Kritik an EU-Kommission: Atomkraft und Gas sind nicht klimafreundlich
Die EU-Kommission hat am Mittwoch entschieden, Investitionen in Gas und Atomkraft übergangsweise als klimafreundlich einzustufen. Nun hagelt es Kritik – aus der Politik und von Umweltschützern. Sie sehen den Klima- und Umweltschutz Europas um Jahre zurückgeworfen und fordern die Bundesregierung auf, gegen den Rechtsakt zu stimmen und sogar zu klagen.
Festgelegt wurde, dass Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke in der Europäischen Union künftig unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich gelten. Somit können sowohl staatliche Subventionen als auch private Investitionen, die in nachhaltige Projekte fließen sollen, für diese Arten der Energiegewinnung genutzt werden. Die Europäische Kommission nahm am Mittwoch einen entsprechenden Rechtsakt an.
Im Vergleich zu einem ursprünglichen Entwurf wurden die Auflagen für Gaskraftwerke nochmals gelockert. Damit reagierte die Kommission in ihrem finalen Rechtsakt auf den Wunsch nach flexibleren Rahmenbedingungen für Gaskraftwerke – besonders Deutschland hatte darauf gepocht.
Das Vorhaben kann nun nur noch durch eine Mehrheit im EU-Parlament oder von mindestens 20 EU-Ländern abgelehnt werden. Ansonsten tritt der Rechtsakt automatisch in Kraft – was sehr wahrscheinlich ist. Bislang haben sich nicht genügend EU-Staaten öffentlich gegen das Vorhaben ausgesprochen.
“Klimapolitische Bankrotterklärung”
“Die EU-Kommission degradiert mit dieser Entscheidung den angekündigten Green Deal zum schnöden Greenwashing”, kritisierte Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland. “Atomkraft und fossiles Gas sind nicht ‘nachhaltig’.” Mit dieser Einstufung widerspräche die EU-Kommission wissenschaftlichen Erkenntnissen als auch den Empfehlungen der eigenen Expertinnen und Experten.
“Sie wirft die Energiewende in Deutschland um Jahre zurück”, so Kaiser weiter. Atomenergie produziert Atommüll und berge die Gefahr schwerer Unfälle, Erdgas verursacht extrem klimaschädliche Methan- und CO2-Emissionen.
Die Deutsche Umwelthilfe bezeichnete die Kommissions-Entscheidung als “klimapolitische Bankrotterklärung”. “Anstatt Finanzströme in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken, lässt die Kommission das Vorzeigeprojekt der EU-Taxonomie zu einem grünen Feigenblatt für Atomkraft und fossiles Gas verkommen”, kommentierte Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH. Damit werde das ganze Finanzlabel entwertet.
“Selbst wenn ein begrenzter Zubau von neuen Gas-Kraftwerken im Zuge des Kohleausstiegs notwendig ist, macht dies einen fossilen Energieträger noch lange nicht zu einer grünen Technologie”, so Müller-Kraenner weiter.
Der BUND vermutet vorrangig wirtschaftliche Ambitionen hinter der Entscheidung. Die Kommission entwerte ihr eigenes Label. Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND, erklärte: “Der Rechtsakt setzt nun Anreize für Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke und untergräbt die EU-eigenen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele. Die Kommission unter Ursula von der Leyen kapituliert vor der Atom- und Erdgas-Lobby.” Milliardensummen würden nun in die Nachrüstung oder den Neubau von Atomkraftwerken fließen. Dadurch fehle dieses Geld für Klimaschutz und den grünen Umbau der Wirtschaft.
Die Bewegung Fridays for Future nannte das Vorgehen die “größte Greenwashing-Entscheidung in der Geschichte der EU”. “Im Gegensatz zur Kommission ignorieren wir ja keine Fakten und stufen diesen Vorschlag als das ein, was er ist: selbstgerechtes Greenwashing”, sagte Luisa Neubauer von Fridays for Future. Greenwashing ist die Einstufung von nicht nachhaltigen Energiequellen als nachhaltig.
Mitte Januar hatte das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) in einer Analyse die EU-Pläne für Atomkraftwerke als “nicht haltbar” zurückgewiesen und davor gewarnt, sie in Kraft zu setzen.
