Ölkonzern ExxonMobil wusste früh von Erderwärmung
Noch bis vor wenigen Jahren haben hochrangige Vertreter des Ölkonzerns ExxonMobil wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel in Zweifel gezogen oder die Folgen der Erderwärmung heruntergespielt. Dabei wusste das Unternehmen bereits seit Ende der 1970er Jahr sehr detailliert über die anstehenden klimatischen Veränderungen Bescheid, wie eine nun in der Wissenschaftszeitschrift Science veröffentlichte Studie belegt.
Die Forscherinnen und Forscher der Harvard University und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) haben 104 interne Dokumente von ExxonMobil analysiert, die 2015 mithilfe investigativer Journalisten an die Öffentlichkeit gelangt waren. Die untersuchten Dokumente stammen aus den Jahren 1977 bis 2003.
Darin hätten die vom Unternehmen beauftragten Fachleute bereits recht exakte Prognosen aufgestellt, wie sich die globalen Temperaturen entwickeln werden. Die Dokumente – unter anderem 72 wissenschaftliche Studien – belegten, dass die konzerneigenen Wissenschaftler schon vor Jahrzehnten von einer massiven Erderwärmung und entsprechend “dramatischen Umweltauswirkungen vor dem Jahr 2050” ausgingen.
Die Autoren der aktuellen Studie erklären: “Unsere Ergebnisse zeigen, dass ExxonMobil schon vor Jahrzehnten nicht nur ‘etwas’ über die globale Erwärmung wusste – sie wussten genauso viel wie akademische und staatliche Wissenschaftler.”
Hohe wissenschaftliche Qualität
Selbst ein verbleibendes CO2-Budget für eine Begrenzung der Erwärmung auf unter 2 Grad Celsius hätten die Exxon-Mitarbeiter präzise vorausberechnet. Sie sagten auch genau voraus, wann die Erwärmung anhand von Messwerten das erste Mal festgestellt werden wird.
Die Qualität der Untersuchungen sei mindestens genauso hoch gewesen wie bei unabhängigen akademischen und staatlichen Stellen wie der NASA oder dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). “Doch während diese Wissenschaftler daran arbeiteten, ihr Wissen zu kommunizieren, bemühte sich ExxonMobil, es zu leugnen”, so die Studienautoren.
Lügen in der Öffentlichkeit
Die Mitglieder des Exxon-Managements seien über die Forschungergebnisse informiert gewesen. Trotzdem hätten sie Erkenntnisse zur Erderwärmung in der Öffentlichkeit angezweifelt oder falsche Behauptungen aufgestellt. “Was ExxonMobil erstaunlich genau wusste, und was ExxonMobil dann bekanntlich leider tat, steht in scharfem Kontrast“, ”https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/oelkonzern-exxon-kannte-klimawirkung-ganz-genau-neue-studie-in-science" target="_blank">erklärte Stefan Rahmstorf vom PIK, Ko-Autor der Studie. Konkret hätten Mitarbeiter des Unternehmens Unsicherheiten überbetont, Klimamodelle verunglimpft, einen Mythos der globalen Abkühlung aufgebaut und Unwissenheit über die vom Menschen verursachte Erwärmung vorgetäuscht.
1999 hatte beispielsweise der damalige CEO Lee Raymond wissenschaftliche Klima-Projektionen als “reine Spekulation” bezeichnet; sie basierten auf “komplett unbewiesenen Modellen”. Noch 2013 sprach der damalige CEO Rex Tillerson auf einer Aktionärsversammlung von “nicht belastbaren Klimamodellen”. 2016 bezeichnete er den Klimawandel sogar als rein “ingenieurtechnisches Problem”.
Ganze Branchen wissen seit Jahrzehnten Bescheid
Aus weiteren Dokumenten sei hervorgegangen, dass der größte Wirtschaftsverband der US-amerikanischen Öl- und Gasindustrie ebenfalls seit mindestens den 1950er Jahren von den dramatischen Folgen der fossilen Brennstoffe wusste. Die Kohleindustrie verfügte zudem mindestens seit den 1960er Jahren über dieses Wissen, die Stromversorger, der Ölkonzern Total sowie die Autokonzerne GM und Ford seit mindestens den 1970er Jahren. Dennoch hätten die Konzerne eine den Erkenntnissen abweichende Kommunikationsstrategien verfolgt, so die Klimawissenschaftler.
Alle Hersteller fossiler Brennstoffe seien sich spätestens seit den 1970er Jahren der Bedrohung durch den Klimawandel bewusst gewesen. Und sie hätten auch gewusst, dass Treibhausgase, die bei der Verwendung ihrer Produkte entstehen, die Ursache dafür sind. ExxonMobil scheine aber das einzige Unternehmen gewesen zu sein, dass hochwertige Wissenschaft zu dem Thema betrieben hat.
“Heute verklagen Dutzende von Städten, Landkreisen und Bundesstaaten Öl- und Gasunternehmen wegen ‘langjähriger interner wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Ursachen und Folgen des Klimawandels und öffentlicher Täuschungskampagnen’, heißt es in der Studie. Gegen ExxonMobile laufen inzwischen verschiedene Schadensersatzklagen wegen des Vorwurfs, die Öffentlichkeit bewusst getäuscht zu haben. Zudem haben das Europäische Parlament und der US-Kongress zu dem Thema Anhörungen abgehalten.
In einer aktuellen Stellungnahme weist ExxonMobil die Kritik der Klimawissenschaftler zurück. “Jene, die darüber sprechen, wie ‘Exxon Bescheid wusste’, liegen mit ihren Schlussfolgerungen falsch”, erklärte Unternehmenssprecher Todd Spitler. Gut gemeinte interne Debatten seien angeblich ins Licht einer Desinformationskampagne gerückt worden.
“Dies [die neue Studie] ist der Sargnagel für die Behauptungen von Exxon Mobil, dass das Unternehmen zu Unrecht der bewussten Klimavergehen beschuldigt wurde”, sagt hingegen Geoffrey Supran , der Hauptautor der Studie von der Harvard University. 2019 war Exxon wegen Irreführung von Investoren in New York verklagt worden. Der Prozess endete damals mit einem Freispruch für den Öl-Konzern – aus Mangel an Beweisen. Die Studie verleiht den weiteren laufenden juristischen und politischen Ermittlungen gegen ExxonMobil aber zusätzliches Gewicht, schreibt das PIK. (hcz)