USA: Kritik an verpflichtender App für Asylsuchende
Ab Ende dieser Woche müssen Asylsuchende über eine Smartphone-App Termine buchen, wenn sie über die mexikanische Grenze in die USA einreisen wollen. Amnesty International kritisiert, die verpflichtende Nutzung der App verstoße gegen das Recht Asyl zu beantragen. Weil die App darüber hinaus auf den Standort zugreift und Gesichtserkennung zum Einsatz kommt, werfe sie auch Fragen in Hinblick auf den Datenschutz auf.
Am 11. Mai soll die US-Gesundheitsverordnung “Title 42” fallen. Die Regelung sollte in den vergangenen Jahren die Ausbreitung des Coronavirus stoppen – wurde aber auch genutzt, um bestimmte Personen an der Grenze abzuweisen. Mit dem Auslaufen der Verordnung soll eine neue Regelung in Kraft treten, die Anfang des Jahres vom US-Justizministerium und dem Ministerium für Innere Sicherheit vorgestellt wurde. Damit erhält auch die im Herbst 2020 eingeführte App “CBP One” der Zoll- und Grenzschutzbehörde eine neue Bedeutung: Asylsuchende, die “ohne Genehmigung” an der südlichen Landesgrenze der USA ankommen und durch ein Drittland gereist sind, müssen mithilfe der App einen Termin für ihre Ankunft an einem Grenzübertritt buchen, um dort einen Asylantrag stellen zu können.
Asylsuchende ohne vorab gebuchten Termin müssten nachweisen, dass sie die App nicht nutzen konnten, berichtet Amnesty International. Andernfalls gingen die Behörden davon aus, dass die Betroffenen keinen Anspruch auf Asyl haben. Unbegleitete Kinder sind von der neuen Regelung ausgenommen.
App schränkt Zugang zu Asylverfahren ein
Die Organisation erklärte am Montag, die Vereinigten Staaten seien sowohl nach nationalem als auch internationalem Recht verpflichtet, Asylanträge individuell und fair zu prüfen. Die USA müssten zudem sicherstellen, dass Schutzsuchende Zugang zu ihrem Hoheitsgebiet erhalten – dies sei eine notwendige Voraussetzung, um das Recht auf Asyl auszuüben.
Nach Ansicht der Organisation können digitale Systeme zur Einreiseverwaltung zwar potenziell für einen geordneten Grenzübertritt sorgen. Durch die verpflichtende Nutzung von “CBP One” werde die Möglichkeit, in den USA Schutz zu suchen, jedoch stark eingeschränkt. Denn Voraussetzung für die Nutzung der App ist ein Smartphone mit Internetzugang. Zudem ist “CBP One” bisher nur in den drei Sprachen Englisch, Spanisch und Haitianisch-Kreolisch verfügbar.
Amnesty International mahnt, eine Anwendung wie “CBP One” dürften nicht die einzige Möglichkeit sein, um in den USA Asyl suchen zu können.
Erika Guevara-Rosas von Amnesty kommentierte: “Die verpflichtende Nutzung von CBP One macht die Einreise und den Zugang zu Asyl davon abhängig, dass man sich an einem Grenzübergang mit vorheriger Terminvereinbarung einfindet, was nur für einige Personen machbar ist.”
Zwar seien Ausnahmen von der verpflichtenden App-Nutzung vorgesehen, etwa bei Sprachbarrieren und Analphabetismus. Amnesty International kritisiert jedoch, es bleibe unklar, wie genau dies an der Grenze festgestellt werden soll – und ob Beamte einen Ermessensspielraum bei ihren Entscheidungen haben. Das Fehlen von Ausnahmeregeln für besonders gefährdete Gruppen bezeichnet die Organisation als besorgniserregend.
Standortdaten und Gesichtserkennung
Bedenken äußert Amnesty International darüber hinaus, weil “CBP One” Standortdaten verarbeitet. Ein Termin lässt sich über die App nur buchen, wenn sich Betroffene bereits in Zentral- oder Nordmexiko aufhalten. Laut der behördlichen Datenschutzfolgeabschätzung für die App wird der Standort abgefragt, wenn Nutzende Daten an die Zoll- und Grenzschutzbehörde übermitteln. So sollen etwa Unregelmäßigkeiten festgestellt werden – die Abfrage diene aber nicht dazu, die Bewegung der Betroffenen zu verfolgen, heißt es.
