UN-Bericht: Pressefreiheit in Afghanistan erheblich eingeschränkt

Programm von TOLOnews
Wenn Medienschaffende sich nicht an die vorgegebenen Regeln halten, riskieren sie verhaftet zu werden. (Quelle: IMAGO / Xinhua)

Journalisten arbeiten in Afghanistan in einem schwierigen Umfeld. Laut einem neuen UN-Bericht sind sie mit Hindernissen bei Recherchen konfrontiert und Zensur ausgesetzt. Auch Einschüchterungen und Verhaftungen haben die UN dokumentiert – und die Taliban verschärfen die Situation immer weiter. Frauen in dem Beruf haben es besonders schwer.

In dem vom UN-Menschenrechtsbüro und der “Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan” (UNAMA) am Dienstag veröffentlichten Bericht betrachten die Experten die Entwicklung der Pressefreiheit seit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 bis Ende September 2024.

Vor der erneuten Machtübernahme durch die Taliban habe es in Afghanistan eine pluralistische Medienlandschaft gegeben, heißt es in dem Bericht. Auch die Menschen im Land hätten ihren Medienkonsum gesteigert – dazu habe unter anderem der Zugang zum Internet beigetragen. In der afghanischen Verfassung aus dem Jahr 2004 wurde außerdem die Meinungsfreiheit als unantastbar eingestuft. Die Arbeit für Journalisten sei unter anderem aufgrund des Krieges trotzdem auch damals schwer gewesen.

Seit die Taliban jedoch erneut an der Macht sind, hat sich die Lage jedoch wieder deutlich verschlechtert – und der Mediensektor ist geschrumpft: Im August 2021 habe es in Afghanistan noch etwa 543 Medien mit rund 10.790 Mitarbeitenden gegeben. Bereits im November 2021 seien jedoch 43 Prozent dieser Medien geschlossen gewesen und landesweit waren nur noch 4360 Medienschaffende beschäftigt. Mehr als 84 Prozent der weiblichen Medienschaffenden hätten ihren Arbeitsplatz verloren.

Diese Entwicklung ist laut den UN-Experten auch auf die schlechte wirtschaftliche Lage in Afghanistan zurückzuführen. Darüber hinaus habe die neue De-facto-Regierung ein “äußerst schwieriges Arbeitsumfeld für Medien” geschaffen. Dabei sei Afghanistan durch internationale Menschenrechtsabkommen dazu verpflichtet, die Meinungsfreiheit zu garantieren und ein sicheres Umfeld für Journalisten zu schaffen.

Taliban zensieren Medien

Die Taliban greifen in die Arbeit der Medien so weit ein, dass dies nach Ansicht der UN-Experten einer Zensur gleichkommt.

So haben die Machthaber beispielsweise bereits im September 2021 elf Regeln für den Journalismus aufgestellt und damit die Veröffentlichung von Inhalten verboten, die sie als islamfeindlich ansehen. Auch dürfen keine Inhalte veröffentlicht werden, die sich nach Ansicht der Taliban negativ auf die öffentliche Meinung auswirken könnten. Berichte müssen außerdem vorab von den Behörden genehmigt werden.

Inzwischen wurde auch die Live-Ausstrahlung von politischen Talk-Shows im Fernsehen untersagt. Sendungen müssen stattdessen vorab aufgezeichnet werden, damit auf Weisung der Behörden Teile herausgeschnitten werden können. Gäste dürfen nur von einer behördlichen Liste gewählt werden – andernfalls braucht es eine Sondergenehmigung.

Und in der Provinz Kandahar ist es seit Februar 2024 sogar verboten, “Lebewesen” zu fotografieren. Das neue Gesetz “zur Förderung der Tugend und zur Verhinderung von Lastern” hat dieses Verbot im Sommer sogar landesweit ausgedehnt – demnach ist das Erstellen und Anschauen von Bildern und Videos von Lebewesen verboten. Wenn Medien sich nicht an diese Vorschriften hielten, müssten mit Schließung rechnen. Medienberichten zufolge hatten die Behörden im Oktober angekündigt, die neue Regel schrittweise durchsetzen zu wollen.

Laut dem Bericht sind diese Verbote ein zentraler Bestandteil beim Umgang der Behörden mit Medien; die UN bezeichnen sie als “rote Linien”. Sie seien weit gefasst, aber nur informell definiert – sie würden daher von einzelnen Behörden teils unterschiedlich ausgelegt. Dies habe unter Journalisten auch zu Selbstzensur geführt.

