WHO wirft Tabakindustrie Greenwashing vor
Anlässlich des heutigen Weltnichtrauchertags hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die von der Tabakindustrie verursachten Umweltschäden aufmerksam gemacht. Unter anderem wirft sie den Tabakkonzernen sogenanntes Greenwashing vor: Zigarettenhersteller wie British American Tobacco (BAT) oder Philip Morris International (PMI) würden mit Umweltprojekten und Nachhaltigkeitsauszeichnungen umweltfreundliches Handeln suggerieren. Doch gleichzeitig fügten die Firmen Mensch und Umwelt massiven Schaden durch den Anbau und die Verarbeitung von Tabak zu.
Tatsächlich hinterlasse die Industrie einen signifikanten ökologischen Fußabdruck: Für die Fertigung von Zigaretten würden jährlich Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen und Milliarden Tonnen Wasser verbraucht. Auch sei Tabakanbau eine direkte Ursache für Entwaldung.
Während seit Jahrzehnten bekannt sei, dass Tabak der Gesundheit schadet, würden die ökologischen Auswirkungen der Tabakindustrie häufig übersehen, kritisieren die Expertinnen und Experten. “Tabak verursacht auch erhebliche ökologische Auswirkungen während des gesamten Lebenszyklus einer Zigarette, von der Abholzung von Wäldern über den Wasserverbrauch bis zur Entsorgung.”
Die WHO veröffentlichte die Papiere “Talking Trash: Behind the Tobacco Industry’s ‘Green’ Public Relations” und "Tobacco: poisoning our planet" im Vorfeld beziehungsweise anlässlich des Nichtrauchertags am 31. Mai. Dieser steht unter dem Motto “Tabak: Bedrohung für unsere Umwelt”. Die Weltgesundheitsorganisation will unter anderem bewirken, dass Regierungen das Greenwashing verbieten und keine Partnerschaften mehr mit den Tabakkonzernen eingehen, die sich zunehmend als Umweltschützer darstellen.
Immense Umweltauswirkungen
Jährlich würden weltweit mehr als 32 Millionen Tonnen Tabakblätter angebaut und rund sechs Billionen Zigaretten hergestellt. Herstellung und Konsum würden jedes Jahr mehr als acht Millionen Menschenleben kosten – und 600 Millionen Bäume, 200.000 Hektar Land sowie 22 Milliarden Tonnen Wasser verbrauchen. Zudem würden jährlich rund 84 Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) freigesetzt, rechnet die WHO vor. Eine Studie des Imperial College London ergab, dass jede Zigarette durchschnittlich einen CO2-Fußabdruck von 14 Gramm hat und für die Produktion 3,7 Liter Wasser und 3,5 Gramm Öl verbraucht werden.
Die WHO weist darauf hin, dass der Tabakanbau und die Trocknung der Ernte direkte Ursachen für Waldrodungen sind. Und in vielen der Produktionsländer sei die Lage der Wasserversorgung schon ohne die bewässerungsintensive Tabakproduktion angespannt.
Die Leiterin der Nichtregierungsorganisation Unfairtobacco, Sonja von Eichborn, sprach die von der Branche verursachte weltweite Schieflage an: “Während die Menschen in den Industrieländern vergleichsweise leicht die schädlichen Nebenwirkungen des Rauchens abstellen können, haben es die Kleinbauern in Afrika und Asien viel schwerer, sich dem krankmachenden Produkt zu entziehen.” Fast 90 Prozent des Tabakanbaus entfalle auf den globalen Süden und werde in den Norden exportiert. Einst bewaldete Flächen in Simbabwe, Tansania, Sambia, Malawi und Bangladesch seien durch den Kahlschlag der Erosion ausgesetzt. “Mangels Holz verbrennen die Farmer in ihrer Not schon Zuschnittreste aus Bekleidungsindustrie, die giftige Dämpfe ausstoßen”, erklärte von Eichborn.
Da Tabak-Monokulturen für Schädlinge anfällig seien, setzten die Bauern Pestizide ein, darunter in Deutschland verbotene Chemikalien wie 1,3-Dichlorpropen. Sie landen nicht nur im Grundwasser, sondern auch in Flüssen, wo sie mit den Fischbestände und somit die Lebensgrundlage der Anwohner zerstören. Hinzu komme die Kontamination der Plantagenarbeiter durch Nikotin, das beim Umgang mit den Pflanzen in die Haut eindringe. Sie leiden laut von Eichborn an der Grünen Tabakkrankheit mit den Symptomen Übelkeit, Schwindel und Herzschwäche. Von Eichborn fordert ein EU-Lieferkettengesetz mit europaweit verpflichtenden Menschenrechts- und Umweltstandards.
Teurer Giftmüll
Neben der Produktion stellt auch die Entsorgung von Zigaretten ein Problem dar: Tabakprodukte enthielten über 7000 giftige Chemikalien, die beim Wegwerfen in die Umwelt gelangten, sagte Rüdiger Krech, Direktor für Gesundheitsförderung bei der WHO. Rund 4,5 Billionen Zigarettenfilter landen demnach jedes Jahr in Ozeanen und Flüssen, auf Bürgersteigen und Böden und an Stränden. Die Kosten für die Beseitigung weggeworfener Tabakerzeugnisse trügen fast immer die Steuerzahler und nicht die Industrie. Die Kosten in Deutschland belaufen sich laut Schätzungen der WHO auf mehr als 200 Millionen US-Dollar (186 Millionen Euro). China zahle jährlich etwa 2,6 Milliarden US-Dollar und Indien etwa 766 Millionen US-Dollar.
