227 Umweltschützer wurden 2020 weltweit getötet
Proteste gegen Abholzung oder Talsperren sind vielerorts lebensgefährlich: Im vergangenen Jahr sind weltweit mindestens 227 Umweltschützerinnen und -schützer getötet worden – mehr als je zuvor. Das geht aus dem jährlichen Bericht der Nichtregierungsorganisation Global Witness hervor, der am Montag veröffentlicht wurde.
Im zweiten Jahr in Folge führt Kolumbien die Statistik mit 65 ermordeten Umweltschützerinnen und -schützern an. Danach wurden die meisten Morde in Mexiko (30), auf den Philippinen (29), in Brasilien (20) und Honduras (17) verübt. Auch in der Demokratischen Republik Kongo (15), Guatemala (13) und Nicaragua (12) registrierte die Organisation zweistellige Fallzahlen. Außerdem werden Umweltschützer in vielen Ländern wegen ihrer Arbeit bedroht, überwacht, verhaftet und verleumdet.
Umgerechnet auf die Einwohnerzahl war Nicaragua das gefährlichste Land für Umweltaktivistinnen und -aktivisten, gefolgt von Honduras und Kolumbien.
Global Witness geht allerdings davon aus, dass die tatsächliche Zahl der getöteten Umweltschützer deutlich höher liegt. Zunehmende Einschränkungen der Pressefreiheit und anderer bürgerlicher Freiheitsrechte führten dazu, dass viele Fälle nicht gemeldet werden. Im Jahr 2019 waren weltweit 212 Umweltschützer getötet worden.
Deutlich mehr Morde in Afrika
Drei Viertel der Angriffe fanden in Lateinamerika statt. In Brasilien und Peru ereigneten sich die meisten Morde dabei in der Amazonasregion. In Afrika wurden insgesamt 18 Morde dokumentiert – 2019 waren es noch sieben. Allerdings sei es weiterhin schwierig, Fälle in Afrika zu verifizieren.
Weltweit standen die meisten Morde im Zusammenhang mit Protesten gegen die Abholzung von Wäldern, gefolgt von Wasser- und Dammbauprojekten. Auch mit dem Einsatz gegen Bergbau und andere Rohstoffgewinnung standen viele Morde im Zusammenhang. Rund ein Drittel aller seit dem Jahr 2015 dokumentierten Morde an Umweltschützern bringt Global Witness mit der Agrarindustrie und dem Bergbau in Verbindung.
Angriffe auf indigene Bevölkerungen
Überdurchschnittlich oft werden indigene Bevölkerungen angegriffen, wenn sie sich für ihre Rechte einsetzen – obwohl sie laut der Organisation nur fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Solche Angriffe wurden vor allem in Mexiko, Süd- und Zentralamerika sowie auf den Philippinen dokumentiert. Aber auch in Indonesien und Saudi-Arabien gab es Morde an Indigenen.
Im Norden Mexikos wurde beispielsweise der indigene Aktivist Óscar Eyraud Adams im September vergangenen Jahres vor seinem Haus von Unbekannten erschossen. Der Sprecher des Volks der Kumiai hatte zuvor gegen den Wassermangel in Tecate im Bundesstaat Baja California protestiert. Er warf der staatlichen Wasserbehörde Conagua vor, der Brauerei Heineken die Nutzung von Brunnen erlaubt zu haben, ohne die indigene Bevölkerung zu konsultieren.
Auf der philippinischen Insel Panay wurden im Dezember neun Indigene vom Volk der Tumandok bei einer Razzia durch das Militär und die Polizei ermordet. 17 weitere Personen wurden verhaftet. Sie hatten sich gegen ein Staudammprojekt engagiert.
Aber auch Beamte und Park-Ranger geraten häufig ins Visier: In der Demokratischen Republik Kongo wurden im vergangenen Jahr zwölf Ranger und ein Fahrer bei der Attacke einer Miliz im Nationalpark Virunga getötet.
Bei mehr als einem von 10 Morden weltweit waren zudem Frauen die Opfer. Häufig seien sie zusätzlich geschlechtsspezifischen Bedrohungen wie sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Frauen stünden daher oft vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits dem öffentlichen Einsatz zum Schutz ihres Landes und des Planeten. Andererseits einem häufig unsichtbaren Kampf um ihr Recht, innerhalb ihrer Gemeinschaften zu sprechen – denn in vielen Teilen der Welt seien Frauen noch immer vom Landbesitz und von Diskussionen über die Nutzung natürlicher Ressourcen ausgeschlossen.
Hinter den Gewalttaten gegen Umweltschützer steckten zumeist Unternehmen, Bauern und teilweise auch auch staatliche Akteure sowie kriminelle Banden, paramilitärische Gruppen und Rebellen.
Staaten und Unternehmen müssen handeln
Global Witness wirft Staaten vor, beim Schutz von Menschenrechten zu versagen. Länder wie Brasilien, Kolumbien und die Philippinen hätten die Corona-Pandemie genutzt, um ihre Bürger mit drakonischen Maßnahmen zu kontrollieren und den zivilen Raum weiter einzuschränken. In solchen Gesellschaften komme es häufiger zu Angriffen auf Umweltaktivisten als in offenen Gesellschaften.
In dem Bericht heißt es, die Klimakrise werde meist mit ihren Umweltauswirkungen in Verbindung gebracht. Doch die seit dem Jahr 2012 von Global Witness gesammelten Daten zeigten, dass die Ausbeutung der Natur auch zunehmend gewaltsame Auswirkungen auf Menschen habe.
Chris Madden von Global Witness sagte: “Wir hoffen, eines Tages über ein Ende der Gewalt gegen diejenigen berichten zu können, die unseren Planeten und ihr Land verteidigen. Aber solange Regierungen nicht ernsthaft den Schutz von Landverteidigern in Angriff nehmen und Unternehmen nicht Menschen und den Planeten über den Profit stellen, werden der Klimakollaps und die Morde weitergehen.”
Die Organisation fordert Staaten auf, Land und Umweltaktivisten zu schützen. Gesetze, die Aktivisten kriminalisieren, müssten abgeschafft werden. Stattdessen sollten die Regierungen Unternehmen zur Verantwortung ziehen.
Die Vereinigten Nationen sollten das Menschenrecht auf eine sichere, gesunde und nachhaltige Umwelt formell anerkennen. Die EU sollte alle Unternehmen, die dort tätig sind, verpflichten, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu ermitteln und zu beseitigen.
Schließlich fordert die Organisation auch Firmen auf, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihren Lieferketten zu erkennen, zu bewerten, zu verhindern und zu mindern. Sie müssten außerdem eine Null-Toleranz-Haltung gegenüber Repressalien und Angriffen auf Land- und Umweltaktivisten einnehmen und umsetzen. (dpa / js)