Verhaftungen und Folter

Die UN-Experten berichten, Journalisten würden wegen ihrer Berichterstattung auch dann festgenommen, wenn diese normalerweise nicht als Überschreitung der “roten Linien” gelte. So seien im Juli 2023 beispielsweise mehrere Journalisten vorübergehend in Gewahrsam genommen worden, als sie über einen Brand berichten wollten.

Insgesamt sind laut den UN 336 Medienschaffende zwischen August 2021 und September 2024 Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden. Die tatsächlichen Zahlen seien wahrscheinlich jedoch höher – die UNAMA registriert nur Fälle, die sie selbst verifizieren konnte.

So konnte die UNAMA 256 willkürliche Festnahmen dokumentieren – darunter sieben Frauen. Zudem wurden 130 Fälle von Folter und Misshandlungen sowie 75 Bedrohungen oder Einschüchterungen gegenüber Journalisten dokumentiert.

Im Mai 2022 wurden mehrere Medienschaffende in Kabul stieben Stunden lang festgehalten, weil sie über Frauenproteste berichten wollten. Und im September 2022 wurden mehrere Journalisten festgehalten und ihre elektronischen Geräte nach Fotos und Videos von einer Demonstration für die Wiederöffnung von Mädchenschulen durchsucht. Unter den Taliban dürfen Mädchen nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen.

Die UN haben zudem Festnahmen von Journalisten dokumentiert, denen vorgeworfen wurde, für Exil-Medien zu arbeiten. Dem Bericht zufolge haben viele erfahrene Medienschaffende seit der Machtübernahme das Land verlassen. Das habe zum Entstehen von Exil-Medien geführt – die Behörden verbieten es Menschen im Land aber, für diese Unternehmen zu arbeiten. Auch die Arbeit von ausländischen Medienschaffenden in Afghanistan behindern die Behörden teils.

Machthaber diskriminieren Frauen

Besonders schwer ist die Arbeit im Mediensektor jedoch für Frauen, weil für sie zusätzliche Regeln gelten. So müssen sie beispielsweise auch bei TV-Auftritten ihr Gesicht verschleiern.

Außerdem dürfen sie Reisen über 78 Kilometer nur in männlicher Begleitung unternehmen. Das mache Recherchereisen für Journalistinnen nahezu unmöglich. Ihre Bewegungsfreiheit wird zusätzlich eingeschränkt, weil Fahrer seit August 2024 keine unbegleiteten Frauen mehr befördern dürfen.

In der Provinz Helmand wurde zudem bereits im vergangenen Jahr verboten, in Rundfunksendungen Frauenstimmen zu senden. Inzwischen gilt die Stimme von Frauen als “privat” und soll nicht außerhalb ihres Hauses zu hören sein. Laut dem Bericht bleibt abzuwarten, wie sich die neuen Bestimmungen auf Journalistinnen auswirken – in einigen Provinzen gibt es demnach weiter Radiosender, die von Frauen moderierte Sendungen ausstrahlen.

Laut dem Bericht stoßen Medienschaffende in Afghanistan auch bei ihren Recherchen auf Hindernisse, etwa weil Behörden Anfragen nicht beantworten. Journalistinnen hätten es dabei meist noch schwerer – auch weil manche Behördenvertreter sich weigern, mit Frauen zu sprechen.

Die Zahl der Medienschaffenden und Medien ist im Jahr 2023 laut UN zwar leicht angestiegen. Das liege aber nicht an einem verbesserten Umfeld, sondern spiegle die Bemühungen des Mediensektors wider, sich an die Gegebenheiten anzupassen. Der Zugang zu Informationen bleibe schwer und die von den Behörden auferlegten Beschränkungen stellten Hindernisse für die Medienarbeit dar. Die speziell für Frauen geltenden Auflagen seien zudem mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung gemäß den internationalen Menschenrechtsabkommen unvereinbar.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen befindet sich Afghanistan inzwischen auf Rang 178 von 180 Staaten – nur Syrien und Eritrea werden noch schlechter eingestuft.

Der UN-Bericht erinnert daran, dass eine freie, unzensierte und ungehinderte Presse in jeder Gesellschaft unerlässlich ist, um die Meinungsfreiheit und andere Menschenrechte zu gewährleisten. Die Experten fordern die De-facto-Regierung daher auf, die freie Arbeit von Journalisten zu gewährleisten – und auch die Bedeutung von Frauen im Mediensektor anzuerkennen.

Auch die internationale Gemeinschaft sollte weiter auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit hinweisen und afghanische Medien und Medienschaffende unterstützten. (js)