US-Polizei informiert Beschuldigte selten über Einsatz von Gesichtserkennung

Ein Tablet mit Gesichtserkennung in den Händen eines Polizisten
In sieben US-Bundesstaaten ist die Polizei gesetzlich zu Transparenz in Bezug auf ihren Einsatz von Gesichtserkennung verpflichtet. (Quelle: IMAGO / ZUMA Press Wire)

In den USA setzen Polizeibehörden häufig Gesichtserkennungstechnik in Ermittlungsverfahren ein – klären so identifizierte Verdächtige aber nicht darüber auf. Das hat eine aktuelle Recherche der Washington Post ergeben. Kritiker werfen der Polizei mangelnde Transparenz vor.

Das Team der Washington Post hat eigenen Angaben zufolge Dokumente über den Einsatz der umstrittenen Technik von mehr als 100 Polizeibehörden in den USA angefordert. Mehr als 40 Behörden aus 15 Bundesstaaten hätten Daten zur Verfügung gestellt – 30 gaben beispielsweise auch Polizeiberichte zu mehr als 1000 Ermittlungen der letzten vier Jahre heraus.

Dem Zeitungsbericht zufolge informieren die Behörden Festgenommene häufig nicht, dass sie mithilfe einer Software identifiziert wurden. Damit werde ihnen die Möglichkeit genommen, die Ergebnisse der als fehleranfällig geltenden Technik anzufechten.

Selbst in öffentlichen Berichten verschleiere die Polizei den Einsatz von Gesichtserkennung teils. Stattdessen werde beispielsweise angegeben, dass Verdächtige “durch Ermittlungen” oder “die Nutzung von Polizeidatenbanken” identifiziert wurden. Das Coral Springs Police Department in Florida weist seine Beamtinnen und Beamten sogar an, Gesichtserkennung nicht in ihren Berichten zu erwähnen.

Unschuldige verhaftet

An diesem Vorgehen gibt es Kritik von Strafverteidigern und Bürgerrechtlern: Ihrer Ansicht nach haben Menschen ein Recht zu erfahren, wenn sie mithilfe von Software identifiziert wurden. Das sei insbesondere wichtig, weil nach einer vermeintlichen Identifizierung durch Gesichtserkennung bereits unschuldige Personen verhaftet wurden.

Die Washington Post berichtet, in mehreren Gerichtsverfahren in den USA sei die Zuverlässigkeit von Gesichtserkennung bereits erfolgreich angefochten worden. Einige Anwälte vermuten daher, Polizei und Staatsanwaltschaften würden den Einsatz der Technik absichtlich verschweigen – um eine gerichtliche Überprüfung zu verhindern.

Cassie Granos, Pflichtverteidigerin aus Minnesota, sagte beispielsweise, die Polizei wolle wahrscheinlich “einen Rechtsstreit über die Zuverlässigkeit der Technologie vermeiden”. Einer ihrer Kollegen habe in diesem Jahr bereits erreicht, dass die Ergebnisse der Gesichtserkennung in einem Gerichtsverfahren nicht zugelassen wurden, weil die Software nach Ansicht des Richters “nicht durchgängig genaue Ergebnisse” geliefert habe.

Tests des staatlichen National Institute of Standards and Technology haben in der Vergangenheit beispielsweise gezeigt, dass Gesichtserkennungssoftware besonders häufig Menschen mit dunkler Hautfarbe, Frauen und ältere Menschen falsch identifiziert.

Vom “Computer” gefunden

Laut Washington Post sind in den USA inzwischen mindestens sieben unrechtmäßige Verhaftungen von Unschuldigen bekannt, nachdem diese falsch identifiziert wurden – sechs der Betroffenen waren demnach Schwarze. In allen Fällen seien die erhobenen Anklagen später wieder fallen gelassen worden.

Einige der Betroffenen hätten nur vom Einsatz der Gesichtserkennung erfahren, weil Beamte beiläufig erwähnt hatten, dass beispielsweise “der Computer” sie gefunden habe.

Die Washington Post berichtet etwa über Quran Reid, der im Jahr 2022 sechs Tage lang im Gefängnis saß. Ihm wurde vorgeworfen, im US-Bundesstaat Louisiana mit gestohlenen Kreditkarten Luxus-Handtaschen gekauft zu haben. Der im Bundesstaat Georgia lebende Betroffene hat Louisiana eigenen Angaben zufolge nie besucht.