Auch die Vorstöße der Tabakfirmen in das Geschäft mit elektronischen Zigaretten lösten die Umweltprobleme nicht, sondern schafften neue, so die WHO. “Diese Produkte werden Nutzer nicht nur in der Nikotinabhängigkeit halten, sondern eine ganz neue ökologische Krise verursachen”, heißt es in dem Bericht unter Verweis auf die nötigen Batterie- und Plastikkomponenten sowie die Entsorgung der Flüssigkeitsbehälter.
“Goldstandard” und “Climate Leader”
Ein ganz anderes Bild von den Auswirkungen ihres Geschäfts zeichnen die Unternehmen selbst: Die vier größten Tabakfirmen British American Tobacco, Philip Morris International, Japan Tobacco International und Imperial Brands schmückten sich gerne mit Zertifizierungen für ihre Nachhaltigkeit, heißt es in dem Bericht.
Als Beispiel wird unter anderem British American Tobacco genannt: Im November 2021 feierte der Konzern seine zwanzigjährige Präsenz im Nachhaltigkeitsindex des Dow Jones. “An anderer Stelle behauptet das Unternehmen, dass es einen ‘Goldstandard’ in einem anderen Index für Umwelt-, Sozial- und und Governance (ESG)-Berichterstattung erreicht”, heißt es in dem Bericht. ESG steht für Environmental, Social, Governance beziehungsweise Umwelt, Soziales und (verantwortungsvolle) Unternehmensführung.
“Die sorgfältig ausgearbeitete Botschaft an Finanzanalysten, die Medien und die politischen Entscheidungsträger ist einfach: Dies ist ein Unternehmen, das weltweit für sein Engagement für die Menschen und den Planeten anerkannt ist”, so die WHO.
Mit Philip Morris International sei auch einer der Hauptkonkurrenten das fünfte Jahr in Folge mit dem “A-List”-Status in einem Nachhaltigkeitsindex vom Climate Disclosure Project (CDP) ausgezeichnet worden. Alle vier größten privatwirtschaftlichen Tabakunternehmen der Welt – British American Tobacco, Philip Morris International, Japan Tobacco International, führten das CDP und andere Umweltrankings an prominenter Stelle auf ihren Websites.
Willkürliche Zertifizierungen und Rankings
Die WHO hält diese Ranking-Systeme für irreführend: Analysten für nachhaltige Investitionen warnten demnach davor, ESG-Kriterien berücksichtigten nicht das Produkt oder die Dienstleistung des Unternehmens, sondern nur wie ein Unternehmen arbeitet. Die Autoren erklären: “Daher wird bei ESG-Auszeichnungen in der Regel die einzigartige Schädlichkeit und Tödlichkeit von Tabakerzeugnissen ignoriert. Außerdem werden Tabakunternehmen in der Regel nicht im Vergleich zu wirklich nachhaltigen Unternehmen bewertet, sondern nur im Vergleich untereinander.”
International gebe es keine vereinbarten Kriterien zur Bewertung der ESG-Aktivitäten. Weltweit fände man über 600 verschiedene ESG-Ansätze, die nicht vergleichbar seien. Offenlegunspflichten für die ESG-Berichterstattung bestünden auch nicht. So könnten die Firmen nur die Nachhaltigkeitsdaten veröffentlichen, von denen sie profitieren.
Wenn einer Firma das Ergebnis eines ESG-Zertifizierers nicht genehm sei, könne sie einfach ihre Teilnahme an diesem Akkreditierungssystem zurückziehen. Als beispielsweise British American Tobacco, Japan Tobacco International und Imperial Brands im Jahr 2017 vom CDP Forestry schlechte Bewertungen in Bezug auf Offenlegung und Auswirkungen erhielten, seien alle drei aus dem Programm ausgetreten.
Die WHO urteilt: “Die Art und Weise, wie die Industrie diese sogenannten ‘Nachhaltigkeitspreise’ nutzt, wenn das System sie in einem guten Licht darstellt, ist ein klassischer Fall von Greenwashing.”
Regierungen und Zertifizierer sollen handeln
Flankiert würden die Greenwashing-Strategien der Konzerne durch vereinzelte Finanzierung von Umwelt- und Sozialprojekten. Das Geld fließe hauptsächlich nach Asien, Lateinamerika und Europa, wo die Tabakunternehmen ihre Umsätze und Gewinne steigern wollen. In Afrika hingegen, wo nach WHO-Angaben am dringendsten Hilfe benötigt werden würde, engagierten sich die Unternehmen kaum.
“Trotz der Versuche der Industrie, ihr Image zu verbessern, bleibt der Tabakkonsum eine der führenden Ursachen vorzeitigen Todes und eine der Hauptursachen für Umweltschäden”, warnen die Autoren. Sie erinnern daran, dass Regierungen, die das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakkonsums (FCTC) unterzeichnet haben, dazu verpflichtet seien, Einflussnahme der Tabakindustrie auf die Gesundheitspolitik auszuschließen.
Regierungen sollten die Greenwashing-Bemühungen der Tabakhersteller nach Ansicht der WHO verbieten. Mit dem FCTC existiere dafür auch eine Handlungsgrundlage. Und auch die Akkreditierungsorganisationen für Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards ruft die Gesundheitsorganisation dazu auf, ihre Unterstützung für Greenwashing in der Branche zu stoppen und keine Auszeichnungen mehr an die Tabakindustrie zu vergeben. (dpa / hcz)