USA: Polizei überprüft Ergebnisse von Gesichtserkennung unzureichend

Polizistin vor einem Gesichtserkennungssystem
Mindestens acht Menschen wurden in den USA bisher aufgrund fehlerhafter Gesichtserkennungsergebnisse verhaftet. (Quelle: IMAGO / Newscom World)

Einige Polizeibehörden in den USA vertrauen allein auf Gesichtserkennungstechnik, um potenziell Verdächtige zu identifizieren. Dabei vernachlässigen sie mitunter klassische Ermittlungsmethoden – und ignorieren Vorschriften, berichtet die Washington Post. Für Betroffene kann das weitreichende Folgen haben.

Wie die Zeitung berichtet, sehen einige US-Polizeibehörden Gesichtserkennung als eine Art Abkürzung bei den Ermittlungen an – um potenziell Verdächtige festnehmen zu können, selbst wenn sie keine weiteren Beweise finden. Laut dem Bericht wurden in den USA mindestens acht Menschen aufgrund fehlerhafter Ergebnisse der Identifizierungstechnik verhaftet. In den meisten Fällen hätte die Polizei die Unschuld der Betroffenen leicht feststellen können, indem sie beispielsweise Alibis überprüft oder besondere Merkmale verglichen hätte.

Das Team der Washington Post hat eigenen Angaben zufolge Dokumente über den Einsatz der umstrittenen Technik von mehr als 100 Polizeibehörden in den USA angefordert. 75 erklärten, sie würden Gesichtserkennung nutzen – einige stellten den Journalisten weitere Daten zur Verfügung. Nur 23 Behörden aber gaben Berichte heraus, die laut der Washington Post detailliert genug waren, um die Ermittlungen nachzuvollziehen. 15 Polizeibehörden in 12 US-Bundesstaaten haben demnach in Folge des Einsatzes von Gesichtserkennungstechnik mindestens eine Person verhaftet, ohne weitere Beweise zu sammeln – darunter die Polizei in Austin, Detroit, Miami und St. Louis.

Unscharfes Foto

In St. Louis im Bundesstaat Missouri suchten Beamte laut Bericht beispielsweise zwei Personen, die einen Sicherheitsmitarbeiter angegriffen hatten. Im Rahmen der Ermittlungen wurde auch ein Bild aus einer Überwachungskamera mit einem Gesichtserkennungsprogramm abgeglichen: Das Foto war unscharf und das Gesicht der abgebildeten Person teils von einer Kapuze sowie von einer medizinischen Maske verdeckt. Trotzdem zeigte die Software Namen und Bilder mehrerer Personen an, die dem Angreifer ähnlich sehen sollten.

Die Washington Post berichtet, die Ergebnisse der Gesichtserkennungssoftware werden in internen Polizeirichtlinien als “nicht-wissenschaftlich” bezeichnet. Außerdem werde dort gewarnt, dass die Ergebnisse nicht als alleinige Grundlage für Entscheidungen verwendet werden sollten. Dennoch begann die Polizei gegen den 29-jährigen Christopher Gatlin zu ermitteln, der von der Software vorgeschlagen wurde.

So wurde sein Foto zusammen mit denen fünf weiterer Personen dem Opfer der Tat gezeigt – obwohl dieses erklärt hatte, sich aufgrund von erlittenen Verletzungen nicht erinnern zu können. Letztlich wurde bei der Befragung das Foto von Gatlin ausgewählt. Laut Bericht hatte der Polizeibeamte das Opfer jedoch in diese Richtung gelenkt. Vor Gericht räumte der Chefermittler später ein, dass dieses Vorgehen nicht richtig war.

Der Verdächtige wurde anschließend verhaftet und verbrachte mehrere Monate in Untersuchungshaft.

Gesichtserkennung statt DNA-Beweisen

Der Washington Post sind inzwischen acht Fälle bekannt, in denen Personen aufgrund falscher Ergebnisse von Gesichtserkennungsprogrammen verhaftet wurden. Dabei seien grundlegende Ermittlungsschritte ausgelassen worden – und die Polizei habe die angeblichen Treffer der Software als Fakten angesehen. So seien in sechs Fällen beispielsweise die Alibis der Verdächtigen gar nicht überprüft worden. Obwohl so hätte festgestellt werden können, dass die Personen nicht als Täter infrage kommen.

