Britische Regierung muss Geflüchtete über illegale Handyauswertungen informieren
Das britische Innenministerium muss Asylsuchende kontaktieren, deren Mobiltelefone in der Vergangenheit beschlagnahmt und durchsucht wurden. Das hat der britische High Court of Justice angeordnet. Das Gericht hatte bereits zuvor entschieden, dass die Handyauswertungen illegal waren. Der Menschenrechtsorganisation Privacy International zufolge könnten Betroffene nun auch finanzielle Entschädigung erhalten.
Das neue Urteil erging bereits Mitte Oktober, wie die Organisation Privacy International, die in dem Verfahren angehört wurde, nun berichtet. Es folgt auf ein Urteil aus dem März. Damals hatte das Gericht über die Klage von drei Asylsuchende entschieden, denen ihre Telefone abgenommen worden waren, als sie im Jahr 2020 nach einer Überquerung des Ärmelkanals Großbritannien erreicht hatten.
Zwischen April und November 2020 hatten Immigrationsbeamte auf Anordnung des britischen Innenministeriums Telefone von Asylsuchenden eingezogen und Daten ausgelesen. Der High Court hatte im März entschieden, dass die pauschale Beschlagnahmung gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte Recht auf Achtung des Privatlebens verstoßen hat. Einen weiteren Eingriff in dieses Recht sah das Gericht, weil den Geflüchteten mit Strafverfolgung gedroht wurde, sollten sie ihre PIN zum Zugriff auf die Geräte nicht herausgeben.
Das Gericht stellte jetzt zudem fest, dass das Innenministerium mit der Datenextraktion auch gegen Datenschutzbestimmungen verstoßen hat.
Betroffene müssen benachrichtigt werden
In der Fortsetzung des Verfahrens hat das Gericht das Innenministerium nun angewiesen, auch andere potenziell Betroffene über das Urteil zu informieren. Das Ministerium müsse alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um jede Person, deren Telefon möglicherweise beschlagnahmt wurde, schriftlich zu kontaktieren. Dabei müsse auch der Hinweis enthalten sein: “Falls Sie noch keinen rechtlichen Rat zu Ihrer Situation eingeholt haben, wird Ihnen dringend empfohlen, dies jetzt zu tun.”
Zwar hatte das Ministerium nach dem Urteil im März bereits einige von Handydurchsuchungen Betroffene kontaktiert – das Gericht sah das aber als unzureichend an. Denn im Laufe des Verfahrens stellte sich heraus, dass mehr als 400 Telefone nicht an ihre Besitzer zurückgegeben wurden, weil sie keiner Person mehr zugeordnet werden konnten. Das Innenministerium muss daher alle Asylsuchenden anschreiben, die zwischen April und November 2020 in Dover angekommen waren, damit diese Rechtsschutz suchen und gegebenenfalls Ansprüche geltend machen können. Außerdem muss das Ministerium das Urteil auf seiner Internetseite veröffentlichen.
Schadensersatz und Geräterückgabe
Privacy International zufolge handelt es sich um eine “bahnbrechende” Entscheidung, weil Tausende betroffene Migranten nun Entschädigung erhalten könnten. Der Fall zeige die Verpflichtung von Staaten auf, Betroffenen Zugang zu Rechtsbehelfen zu verschaffen – auch in Fällen, in den viele Personen von rechtswidrigen staatlichen Maßnahmen betroffen sind.
In dem Verfahren wurde laut Privacy International nicht öffentlich bekanntgegeben, welche Entschädigungen Betroffene erhalten. Die Organisation geht aber davon aus, dass sie mit Schadensersatz rechnen können, ihre beschlagnahmen Geräte zurückerhalten und die illegal ausgelesenen Daten gelöscht werden müssen.
Der Guardian hatte im März berichtet, Beamte hätten persönliche Informationen wie E-Mails, Fotos und Videos von den Telefonen kopiert. Laut Privacy International wurden diese nach Beweisen für kriminelle Aktivitäten durchsucht und auch in Datenbanken der Strafverfolgungsbehörden gespeichert. Das Innenministerium hatte argumentiert, Beamte könnten so Hinweise auf kriminelle Schleuser finden.
Smartphones haben für Geflüchtete häufig einen besonderen Stellenwert, weil sie darüber mit Angehörigen in Kontakt bleiben und sich auf ihrer Flucht orientieren können. Privacy International mahnt, die Beschlagnahmung der Geräte sei für die Betroffenen eine erhebliche Belastung. Ohne sie stünden die Geflüchteten ohne Kommunikationsmittel da und ihnen würden beispielsweise Erinnerungsfotos genommen. Außerdem gelangten die Behörden an eine Vielzahl persönlicher Daten, die für ihre Ermittlungen irrelevant seien.
BAMF wertet Telefone aus
In Deutschland darf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seit 2017 Datenträger von Asylantragstellern auslesen, wenn diese sich bei der Behörde nicht mit einem Pass oder einem anderen Dokument ausweisen können. Das Asylgesetz verpflichtet Antragsteller, ihre Datenträger inklusive der Zugangsdaten an die Behörde auszuhändigen.
Das Verwaltungsgericht Berlin hatte im Juni 2021 im Fall einer Geflüchteten entschieden, dass die Auswertung ihres Handys durch das BAMF rechtswidrig war. Dies sei zur Feststellung der Identität und Herkunft nicht erforderlich gewesen. Entschieden hatte das Gericht nur den Einzelfall. Doch die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die gemeinsam mit der Betroffenen geklagt hatte, wertete das Urteil als “bedeutenden Erfolg für die Privatsphäre geflüchteter Menschen”. Weitere Klagen sind noch anhängig. (js)