Venezuela: Unabhängige Nachrichtenseiten blockiert
Mehrere unabhängige Nachrichtenseiten in Venezuela sind seit Anfang Februar auch über private Internetanbieter nicht mehr erreichbar. Staatliche Internetprovider hatten den Zugang zu den Publikationen bereits zuvor blockiert, wie die Organisation Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) am Freitag berichtete.
Demnach blockieren die privaten Internetprovider Movistar, Digitel, Inter, NetUno sowie Supercable seit 1. Februar die beiden Nachrichtenseiten Efecto Cocuyo und Crónica Uno. Auch der ausländische Online-Nachrichtensender EVTV Miami, der auch über Venezuela berichtet, wurde demnach gesperrt. Nach Angaben der Webseite Venezuela Sin Filtro, die Internetzensur überwacht, ist seit dem Wochenende außerdem die Seite des in den USA ansässigen Senders TV Venezuela nicht mehr erreichbar.
Carlos Martínez de la Serna vom CPJ kommentierte: “Wir sind sehr besorgt darüber, dass private Firmen offenbar staatliche Zensur durchführen. Die Behörden in Venezuela haben die traditionelle Medienlandschaft dezimiert und unabhängige Nachrichten-Websites gehören zu den einzigen Informationsquellen, die noch übrig sind.”
Der größte Internetprovider des Landes, das staatliche Unternehmen CANTV, blockiere bereits seit über zehn Jahren Nachrichtenseiten, die kritisch über die autoritäre Regierung berichten. Bis vor kurzem seien die betroffenen Medien aber über private Provider zugänglich gewesen.
Provider setzen Regierungsanweisung um
Luis Carlos Díaz, Präsident des venezolanischen Teils der Internet Society, die sich für einen offenen Zugang zum Internet einsetzt, nannte die Sperren einen “schwerwiegenden Angriff auf die Pressefreiheit”. Er erklärte, die Internetanbieter seien von der Regierung angewiesen worden, die betroffenen Seiten zu zensieren. Bei Nichteinhaltung dieser Anweisungen könnten die Provider zur Schließung gezwungen werden.
Die Nationale Telekommunikationskommission Conatel hat sich bisher nicht öffentlich zu den neuen Sperren geäußert – und Anfragen des CPJ unbeantwortet gelassen. Versuche der Organisation, die Internetprovider zu erreichen, blieben ebenfalls erfolglos.
Der nationale Journalistenverband SNTP verurteilte die Sperren. Er kritisierte, die Regierung von Präsident Nicolás Maduro gehe seit Jahren gegen Nachrichtenseiten vor, um den Zugang “zu objektiven Nachrichten einzuschränken”.
Wie das CPJ berichtet, hatten private Internetprovider bereits im vergangenen November 35 Nachrichtenseiten während der Regionalwahlen in Venezuela gesperrt. Einige Internetanbieter blockierten diese Seiten bis heute.
Die US-Organisation Freedom House berichtet, der Großteil der Internetinfrastruktur in Venezuela werde durch die Regierung in Form des staatlichen Providers CANTV kontrolliert. Die Regulierungsbehörde Conatel könne die Sperre von Internetseiten oder das Entfernen von Inhalten anordnen, eine unabhängige Aufsicht gebe es nicht. Der Direktor der Behörde sowie die weiteren Aufsichtsratsmitglieder werden vom Präsidenten bestimmt. Von Sperren betroffen seien vor allem oppositionelle Nachrichtenseiten. Weil Menschen wegen regierungskritischer Beiträge in sozialen Netzwerken auch verhaftet werden, übten viele Nutzerinnen und Nutzer Selbstzensur.
Angriffe auf Journalisten
Laut Reporter ohne Grenzen (RSF) hat sich das Verhältnis zwischen Medien und Regierung durch die politische und wirtschaftliche Krise im Land seit dem Jahr 2016 weiter verschlechtert. Venezuela wird seit 2013 von Maduro regiert. Seit Jahren herrscht ein Machtkampf zwischen ihm und der Opposition um Juan Guaidó. Im vergangenen Jahr hatten Regierung und Opposition über Wahlen verhandelt – die Regierung hatte den Dialog jedoch abgebrochen.
Seit 2017 beobachtet RSF “eine Rekordzahl von willkürlichen Verhaftungen und Gewalttaten” gegenüber Medienschaffenden durch Polizei und Geheimdienst. Ausländische Journalistinnen und Journalisten würden häufig festgenommen, verhört und abgeschoben. Auch die Sendefrequenzen von Radio- und Fernsehsendern werden gesperrt.
Erst im Januar musste beispielsweise der Online-Fernsehsender VPI TV seinen Betrieb in Venezuela einstellen. Zuvor hatten Beamte von Conatel und der Zoll- und Steuerverwaltung die Büros des Senders in der Hauptstadt Caracas aufgesucht und die gesamte Ausrüstung beschlagnahmt. Der in Miami ansässige Sender beschäftigt laut RSF etwa 150 Mitarbeitende in Venezuela.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von RSF steht Venezuela auf Platz 148 von insgesamt 180 Staaten.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft der venezolanischen Regierung außerdem vor, zivilgesellschaftliche Organisationen zu schikanieren und zu verfolgen. Sicherheitskräfte sollen Regierungskritiker gefoltert und hingerichtet haben. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte deshalb im Jahr 2018 Ermittlungen aufgenommen und im November 2021 eine formale Untersuchung zu mutmaßlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Venezuela eingeleitet. (js)