Auch große Investoren wie die Investorengruppe IIGCC äußerten sich kritisch. IIGCC-CEO Stephanie Pfeifer schrieb Mitte Januar in einem offenen Brief: “In einer Zeit, in der wir Klarheit brauchen, schafft die Einbeziehung von Gas einen wenig hilfreichen Präzedenzfall und verwirrt Investoren, die das Richtige tun wollen, das Wasser.”
Kritik aus der Regierung
Klimaminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke lehnen den Rechtsakt zur Taxonomie ab. “Ich halte den Rechtsakt in der jetzigen Form für einen großen Fehler, der die Taxonomie als Ganzes stark beschädigt und unsere Klimaziele gefährden könnte”, erklärte Lemke.
Die Regierung werde jetzt beraten, wie sie mit dem Beschluss umgehe, hieß es. Bereits im Januar hatten beide Minister deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht Deutschland den Beschluss ablehnen sollte.
Die Kritik der Minister galt vornehmlich der Einstufung von Atomkraft. Die Einstufung von Gas als nachhaltig kritisierten Lemke und Habeck in ihrem Statement nicht, berichtete die Nachrichtenagentur dpa. FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler begrüßte die Aufnahme von Gas in die Taxonomie als “grundsätzlich die richtige Entscheidung.”
Der Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, schrieb auf Twitter: "Wir erwarten, dass alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, die Taxonomie noch zu stoppen. "Die Bundesregierung müsse gegen die Vorhaben der EU-Kommission stimmen und weiter versuchen, im Rat eine Mehrheit zu organisieren.
Österreich kündigt Klage an
Österreich kündigte am Mittwoch eine “Nichtigkeitsklage” beim Europäischen Gerichtshof an, der sich auch Luxemburg anschließen will. Auch Spanien, Dänemark, die Niederlande und Schweden haben sich öffentlich gegen die Regelung ausgesprochen. Teresa Ribera, stellvertretende Ministerpräsidentin Spaniens, schrieb im Tagesspiegel: “Der Vorschlag, Gas und Kernenergie als nachhaltig einzustufen und sie damit den unbestrittenen grünen Technologien wie den erneuerbaren Energien gleichzustellen, sendet ein verwirrendes Signal an die Finanzmärkte und birgt die große Gefahr, von den Investoren selbst abgelehnt zu werden.”
Die Umweltorganisationen fordern die Bundesregierung dazu auf, sich der Klage anzuschließen. “Wenn es Kanzler Scholz ernst meint mit dem Klimaschutz, muss er nun mit seiner Ampelregierung konsequent den nächsten Schritt gehen: Gemeinsam mit Österreich und Luxemburg durch Einreichung einer Klage das Greenwashing der Kommission verhindern”, forderte Kaiser. Rechtsexperten des Centrum für Europäische Politik Freiburg räumten einer solchen Klage gute Chancen ein. Die EU-Kommission habe mit dem Beschluss unter Umständen ihre Kompetenzen überschritten.
Zudem sollte Deutschland gegen das Vorhaben stimmen, sind sich die Organisationen einig.
Lockerungen für Gaskraftwerke
Die sogenannte Taxonomie der EU ist eine Art Kompass für nachhaltige Finanzen. Sie soll Bürger und Anleger dazu bringen, in klimafreundliche Technologien zu investieren, um die Klimaziele zu erreichen. Die EU hat sich vorgenommen, den Treibhausgasausstoß bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken und bis 2050 klimaneutral zu werden.
Der am Mittwoch beschlossene delegierte Rechtsakt sieht vor, dass Investitionen in neue Gaskraftwerke bis 2030 als nachhaltig gelten, wenn sie schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden.
Im ursprünglichen Entwurf war die Beimischung von klimafreundlichen Gasen schon 2026 vorgeschrieben. Das bedeutet, dass Gaskraftwerke nun unter Umständen länger höhere Anteile an Erdgas nutzen können.
Neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiver Abfälle spätestens 2050 vorliegt. Auch der Umbau von alten Kraftwerken kann als klimafreundlich gelten. (hcz)