Afghanistan: Anhaltende Menschenrechtskrise unter den Taliban
Drei Jahre nach der erneuten Machtübernahme der Taliban sind die Rechte von Frauen und Mädchen weiter stark eingeschränkt. Auch gegen Kritiker und Medienschaffende gehen die Fundamentalisten vor. Menschenrechtsorganisationen fordern die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf.
Am 15. August 2021 hatten die Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul ein- und die Macht im Land übernommen. Die Organisation Human Rights Watch (HRW) kritisiert, seitdem hätten sie die weltweit schwerste Krise für Frauenrechte ausgelöst.
Fereshta Abbasi, Afghanistan-Forscherin bei Human Rights Watch, konstatierte: “Unter der menschenrechtsverachtenden Herrschaft der Taliban durchleben afghanische Frauen und Mädchen die schlimmsten Albträume.”
Im März 2022 hatten die Taliban etwa entgegen ihrer Ankündigung weiterführende Schulen für Mädchen nach nur wenigen Stunden wieder geschlossen – bis heute. HRW kritisiert, Afghanistan sei das einzige Land der Welt, in dem Mädchen die Schule nur bis zur sechsten Klasse besuchen dürfen.
Schulverbot für 1,4 Millionen junge Afghaninnen
Aktuellen Daten der UN-Bildungsorganisation UNESCO zufolge wurde mindestens 1,4 Millionen Mädchen seit dem Jahr 2021 der Besuch weiterführender Schulen verwehrt. Zusammengenommen mit den Mädchen, die bereits zuvor nicht zur Schule gingen, könnten etwa 2,5 Millionen Mädchen ihr Recht auf Bildung nicht in Anspruch nehmen – das entspreche 80 Prozent der afghanischen Mädchen im Schulalter.
Obwohl Mädchen unter 12 Jahren zur Schule gehen dürften, seien aber auch diese Schulbesuche drastisch gesunken. Den Zahlen der UNESCO zufolge gingen im Jahr 2022 nur 5,7 Millionen Mädchen und Jungen in die Grundschule; im Jahr 2019 waren es noch 6,8 Millionen. Grund dafür sei auch ein Lehrkräftemangel, der noch verstärkt wurde, weil Frauen keine Jungen mehr unterrichten dürfen.
Die UNESCO warnt, die Taliban würden mit ihrer Bildungspolitik die Zukunft einer ganzen Generation gefährden.
Das Leben von Frauen wurde auch in anderen Bereichen eingeschränkt, etwa durch Universitäts- oder Berufsverbote. Amnesty International hatte im vergangenen Jahr beispielsweise berichtet, in 32 der 34 afghanischen Provinzen dürften Frauen nicht mehr in der Justiz tätig sein.
In einer aktuellen Befragung der Organisation von Personen in 21 Provinzen und Exil-Afghanen gaben Frauen an, nach drei Jahren unter den Taliban hätten sie das Gefühl, “niemand” mehr zu sein – und kaum noch Möglichkeiten, einen wirtschaftlichen oder kulturellen Beitrag zu leisten. Zuvor hätten sie etwa in den Bereichen Justiz, Politik, Journalismus, Bildung und Sport gearbeitet.
Die Taliban hinderten Frauen und Mädchen auch daran, Sport zu treiben oder Parks zu besuchen. HRW kritisiert zudem, der Zugang zu medizinischer Versorgung sei für sie erschwert worden.
Seit Januar 2024 hat die Organisation zudem Festnahmen von Frauen und Mädchen beobachtet, weil diese sich angeblich nicht an die strenge Kleiderordnung gehalten hätten. UN-Experten zufolge hätten einige Betroffene tagelang in Isolationshaft zugebracht.
Gegenüber Amnesty berichteten Befragte auch, dass Körperstrafen wie öffentliche Auspeitschungen wieder eingeführt wurden.
Vorgehen gegen Medienschaffende
Auch die Rechte auf Meinungs- und Pressefreiheit haben die Taliban stark eingeschränkt. HRW kritisiert, dass Demonstrierende, Kritiker und Medienschaffende inhaftiert und gefoltert werden.
Reporter ohne Grenzen (RSF) berichtet, seit August 2021 seien 141 Medienschaffende verhaftet oder inhaftiert worden. Aktuell sitzen in Afghanistan laut RSF aber keine Journalistinnen oder Journalisten im Gefängnis.
Célia Mercier von RSF sagte: “Die Taliban säen Terror durch eine Vielzahl von Verhaftungen und Inhaftierungen. Es herrscht eine fast vollständige Zensur und es wird keine Kritik am Regime durch die Medien toleriert.”
Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit der Organisation belegt Afghanistan Rang 178 von 180 Staaten. Nur Syrien und Eritrea sind noch schlechter platziert.
Menschen warten weiter in Drittstaaten
Die Lage der Menschen in Afghanistan wird laut HRW zudem durch eine humanitäre Krise erschwert. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung sei von Ernährungsunsicherheit betroffen, haben also keinen Zugang zu ausreichenden, sicheren und nahrhaften Lebensmitteln. Auch Kürzungen im Bereich der Entwicklungshilfe hätten dazu beigetragen. Ausbleibende ausländische Hilfen haben demnach auch das Gesundheitssystem des Landes schwer beschädigt.
Laut HRW harren weiterhin auch Tausende geflohene Afghaninnen und Afghanen in Ländern wie dem Iran und der Türkei aus. Das liege an den stockenden Verfahren von Ländern, die sich zur Aufnahme gefährdeter Personen verpflichtet haben – darunter auch Deutschland.
Amnesty International in Deutschland kritisiert etwa, die Bundesregierung habe die Aufnahme von mehr als 20.000 Personen zugesagt – bisher seien aber nur 581 Menschen über das sogenannte Bundesaufnahmeprogramm nach Deutschland gekommen.
Theresa Bergmann, Asien-Expertin bei Amnesty, sagte: “Das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan war eigentlich ein Hoffnungsschimmer. Wenn es nach Innenministerin Nancy Faeser geht, soll das Programm ab nächstem Jahr nicht weiter finanziert werden. Das ist beschämend.” Die Bundesregierung breche den Koalitionsvertrag und ihr Versprechen, das sie gegenüber von den Taliban bedrohten Menschen abgegeben habe.
Unter den im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms nach Deutschland gekommenen Personen sind laut RSF bisher nur sechs afghanische Journalistinnen und Journalisten.
RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus sagte: “Seit die Taliban erneut die Macht übernommen haben, sind Journalistinnen und Journalisten der Willkür des Regimes ausgesetzt. Ein ungeordnetes Ende des Bundesaufnahmeprogramms würde tausende gefährdete Personen in Afghanistan endgültig ihrem Schicksal überlassen.”
Fereshta Abbasi von HRW mahnte: “Der dritte Jahrestag der Machtübernahme durch die Taliban ist eine düstere Erinnerung an die Menschenrechtskrise in Afghanistan, aber er sollte auch ein Aufruf zum Handeln sein.” Regierungen, die mit den Taliban verhandeln, sollten sie daran erinnern, dass sie mit ihren Übergriffen auf die Bevölkerung gegen völkerrechtliche Verpflichtungen verstoßen. Es müssten dauerhafte Lösungen für die die humanitäre Krise in Afghanistan gefunden werden. (js)