Österreich: Arbeitssuchende sollen Krankheitsgeschichte angeben

AMS
Eine Erklärung, welchen Einfluss eine Harnwegserkrankung auf die Job-Suche hat, bleiben die Betreiber von JobIMPULS schuldig. (Quelle: IMAGO / photosteinmaurer.com)

Die österreichische Arbeitsvermittlung will von Erwerbslosen sehr Persönliches wissen: Wer einen Job sucht, wird unter anderem zu Geburtsfehlern, psychischen Problemen und Geschlechtskrankheiten befragt. Die intimen Antworten sollen dem Arbeitsmarktservice (AMS) angeblich bei der Vermittlung von Arbeitsstellen helfen. Das berichten die österreichischen Medien ZackZack und Die Woche mit Johanna Jaufer. Datenschützer und Juristen haben Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Datenerhebungen.

Erwerbslosen wird im Rahmen des sogenannten JobIMPULS-Projekts ein digitaler Katalog mit 272 Fragen vorgelegt. Für jede der Fragen sollen die Arbeitssuchenden angeben, wie sehr sie auf sie zutreffen – von “stimmt gar nicht” bis “stimmt genau”. Neben harmlosen Nachfragen finden sich im Katalog auch Aussagen wie:

“Psychische Erkrankungen: schwere psychische Erkrankungen (z. B. schwere Depressionen, Psychosen, Verwirrtheit, Halluzinationen)”

“Geschlechts- oder Harnwegserkrankungen: Krankheit der Geschlechtsorgane (z. B. Eileiterinfektion bei Frauen oder Prostatainfektion bei Männern)”

“Gelegentlich bediene ich mich auch schon mal einer Notlüge.”

Freiwilligkeit unklar

Verantwortlich für die Befragung ist das AMS, das in seinen Aufgaben mit der deutschen Bundesagentur für Arbeit vergleichbar ist. Es handelt sich um ein Dienstleistungsunternehmen, das Arbeitskräfte vermittelt und sowohl Arbeitssuchende unterstützen soll als auch Arbeitgeber berät. In einer Stellungnahme betonte das AMS gegenüber ZackZack, die Angaben der Arbeitssuchenden seien freiwillig. Zweck des Fragebogens sei es, “weitere Ressourcen und Ansatzpunkte für die Beratung” zu erhalten.

Die beiden österreichischen Medien berichten allerdings von mehreren ehemaligen Erwerbslosen, denen die Freiwilligkeit des Fragebogens ganz und gar nicht bewusst war. Ein Betroffener erklärte: “Zu keinem Zeitpunkt wurde mir gesagt, dass das Ausfüllen auf freiwilliger Basis erfolgt. Ich hatte immer das Gefühl, ich muss diesen Fragebogen ausfüllen.” Die von den Arbeitssuchenden zu unterschreibende Einwilligungserklärung wollte das AMS auf Anfrage nicht herausgeben. Das Nutzerkonto mit Klarnamen legt ein AMS-Mitarbeiter vor Ort im Beisein des Erwerbslosen an.

Die Ergebnisse der Befragung werden laut AMS nur zwischen den Arbeitssuchenden und den Beraterinnen und Beratern besprochen. Die Rohdaten erhält allerdings das deutsche Unternehmen Jobnet AG, von dem das System stammt. Die Firma hatte bereits im Jahr 2018 den Zuschlag für das Projekt erhalten.

Legalität bezweifelt

AMS-Chef Johannes Kopf reagierte auf die Medien-Veröffentlichung mit einem Tweet: “Ich persönlich teile die Verwunderung über einzelne Fragen des Tests. Wir werden die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit des Einsatzes überprüfen und uns bei den AMS Trägern auch vergewissern, dass die Freiwilligkeit einfach verständlich, klar kommuniziert und sichergestellt wird.”

Auch die Betreiber des JobIMPULS-Projekts äußerten sich inzwischen zu den Vorwürfen. Sie erklärten, ihrer Ansicht nach seien die Bestimmungen der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) eingehalten worden. Von ZackZack konsultierte Datenschützer haben diesbezüglich allerdings Bedenken: “Wenn nicht ausreichend klar vermittelt worden ist, dass das eine optionale Sache ist und es völlig freigestellt worden ist ob man das jetzt will oder nicht, dann wird auch daraus meiner Meinung nach eine Unzulässigkeit und damit eine Ungültigkeit der Einwilligung”, kommentierte Andreas Krisch, Mitglied des Datenschutzrates.

Und Arbeitsrechtsprofessor Martin Risak fragte: “Wofür brauche ich diese umfangreichsten Gesundheitsdaten die weit über das hinausgehen, was ein Arzt in einer Grundanamnese machen würde?” Arbeitslose, die auf Finanzleistungen des AMS angewiesen sind, “könnten gewaltig unter Druck geraten”, wenn sie die Fragen nicht beantworten wollten.

Auch Vertreter der Parteien SPÖ und FPÖ kritisierten das Vorgehen des AMS gegenüber den österreichischen Medien. Der SPÖ-Abgeordnete und Datenschutzsprecher Christian Drobits zweifelte die Freiwilligkeit bei den Befragungen an und sagte: “Ich will nicht, dass hinterfragt wird, wer einen Geburtsfehler hat und ich will auch nicht Suggestivfragen wie ‚Mir geht‘s meistens gut’ – das sind Suggestivfragen.” Die Praxis solle sofort eingestellt werden.

FPÖ-Specherin Dagmar Belakowitsch erklärte, es sei zynisch, Arbeitssuchende “mit solchen Fragen zu quälen”. Sie seien ohnehin schon in einer schwierigen Situation. Die Sinnhaftigkeit stellt sie in Frage: “Dieser Inhalt hat nichts mit einer Vermittlung zu tun. Da hätte ich gerne die Auskunft vom AMS – was passiert, wenn ich ankreuze: ich habe eine Geschlechtskrankheit.”

Wie hoch die Zahl der Betroffenen ist, ist noch nicht geklärt: Das AMS selbst erklärte in seiner Stellungnahme, dass es nicht wisse, wie viele Menschen bereits an dem seit 2018 laufenden Projekt teilgenommen hätten. Man rechne aber für den Rest des laufenden Jahres noch mit rund 35.000 neuen Nutzerlizenzen. (hcz)