ermöglicht. Seit Ende 2022 dürfen Frauen nicht mehr an Hochschulen studieren, 2023 hatten die Taliban Frauen die Ausübung der meisten Berufe verboten. Auch dürfen Sie weder Sport ausüben, noch Parks besuchen oder ohne männliche Begleitung reisen.

Anfang Juli 2023 hatten die Taliban alle Kosmetiksalons des Landes schließen lassen und damit Frauen eine der letzten Möglichkeiten entzogen, legal Geld zu verdienen. Auch hatten die Salons Frauen als sichere Orte gedient, an denen sie sich treffen und austauschen konnten.

Nach Einschätzung von UN-Experten haben Frauen in kaum einem anderen Land so wenige Rechte und Freiheiten wie im talibankontrollierten Afghanistan. Nach dem Abzug der westlichen Militärs im August 2021 hätten die Taliban 20 Jahre des Fortschritts bei den Frauenrechten in kürzester Zeit zunichte gemacht. (hcz)