Die Menschenrechtsorganisation kritisiert, es würden Daten von Asylsuchenden gesammelt, obwohl diese sich noch nicht in den USA befinden. Dies könne als Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt über die Landesgrenzen hinaus angesehen werden.
Erika Guevara-Rosas erklärte: “Die Funktionsweise der CBP-One-App ist äußerst problematisch. Asylsuchende werden gezwungen, die Anwendung auf ihren Mobiltelefonen zu installieren, was es der US-Zoll- und Grenzschutzbehörde ermöglicht, Daten über ihren Standort zu sammeln, indem sie ihre Telefone ‘anpingt’.”
Auch den Einsatz von Gesichtserkennung kritisiert Amnesty International. Bei der Terminbuchung müssen Asylsuchende ein Foto von sich in der App hochladen. Dieses kann unter anderem mit Datenbanken von Strafverfolgungsbehörden abgeglichen werden. Amnesty International kritisiert, das die involvierten Behörden in der Datenschutzfolgeabschätzung nicht genannt werden und unklar bleibe, in welchen Fällen ein solcher Abgleich stattfinde und wann er verhältnismäßig sei.
Sensible Daten
Die Organisation weist auch darauf hin, dass biometrische Daten gesammelt werden, die besonders sensibel sind, weil sie sich nicht verändern lassen. Menschen können so ein Leben lang identifiziert werden. Auch Human Rights Watch hatte Ende März erklärt, die App sammle personenbezogene und biometrische Daten – was unter anderem Bedenken hinsichtlich des Rechts auf Privatsphäre und Nichtdiskriminierung aufwerfe.
Denn Amnesty International kritisiert schon seit längerem, das Gesichtserkennungstechnologie beispielsweise Menschen mit dunkler Hautfarbe schlechter erkennt. Im konkreten Fall könne dies dazu führen, dass Betroffenen das Recht auf Asyl verweigert werde. Tatsächlich hatte der Guardian bereits im Februar berichtet, viele Menschen mit dunkler Hautfarbe könnten sich in der App nicht registrieren. Besonders betroffen seien Menschen aus Haiti und aus afrikanischen Ländern – ihnen würde somit die Einreise in die USA verweigert. Durch die Probleme mit der Gesichtserkennung sei die Zahl schwarzer Asylbewerber, die ihre Anträge ausfüllen konnten, nach der Einführung stark zurückgegangen.
Bisher war die Verwendung von “CBP One” noch nicht verpflichtend, unter bestimmten Umständen wurden Asylsuchende aber bereits angewiesen, die App zu nutzen – laut Amnesty betrifft dies unter anderem Menschen aus Kuba, Haiti, Nicaragua und Venezuela.
Anfang Mai hatte der Guardian zudem von technischen Problemen mit der App berichtet, wodurch Betroffene keine Termine buchen konnten.
Anhaltende Kritik
Kritik an “CBP One” existiert bereits länger: Schon im Sommer 2021 hatte die Los Angeles Times über den Einsatz der App berichtet. Ashley Gorski, Anwältin bei der NGO American Civil Liberties Union, hatte der Zeitung gegenüber damals gewarnt: “Die Verwendung von Gesichtserkennung durch die Zoll- und Grenzschutzbehörde birgt enorme Risiken für die Privatsphäre und ist ein weiterer Schritt auf einem gefährlichen Weg. Wann immer die Regierung das Gesichtsbild einer Person erfasst, entsteht das Risiko einer dauerhaften Überwachung, bei der die Regierung die Bewegungen von Menschen ohne deren Wissen identifizieren und verfolgen könnte.”
Der Bericht hatte auch die Sorge um die Sicherheit der biometrischen Daten thematisiert: Es gebe seit langem Zweifel an der Fähigkeit der Zoll- und Grenzschutzbehörde, solche Daten zu schützen, hatte die Los Angeles Times geschrieben. Demnach wurden bei einem IT-Angriff im Jahr 2018 mehr als 180.000 Bilder aus einer Gesichtserkennungsdatenbank der Behörde kopiert.
Amnesty International fordert die US-Regierung auf, von der verpflichtenden Verwendung der App abzusehen. Auch sollten Asylsuchende nicht aufgefordert werden, Gesichtserkennungstechnologie zu verwenden. Die Regierung müsse sicherstellen, dass “CBP One” nicht zu Überwachungszwecken verwendet wird. (js)