Ein Polizeibeamter hatte damals eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, wonach er von einer “glaubwürdigen Quelle” auf Reid aufmerksam gemacht wurde. Tatsächlich aber hatten die Beamten ein Bild aus einer Überwachungskamera in ihre Gesichtserkennungssoftware eingespeist und waren so auf den Betroffenen gestoßen. Die Anklage gegen Reid wurde fallen gelassen, nachdem Reids Anwalt darauf hingewiesen hatte, dass sein Mandant ein Muttermal im Gesicht hat – der mutmaßliche Täter jedoch nicht.

Reid sagte gegenüber der Washington Post, bei seiner Verhaftung habe er sich gefragt, warum er festgenommen wird. “Man weiß nicht einmal, woher es kommt.” Inzwischen hat er in dem Fall Klage gegen das Sheriff’s Office und den zuständigen Beamten eingereicht.

In den USA nutzen einige Polizeibehörden Gesichtserkennungssoftware, um beispielsweise ein Bild aus Überwachungskameras am Tatort mit in Datenbanken gespeicherten Fotos abzugleichen, beispielsweise Fahndungs- oder Führerscheinfotos. Laut Washington Post gibt es aber keinen wissenschaftlichen Konsens darüber, wie eine Übereinstimmung definiert ist – deshalb gebe es bei den vermeintlichen Treffern auch große Unterschiede zwischen einzelnen Produkten.

Die umstrittene Gesichtserkennungssoftware Clearview AI habe in einem Ermittlungsverfahren in Ohio beispielsweise auch ein Foto des Basketballspielers Michael Jordan als Ergebnis geliefert. Auf Anfrage der Journalisten wies Clearview darauf hin, dass auch der Täter unter den Suchergebnissen gewesen sei.

Kaum reguliert

In den USA gibt es auf Bundesebene kein Gesetz, das den Einsatz von Gesichtserkennung regelt. Laut dem Bericht schreiben zwar einige Bundesstaaten und einzelne Städte ihren Behörden Transparenz in Bezug auf die Technik vor – an diesen Orten werde Gesichtserkennung aber nicht so häufig verwendet – oder der Einsatz ebenfalls nicht offengelegt.

In Florida gibt es solche Transparenzbestimmungen nicht. Die Polizei in Miami hat den Journalisten aber Daten über den Einsatz von Gesichtserkennung in den vergangenen vier Jahren zur Verfügung gestellt. Demnach hat die Behörde 2500 Abfragen mit entsprechender Software durchgeführt – diese hätten zu mindestens 186 Verhaftungen und mehr als 50 Verurteilungen geführt. Von den festgenommenen Personen seien aber weniger als sieben Prozent über die Verwendung von Gesichtserkennungssoftware informiert worden.

Auch die Staatsanwältin des Miami-Dade County, in dem die Stadt Miami liegt, erklärte gegenüber der Washington Post, die Polizei habe sie nicht in jedem Fall informiert, wenn Verdächtige mit Gesichtserkennung identifiziert wurden. Sie räumte Bedenken hinsichtlich der Genauigkeit der Technik ein und sagte, man könne sich nicht alleine auf diese Ergebnisse verlassen.

Carlos J. Martinez, oberster Pflichtverteidiger von Miami, erklärte: “Eines der Grundprinzipien unseres Rechtssystems ist ein ordnungsgemäßes Verfahren. Man muss wissen, welche Beweise gegen einen vorliegen und in der Lage sein, diese anzufechten.”

Als Reaktion auf den Bericht haben die Polizei und die Staatsanwaltschaft von Miami angekündigt, ihre Richtlinien zu überarbeiten. Künftig soll die Verwendung von Gesichtserkennung verpflichtend offengelegt werden.

Die Washington Post schreibt, eigentlich seien Staatsanwaltschaften in den USA nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs verpflichtet, Angeklagten Informationen zur Verfügung zu stellen, die etwa zum Beweis ihrer Unschuld beitragen oder die Glaubwürdigkeit von Zeugen beeinträchtigen können. Kommen sie dem nicht nach, können Gerichte beispielsweise eine Verurteilung aufheben oder sogar die Staatsanwälte bestrafen. Laut dem Bericht sind sich US-Gerichte bisher aber nicht einig, ob auch der Einsatz von Gesichtserkennung unter diese Regeln fällt. (js)