Twitter: Spam überlagert Berichte über Proteste in China
In mehreren chinesischen Städten kommt es seit Tagen zu Protesten gegen die strikten Corona-Maßnahmen im Land – teils fordern die Demonstrierenden aber auch den Rücktritt von Staatschef Xi. Auf Twitter bekamen chinesische Nutzerinnen und Nutzer statt Beiträgen über die Proteste am Wochenende allerdings hauptsächlich Erotik-Spam zu sehen.
Medienberichten zufolge hatten sich die Proteste in den vergangenen Tagen weiter ausgebreitet. Auf chinesischen Plattformen verbreitete Videos von den Protesten würden innerhalb von Minuten von den Zensoren gelöscht.
Wie die Washington Post berichtet, waren am Sonntag auch auf Twitter stundenlang keine chinesischsprachigen Beiträge zu dem aktuellen Geschehen zu finden, weil sie in einer Flut an Werbung für chinesische Escortdienste untergingen. Die Spam-Beiträge waren demnach mit den Städtenamen versehen, in denen Proteste stattfanden. Wer danach suchte, habe seitenweise Spam zu sehen bekommen. Einige der regierungsnahen Accounts, von denen die Erotik-Anzeigen ausgingen, sollen zuvor über Monate oder sogar Jahre inaktiv gewesen sein.
Ein ehemaliger Twitter-Angestellter sagte der Zeitung, Konten mit Verbindungen zur chinesischen Regierung hätten solche Taktiken bereits in der Vergangenheit angewendet. Dabei sei es aber darum gegangen, einzelne Nutzer oder kleine Gruppen zu diskreditieren, indem sie in den Beiträgen erwähnt wurden. “Dies ist ein bekanntes Problem, mit dem sich unser Team manuell befasste, abgesehen von den Automatisierungen, die wir eingeführt haben”, sagte der ehemalige Twitter-Mitarbeiter.
Auch Forschende der Stanford University haben laut der Washington Post die aktuelle Kampagne beobachtet und wollten nun das gesamte Ausmaß näher untersuchen.
Der Unternehmer Elon Musk hatte Twitter Ende Oktober gekauft. Seitdem wurden massenhaft Mitarbeiter gekündigt oder haben selbst gekündigt. Wie die Washington Post berichtet, soll Twitter von etwa 7500 Angestellten auf knapp 2000 geschrumpft sein. Besonders betroffen sind demnach Abteilungen, die für Menschenrechte, Sicherheit oder Kampagnen zur Einflussnahme zuständig sind. Sie sollen auf eine Handvoll Angestellte geschrumpft sein – teils sei gar kein Personal in den Abteilungen mehr tätig. So hätten alle Mitarbeiter, die für chinesische Einflussoperationen zuständig waren, das Unternehmen verlassen. Bereits Anfang November hatte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisiert, das Angestellte mit Fachwissen entlassen wurden.
Festnahmen bei Protesten
Die Proteste hatten Ende vergangener Woche in Urumqi in der Region Xinjiang begonnen. Große Teile der Provinz befinden sich seit mehr als 100 Tagen im Corona-Lockdown.
In Urumqi waren am Donnerstag bei einem Hausbrand mindestens zehn Menschen gestorben. Im Internet kritisierten Anwohnerinnen und Anwohner, die Rettungsarbeiten seien durch die strikten Corona-Maßnahmen erschwert worden – in der Stadt selbst war es daraufhin zu ersten Protesten gekommen. Am Wochenende gingen Medienberichten zufolge auch Menschen in anderen Städten auf die Straße, unter anderem in Peking und Shanghai.
Teils habe es auch offene Kritik an Staats- und Parteichef Xi Jinping und der Kommunistischen Partei gegeben. Viele Demonstrierende hielten weiße Papierblätter – als Protest gegen die Zensur. Andere brachten Kerzen und Blumen als Zeichen der Trauer mit. Die Polizei räumte niedergelegte Blumen weg.
Zwar hätten in Shanghai nur etwa 1000 Menschen an dem Protest teilgenommen. Doch alleine das werten Beobachter als ungewöhnlich, weil es kein Demonstrationsrecht in China gibt. “Es ist praktisch unmöglich für die Menschen in China, friedlich zu protestieren, ohne Schikanen und Strafverfolgung ausgesetzt zu sein”, sagte Hana Young von Amnesty International.
Chinesische Medien unterliegen einer strikten Zensur und auch das Internet wird umfassend zensiert – zu den Tabuthemen zählen etwa politische Proteste. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen steht China auf Rang 175 von 180 Staaten.
Die Polizei sei teils gewaltsam gegen die Demonstrierenden vorgegangen und habe Menschen verhaftet. Bei den Protesten in Shanghai wurden laut Berichten Dutzende Menschen von der Polizei festgenommen. Auch die BBC teilte mit, einer ihrer akkreditierten Reporter vor Ort sei verhaftet und mehrere Stunden festgehalten worden. Die Polizei soll ihn geschlagen und getreten haben.
“Es ist sehr besorgniserregend, dass einer unserer Journalisten bei der Ausübung seiner Tätigkeit auf diese Weise angegriffen wurde”, teilte die BBC weiter mit. Chinesische Behörden hätten behauptet, den BBC-Mitarbeiter zum Schutz vor Corona in Gewahrsam genommen zu haben. “Wir halten dies nicht für eine glaubwürdige Erklärung”, kritisierte die BBC.
Auch ein Korrespondent von Radio Télévision Suisse wurde nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) gemeinsam mit seinem Kameramann für etwa eine Stunde in Gewahrsam genommen.
Menschenrechtler rechnen mit Massenverhaftungen
Amnesty International mahnte, die Behörden müssten den Menschen friedliche Proteste ermöglichen. Doch Hana Young erklärte auch: “Leider ist Chinas Strategie nur allzu vorhersehbar. Zensur und Überwachung werden weitergehen, und wir werden in den kommenden Stunden und Tagen höchstwahrscheinlich Polizeigewalt und Massenverhaftungen von Demonstranten erleben. Auch lange Haftstrafen gegen friedliche Demonstranten sind zu erwarten.”
Augenzeugenberichten zufolge ist unter anderem in Peking inzwischen mehr Polizei präsent – wohl um Proteste zu verhindern. Polizisten untersuchten auch die Mobiltelefone von Passanten auf verdächtige Informationen.
Laut Amnesty nutzen chinesische Behörden repressive Gesetze, um Menschen wegen ihrer Teilnahme an friedlichen Versammlungen und der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung zu inhaftieren. (js)