Ägypten: Sechs Frauen wegen TikTok-Videos verurteilt

TikTok
Die ägyptische Regierung schränkt die Meinungsfreiheit im Internet mit Gesetzen ein. (Quelle: Kon Karampelas/unsplash)

Auf der Plattform TikTok veröffentlichen vor allem junge Menschen kurze Videos, in denen sie etwa tanzen oder singen. Sechs junge Ägypterinnen wurden deshalb nun zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt: Ein Gericht sprach die Ägypterinnen Mauada al-Adham und Hanin Hussam am 27. Juli wegen der “Verletzung von Familienwerten” schuldig, verhängte eine Haftstrafe von zwei Jahren sowie eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet etwa 16.000 Euro. Hussam habe zudem zu “Sittenlosigkeit und Ausschweifungen” angestiftet. Sie hatte in einem Video dazu aufgefordert, Videos auf der Plattform “Likee” zu veröffentlichen, die Geld für Klicks bezahlt.

Drei weitere, nicht namentlich genannte, Frauen wurden zu derselben Strafe verurteilt, berichtet die ägyptische Nachrichtenseite “Mada Masr”. Sie sollen die beiden Frauen unterstützt haben.

Am 29.Juli wurde außerdem die Ägypterin Manar Sami aus ähnlichen Gründen zu drei Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt, schreibt die Deutsche Welle. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Am 17. August sollen die Fälle von Al-Adham und Hussam in Berufung gehen.

Keine anstößigen Videos

TikTok-Video
Al-Adham in einem ihrer Videos. (Screenshot: Posteo)

In den beanstandeten TikTok-Videos sieht man Al-Adham beispielsweise mit blau gefärbten Haaren in einem Haifisch-Kostüm. In anderen Videos trägt sie ihre Haare offen, zeigt sich mit Lippenstift und modischer Kleidung. Die Studentin Hussam, die in ihren Videos normalerweise mit Kopftuch zu sehen ist, präsentierte auf TikTok vor allem Tanz-Videos. An westlichen Normen gemessen sind es normale Videos, die nicht anstößig sind.

Rechtliche Grundlage für die Verurteilungen ist ein 2018 eingeführtes Gesetz zur Online-Kriminalität. Demnach kann jeder Beitrag im Internet, der gegen “Familienwerte und Werte der ägyptischen Gesellschaft” oder die “öffentliche Moral” verstößt, zu einer hohen Geld- oder Haftstrafe führen. So ist etwa schon ein Facebook-Kommentar für das Recht auf Abtreibung Grund genug für eine Festnahme. Konten in den sozialen Netzwerken mit mehr als 5000 Abonnenten werden als öffentliche Internetseiten eingestuft und von der staatlichen Medienaufsicht überwacht.

Kontrolle der sozialen Medien

Verurteilungen wegen regierungskritischer Inhalte auf Facebook und Twitter häufen sich bereits seit der Machtübernahme von Präsident Abdel Fattah al-Sisi vor sechs Jahren. Seit 2017 wurden laut der ägyptischen Organisation AFTE zum Schutz von Rede- und Meinungsfreiheit außerdem mehr als 500 Websites blockiert.

Durch vage Formulierungen in Gesetzen haben Staatsanwaltschaften und Richter vergleichsweise viel Spielraum. So fallen Urteile in Ägypten häufig auch wegen “Verbreitens von Falschnachrichten” oder “Missbrauchs von sozialen Medien”. In den vergangenen Jahren wurden auch Schauspielerinnen, Schriftsteller, Popstars und Bauchtänzerinnen wegen Verstößen gegen die Moral festgenommen.

Formal sei an den Urteilen nichts zu beanstanden, sagte Nihad Abu Qumsan, Leiterin des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte, der Deutschen Welle. Sie kritisierte allerdings den Gesetzesartikel: “Er ist falsch, irrig und gehört abgeschafft.”

Kritik von Menschenrechtsaktivisten

“Die Festnahme und strafrechtliche Verfolgung ägyptischer Bloggerinnen, nur weil sie Videos von sich selbst beim Tanzen oder Singen gepostet haben, ist ein empörender Angriff auf die Freiheitsrechte”, sagte Vanessa Ulrich von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International der Deutschen Welle. Das Urteil zeige, wie vage Anklagen eingesetzt würden, “um Online-Plattformen zu kontrollieren und patriarchale Sozial- und Rechtssysteme zu stärken”.

Weitere Urteile könnten folgen. Seit April wurden mindestens neun Frauen wegen vergleichbarer Vorwürfe festgenommen. Einige von ihnen auch wegen Prostitution, die in Ägypten unter Strafe steht. Dabei stünden vor allem Frauen aus ärmeren Schichten im Visier der Staatsanwaltschaft, sagte Lubna Darwisch von der Egyptian Initiative for Personal Rights der Nachrichtenseite “Mada Masr”. Unterdessen fordern ägyptische Parlamentarier ein Verbot von TikTok, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Die App fördere Nacktheit und Sittenlosigkeit, so ihr Vorwurf.

Die Kriminalisierung kommt zeitgleich zu einer neuen Debatte rund um sexuelle Übergriffe. Mehrere ägyptische Frauen wurden vor einigen Wochen gelobt für ihren Mut, Vorwürfe gegen einen 21 Jahre alten Wirtschaftsstudenten öffentlich zu machen. Ihre Instagram-Beiträge führten zu seiner Festnahme und Ermittlungen in einem Land, in dem einer UN-Studie von 2013 zufolge 99 Prozent der Frauen schon einmal sexuell belästigt wurden. (dpa / js)