Britische Polizei durchsucht Passdatenbank mit Gesichtserkennung
Polizeibehörden in Großbritannien haben Fotos aus der nationalen Passdatenbank mittels Gesichtserkennung abgeglichen. Das zeigt eine gemeinsame Recherche der Tageszeitung The Telegraph und der Menschenrechtsorganisation Liberty. Kritiker bemängeln, es gebe keine Rechtsgrundlage für den Einsatz von Gesichtserkennung.
Wie Liberty und Telegraph berichten, haben die Behörden in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 mehr als 300 Mal die britische Passdatenbank mithilfe von Gesichtserkennung durchsucht. Die Journalisten berufen sich dabei auf Daten des Innenministeriums, die als Antwort auf Informationsfreiheitsanfragen veröffentlicht wurden.
Dem Bericht zufolge befinden sich in der Datenbank die Fotos von gut 46 Millionen britischen Passinhabern. Die Polizei habe mithilfe von Gesichtserkennungssoftware in einigen Fällen außerdem eine Datenbank durchsucht, in der Informationen über ausländische Staatsangehörige in Großbritannien gespeichert sind.
Behörden gleichen Fotos offenbar seit 2019 ab
Der für die britische Polizei zuständige Minister, Chris Philp, hatte erst im Oktober 2023 angekündigt, die Fotos aus der Passdatenbank sollten künftig verwendet werden, um mittels Gesichtserkennung Verdächtige bei Einbrüchen und Diebstählen zu identifizieren. Dieser Vorstoß hatte für Kritik von Bürgerrechtlern und dem britischen Beauftragten für Biometrie und Überwachungskameras gesorgt.
Laut dem Bericht von Liberty und dem Telegraph durchsucht die britische Polizei die Passdatenbank jedoch bereits mindestens seit dem Jahr 2019 – “heimlich”, wie es heißt. Die meisten Abfragen habe es im Jahr 2023 gegeben.
Das Innenministerium erklärte gegenüber den Journalisten, die Datenbank würde derzeit nur bei schweren Straftaten verwendet.
Für die meisten Abfragen im Jahr 2023 war laut Bericht die Londoner Polizei verantwortlich. Ein Sprecher bestätigte gegenüber den Journalisten, dass Gesichtserkennung im Rahmen von Ermittlungen eingesetzt wird.
Kritik an fehlender Rechtsgrundlage
Doch es gibt deutliche Kritik an dem Vorgehen der Polizei: Der konservative Parlamentsabgeordnete David Davis konstatierte gegenüber den Journalisten beispielsweise, es gebe “keine explizite Rechtsgrundlage” für den Einsatz von Gesichtserkennung in Großbritannien. Er kritisierte außerdem, die Daten in der britischen Passdatenbank seien nicht “für diese Zwecke” bereitgestellt worden.
Auch Tony Porter, früherer Beauftragter der Regierung für Überwachungskameras, bezeichnete es als “problematisch”, dass die Daten von Passinhabern ohne ihre Kenntnis oder Zustimmung von der Polizei für Gesichtserkennung verwendet werden. Er fügte hinzu, die Regierung sollte erklären, inwiefern das Vorgehen legitim ist. Andernfalls riskiere sie, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu verlieren.
Ein Sprecher der britischen Datenschutzbehörde erklärte, die Behörde werde das Ergebnis der Recherchen gegenüber dem Innenministerium ansprechen.
“Höchst bedenklich”
Kritik kommt auch von Bürger- und Menschenrechtlern. So bezeichnete Oliver Feeley-Sprague von der britischen Sektion von Amnesty International es als “zutiefst alarmierend”, dass die Behörden die Passdatenbank auf diese Weise nutzen. Gesichtserkennung verletze das Recht auf Privatsphäre und bedrohe weitere Menschenrechte, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Versammlungsfreiheit und das Recht auf Nichtdiskriminierung. “Wir müssen uns dagegen wehren, dass diese Systeme und ihre gefährlichen Auswirkungen heimlich Teil des täglichen Lebens werden”, so Feeley-Sprague.
Und auch Madeleine Stone von der Bürgerrechtsorganisation Big Brother Watch kritisierte, es sei “höchst bedenklich”, dass Polizeikräfte heimlich die Gesichter von Millionen Passinhabern mit Gesichtserkennungstechnologie scannen. “Es gibt keine eindeutige Rechtsgrundlage für diese in die Privatsphäre eindringende Technologie, und dennoch versucht der Polizeiminister nun, ihren Einsatz für geringfügige Straftaten auszuweiten, anstatt sie einzuschränken”, so Stone.
Die Organisation kritisiert den Einsatz durch die Polizei bereits seit langem, unter anderem aufgrund der fehlenden Rechtsgrundlage. Die Organisation sieht zudem insbesondere in Echtzeit-Gesichtserkennung ein “dystopisches Instrument zur Massenüberwachung”.
Verstärkter Einsatz der Technologie
Dem Bericht von Liberty und Telegraph zufolge hat der Einsatz von Gesichtserkennung in Großbritannien in den vergangenen Jahren stark zugenommen. So würden Polizeidienststellen bereits Tausende Abfragen pro Jahr in der nationalen Polizeidatenbank durchführen. Darin seien rund 16 Millionen Bilder von Personen gespeichert, die in der Vergangenheit festgenommen wurden. Dabei können in der Datenbank mehrere Fotos einer Person vorhanden sein. Laut Bericht sind auch Hunderttausende Fotos von Menschen gespeichert, die freigesprochen oder nie angeklagt wurden.
Der britische Polizeiminister will den Einsatz der Technik ausweiten. Für deutliche Kritik hatte beispielsweise eine im Oktober 2023 geschlossene Kooperation zwischen britischen Einzelhändlern und dem Innenministerium gesorgt. Demnach soll die Polizei bei ihren Ermittlungen zu Ladendiebstählen künftig Gesichtserkennungstechnik einsetzen. Dafür sollen die Einzelhändler Aufnahmen von Überwachungskameras an die Behörde übermitteln. Finanziert wird das Vorhaben größtenteils von den Handelsunternehmen.
Minister Philp hatte die Polizei Ende Oktober außerdem angewiesen, bis Mai 2024 die Zahl der Suchen mit nachträglicher Gesichtserkennung zu verdoppeln. Aber auch Live-Gesichtserkennung solle in größerem Umfang eingesetzt werden.
Und die britische Zeitung The Guardian hatte Ende Dezember über eine geplante Gesetzesänderung berichtet, die der Polizei künftig erlauben würde, mithilfe von Gesichtserkennung auch die nationale Führerscheindatenbank mit rund 50 Millionen Einträgen zu durchsuchen.
Professor Pete Fussey von der Universität Essex hatte gegenüber dem Guardian gesagt: “Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Überwachung durch Gesichtserkennung ohne klare Grenzen und ohne unabhängige Aufsicht ausgeweitet wird.” Die Tatsache, dass die Polizei die Technologie für nützlich halte, sei keine ausreichende Rechtfertigung, um den Schutz von Menschenrechten außer Kraft zu setzen.
Fussey hatte die Londoner Polizei bei Probeeinsätzen ihrer Live-Gesichtserkennung begleitet und im Jahr 2019 einen unabhängigen Bericht veröffentlicht. Darin wurde kritisiert, das System habe nur in 19 Prozent aller Fälle Personen korrekt identifiziert. Die Wissenschaftler hatten zudem bereits damals darauf hingewiesen, dass es keine Rechtsgrundlage für den Einsatz von Gesichtserkennung gebe. (js)