Saudi-Arabien: Regierungskritiker droht Todesstrafe wegen Twitter-Nutzung
Dem prominenten Reformbefürworter Awad al-Qarni droht in Saudi-Arabien die Todesstrafe, unter anderem weil er auf Twitter Beiträge veröffentlicht hatte. Das geht aus einem Bericht der britischen Zeitung The Guardian unter Berufung auf Gerichtsdokumente hervor.
Dem am Sonntag erschienenen Bericht zufolge fordert die Anklage die Todesstrafe für Awad al-Qarni. Aus der Anklageschrift gehe hervor, dass Awad al-Qarni “gestanden” habe, ein Twitter-Konto besessen und darüber seine Meinung geäußert zu haben. Zudem wird ihm vorgeworfen, er habe über WhatsApp angeblich “feindliche” Nachrichten über das Königreich Saudi-Arabien verbreitet. In der Anklageschrift werde außerdem die Nutzung des Messenger-Dienstes Telegram erwähnt. Die Gerichtsdokumente hat der Guardian von al-Qarnis Sohn erhalten, der inzwischen in Großbritannien lebt.
Der 65-jährige wurde bereits im September 2017 verhaftet.
Wie der Guardian berichtet, wird Awad al-Qarni in saudischen Staatsmedien als gefährlicher Prediger dargestellt. Dissidenten würden ihn aber als einen wichtigen und angesehenen Intellektuellen bezeichnen, der auf Twitter etwa zwei Millionen Follower hatte.
“Politisch motivierte” Festnahme
Human Rights Watch (HRW) hatte die Festnahme von Awad al-Qarni bereits im Jahr 2017 als politisch motiviert kritisiert. Der Organisation zufolge wurde er damals gemeinsam mit mehr als einem Dutzend anderen Personen verhaftet. Es habe sich dabei um ein koordiniertes Vorgehen gegen Andersdenkende gehandelt, darunter Aktivisten, Kleriker und Medienschaffende. Die Festnahmen erfolgten wenige Monate nach der Ernennung von Mohammed bin Salman zum Kronprinzen.
Auch die Nachrichtenagentur Reuters hatte im Jahr 2017 über die Festnahmen berichtet. Demnach gehörte al-Qarni zu einer Gruppe Kleriker, die in der Vergangenheit Kritik an der Regierung geübt hatten. In der Zeit vor der Verhaftung hätten die Festgenommenen jedoch geschwiegen – die saudische Politik aber auch nicht öffentlich unterstützt. Laut HRW war Awad al-Qarni in den 1990er Jahren etwa Teil einer Bewegung, die gegen die Stationierung von US-amerikanischen Soldaten in Saudi-Arabien während des zweiten Golfkriegs protestiert hatte.
Jeed Basyouni von der britischen Menschenrechtsorganisation Reprieve kritisierte gegenüber dem Guardian, einer Gruppe von Gelehrten und Akademikern drohe in Saudi-Arabien die Todesstrafe, weil diese ihre Meinung geäußert hatten – auch über Twitter. Das Königreich versuche ein Image als Investor in Technologien und moderne Infrastruktur zu vermitteln. Dem stünden aber die Fälle entgegnen, in denen die Staatsanwaltschaft die Tötung von Menschen für Meinungsäußerungen fordere. Die Betroffenen seien “nicht gefährlich, sie rufen nicht zum Umsturz des Regimes auf”, so Basyouni.
Verurteilung wegen Twitter-Nutzung
Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch stellt in ihrem vergangene Woche veröffentlichten “World Report” fest, die Behörden in Saudi-Arabien würden zunehmend gegen Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien vorgehen.
So wurde die 34-jährige Salma al-Schihab Anfang August 2022 zu 34 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie auf Twitter Frauenrechtsaktivistinnen folgte und deren Beiträge geteilt hatte. Sie unterliegt zudem einem Reiseverbot von weiteren 34 Jahren.
Wenig später hatte ein saudisches Gericht Nura al-Kahtani zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt. Angaben von Menschenrechtlern zufolge wurde auch sie verurteilt, weil sie ihre Meinung auf Twitter geteilt hatte.
Laut Human Rights Watch hatten die Behörden im September außerdem die in Saudi-Arabien lebende US-Bürgerin Carly Morris vorgeladen. Morris hatte zuvor auf Twitter das System der männlichen Vormundschaft kritisiert, das sie daran hindere, Saudi-Arabien gemeinsam mit ihrer Tochter zu verlassen.
Auch der US-amerikanisch-saudische Staatsbürger Salah al-Haidar werde weiter von den Behörden wegen seiner in sozialen Medien geübten Kritik an der Regierung angeklagt. Zwischen Mai 2019 und Februar 2021 war er bereits inhaftiert, jedoch gegen Kaution freigekommen.
Human Rights Watch zufolge werden Reformen in Saudi-Arabien durch die “weit verbreitete Repression” untergraben. Dutzende saudische Menschenrechtsaktivisten würden lange Haftstrafen verbüßen, weil sie sich für politische und rechtliche Reformen eingesetzt oder die Regierung kritisiert hatten.
Das Land vollstreckt auch vermehrt Todesurteile: Amnesty International hatte im Jahr 2021 einen starken Anstieg der Exekutionen in Saudi-Arabien dokumentiert. Anfang 2022 wurden in dem Land 81 Menschen an nur einem Tag hingerichtet. Human Rights Watch hatte damals kritisiert, bei den Verurteilungen sei gegen das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren verstoßen worden – die Getöteten seien teils gefoltert und ihre Geständnisse erzwungen worden. (js)