In zwei Fällen wurden demnach sogar Beweise ignoriert, die die Verdächtigen entlastet hätten. Besonders drastisch wirkt dabei der Fall von Nijeer Parks, der wegen eines Raubüberfalls von der Polizei in Woodbridge, New Jersey verhaftet wurde. In diesem Fall hatten die Beamten am Tatort DNA-Spuren und Fingerabdrücke des Täters sichern können – die eindeutig von einer anderen Person stammten. Stattdessen wurde ein verschwommenes Foto eines Verdächtigen mit einer Gesichtserkennungssoftware abgeglichen und Parks verhaftet. Im vergangenen Jahr hat die Polizei ihm deshalb eine Entschädigung in Höhe von 300.000 US-Dollar gezahlt – aber keine Fehler eingeräumt.

Gesichtserkennung steht häufig in der Kritik, unzuverlässig zu arbeiten. Laut dem aktuellen Bericht der Washington Post funktionieren die von der Polizei verwendeten Systeme unter Laborbedingungen, etwa mit Vergleichsfotos von hoher Qualität, teils gut. Doch Katie Kinsey von der NYU School of Law kritisierte, es gebe keine unabhängigen Untersuchungen unter realen Bedingungen – also beispielsweise mit unscharfen Bildern aus Überwachungskameras, wie die Polizei sie in ihren Ermittlungen verwendet.

Staatliche Tests in den USA hatten im Jahr 2019 gezeigt, dass Gesichtserkennungssoftware am besten mit weißen Männern als Zielpersonen funktioniert. Bei Schwarzen oder beispielsweise asiatisch aussehenden Menschen lag die Fehlerquote bis zu 100-mal höher. Auch in den von der Washington Post untersuchten Fällen waren sieben der acht unrechtmäßig verhafteten Personen Schwarze.

In einem Fall von Scheckbetrug über eine Summe von mehr als 30.000 US-Dollar wurde ein weißer Mann verhaftet – er war von der Gesichtserkennungssoftware anhand von Überwachungsbildern korrekt identifiziert worden. Dennoch wurde er unrechtmäßig verhaftet: Er war am Tag der Tat lediglich als Kunde in der Bank und hatte dort einen Scheck in Höhe von 1500 US-Dollar eingelöst – die Polizei überprüfte aber weder seine Konten noch die Zeitstempel des Überwachungsvideos oder suchten nach weiteren Beweisen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren schließlich ein.

Angst vor der Polizei

Gegenüber der Washington Post berichteten alle der falsch identifizierten Personen von negativen Folgen der unrechtmäßigen Verhaftung – beispielsweise von verlorenen Arbeitsplätzen. Einige sagten, ihre Kinder mussten zu Psychologen, nachdem sie die Verhaftung miterlebt hatten. Und die meisten berichteten, sie hätten jetzt Angst vor der Polizei.

Bereits im Herbst 2024 hatte die Washington Post berichtet, dass die US-Polizei Beschuldigte selten über den Einsatz von Gesichtserkennung informiert. Damit werde ihnen die Möglichkeit genommen, die Ergebnisse der als fehleranfällig geltenden Technik anzufechten.

Im Fall von Christopher Gatlin aus St. Louis beispielsweise hatte die Pflichtverteidigerin des Verhafteten erst durch den Polizeibericht erfahren, dass die Behörde Gesichtserkennung nutzt – und daraufhin Nachforschungen zu der Technik angestellt. So konnte sie aufzeigen, dass das von der Polizei verwendete Vergleichsfoto nicht den vorgeschriebenen Standards entsprach – das Gericht entschied nach Sichtung des Materials sofort, dass die vermeintliche Identifizierung nicht als Beweis verwendet werden darf. Da auch keine weiteren Beweise vorlagen, wurde das Verfahren eingestellt – nun klagt Gatlin gegen die Behörde. (js)