Österreich: Sicherstellung von Datenträgern nur mit Richtervorbehalt
Die Sicherstellung von Mobiltelefonen und anderen Datenträgern in Strafverfahren ohne eine vorherige richterliche Genehmigung ist verfassungswidrig. Das hat der österreichische Verfassungsgerichtshof am Dienstag entschieden. Der Gesetzgeber muss nun nachbessern.
Nach der österreichischen Strafprozessordnung können Handys und andere Datenträger wie Computer aus Beweisgründen sichergestellt werden – Betroffene müssen auch die Auswertung von beschlagnahmten Datenträgern dulden. Bisher ist dafür keine richterliche Bewilligung erforderlich. In dem vorliegenden Fall hatte ein Unternehmer aus Kärnten geklagt, gegen den wegen des Verdachts der Untreue ermittelt wird.
Der österreichische Verfassungsgerichtshof urteilte nun, dass die gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist. Zwar erklärten die Richterinnen und Richter, es sei ein legitimes Ziel, Datenträger für die Strafverfolgung sicherzustellen und auszuwerten. Die angefochtenen Bestimmungen verstoßen nach Auffassung des Gerichts jedoch gegen das Datenschutzgesetz sowie das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Privatleben.
Grundrechtseingriff nicht verhältnismäßig
Der Gerichtshof erklärte, Grundrechtseingriffe müssten immer verhältnismäßig sein. Die Schwere des Eingriffs darf also nicht größer sein als die Bedeutung des Ziels, das erreicht werden soll.
Im vorliegenden Fall sahen die Richterinnen und Richter die Verhältnismäßigkeit aus mehreren Gründen nicht gewahrt. So stellten sie beispielsweise fest, im Unterschied zu anderen Gegenständen ermögliche der Zugriff auf einen Datenträger – dazu zählten beispielsweise auch Laptops – nicht nur ein punktuelles Bild über das Verhalten von Betroffenen. Vielmehr könnten “umfassende Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellt werden, die detailreiche Rückschlüsse auf das Verhalten, die Persönlichkeit und die Gesinnung des Betroffenen zulassen”, so das Gericht.
Außerdem sei es möglich, die so gewonnenen Daten mit weiteren Daten zu verknüpfen und abzugleichen. Unter Umständen könnten auch gelöschte Daten wiederhergestellt werden.
Der Eingriff in den Datenschutz und das Privatleben ist aus Sicht des Verfassungsgerichtshofs unter anderem deshalb besonders intensiv, weil eine Sicherstellung nach der derzeitigen Rechtsgrundlage bereits bei einem Anfangsverdacht auf eine leichte Straftat möglich sei.
Außerdem könnten sogar Datenträger von nicht verdächtigen Dritten sichergestellt werden – also etwa, weil eine Person einen Verdächtigen kennt. Ferner seien von der Sicherstellung auch sämtliche Personen betroffen, deren Daten auf dem sichergestellten Datenträger gespeichert sind. Verhältnismäßig seien die Bestimmungen auch deshalb nicht, weil für Betroffene nicht ersichtlich sei, wie und welche Daten ausgewertet werden.
Auch der Rechtsschutz der Betroffenen gegen die Ermittlungsbefugnisse der Behörden reiche nicht aus, so die Richterinnen und Richter.
Gesetzgeber muss nachbessern
Nun muss die österreichische Regierung die entsprechenden Bestimmungen in der Strafprozessordnung überarbeiten. Dafür hat sie bis zum 1. Januar 2025 Zeit.
Der Verfassungsgerichtshof erklärte, eine so weitgehende Maßnahme wie eine Sicherstellung von Datenträgern erfordere, dass ein Richter sie genehmige. Denn nur so könne überprüft werden, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen. Das Gericht müsse im Falle einer Bewilligung auch festlegen, “welche Datenkategorien und Dateninhalte aus welchem Zeitraum zu welchen Ermittlungszwecken ausgewertet werden dürfen”.
Außerdem muss der Gesetzgeber bei der Neuregelung das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung und die Grundrechte der Betroffenen gegeneinander abwägen und in Ausgleich bringen. Welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen dieser Ausgleich genügen müsse, hänge davon ab, wie intensiv der Grundrechtseingriff ist. So könne es beispielsweise einen Unterschied machen, ob Datenträger bei allen oder nur bei schweren Straftaten sichergestellt werden dürfen.
Justizministerin kündigt Umsetzung des Urteils an
Justizministerin Alma Zadić (Grüne) kündigte eine “zeitnahe” Umsetzung an. Sie kommentierte: “Ich begrüße, dass der Verfassungsgerichtshof mit seiner heutigen Entscheidung die grundrechtlichen Fragen und Abwägungen bei Handysicherstellungen verfassungsrechtlich geklärt hat.” Wichtig sei, dass eine neue Regelung die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung wahre und die behördlichen Ermittlungen nicht gefährde.
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) erklärte: “Es ist unser gesetzlicher Auftrag, dies umgehend zu korrigieren.” Es dürfe keine Zeit verloren werden. “Die aktuelle Gesetzeslage berücksichtigt nicht, dass Handys umfassende Informationen zu unserem gesamten Leben enthalten.”
Der Präsident der Richtervereinigung, Gernot Kanduth, sprach gegenüber der Nachrichtenagentur APA von einer “aus grundrechtlicher Sicht sehr wichtigen Entscheidung”.
Und auch die österreichische Bürgerrechtsorganisation Epicenter.works begrüßte die Entscheidung. Das Urteil unterstreiche den besonderen Status von Handys und wie schützenswert die darauf befindlichen Daten seien. (js)