Reporter ohne Grenzen: Notstand der Pressefreiheit in Polen

Stacheldraht an der polnischen Grenze in Kryn
Reporter ohne Grenzen fordert auch, Einschränkungen bei der Berichterstattung an der polnischen Grenze zu Belarus aufzuheben. (Quelle: IMAGO / NurPhoto)

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) hat in Polen den “Notstand der Pressefreiheit” ausgerufen. Die Organisation begründet diesen Schritt zum einen mit der geplanten Änderung des polnischen Rundfunkgesetzes, durch das der regierungskritische TV-Sender TVN zum Schweigen gebracht werden könnte. Zum anderen kritisiert sie die willkürliche Einschränkung der Pressefreiheit an der polnischen Grenze zu Belarus.

Bei einem Besuch in Warschau in der vergangenen Woche appellierte eine RSF-Delegation an das Parlament und Präsident Andrzej Duda, die Gesetzesnovelle abzulehnen. Nach dem neuen Rundfunkgesetz sollen aus dem Ausland kontrollierte Sendeanstalten keine Rundfunklizenzen mehr erhalten. Firmen, die ihren Hauptsitz nicht innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums haben, dürften außerdem nicht mehr als 49 Prozent Anteile an polnischen Medienunternehmen halten.

Die Opposition und andere Kritiker vermuten, dass das Gesetz auf den Privatsender TVN und sein Informationsprogramm TVN24 abzielt. Er vertritt regierungskritische Positionen und gehört zu einer niederländischen Holding-Gesellschaft; diese ist wiederum Teil des US-Konzerns Discovery. TVN ist der einzige Sender, der unmittelbar von der Gesetzesänderung betroffen wäre.

Senat hat Gesetzesänderung abgelehnt

Das polnische Parlament hatte das geänderte Rundfunkgesetz im August mit knapper Mehrheit beschlossen. Schon damals hatte es für massive Konflikte in Polen gesorgt: Das nationalkonservative Regierungsbündnis war Anfang August zerbrochen, nachdem der polnische Vize-Ministerpräsident Jaroslaw Gowin entlassen wurde. Er hatte sich gegen das Gesetz ausgesprochen. Die Partei “Recht und Gerechtigkeit” (PiS) muss seitdem eine Minderheitsregierung führen.

Der von der Opposition dominierte Senat hatte die Gesetzesnovelle in der vergangenen Woche zwar abgelehnt. Doch nun geht die Gesetzesänderung zurück ins Parlament. RSF warnt, dass dieses die Entscheidung des Senats kippen und die Änderungen am Rundfunkgesetz somit doch noch auf den Weg bringen könnte. Auch wäre es möglich, dass das Parlament eine Entscheidung vorerst aufschiebt, um den Druck auf TVN zu erhöhen. Verhindert werden könnte das Gesetz auch von Präsident Duda: Nach Medienberichten hatte er bereits im August mitgeteilt, bereit zu sein, ein Veto gegen das Gesetz in seiner jetzigen Fassung einzulegen.

Modifiziertes TVN-Logo auf einem Button
Reporter ohne Grenzen fordert eine Erneuerung der Sendelizenz für TVN24. (Quelle: IMAGO / NurPhoto)

Die polnische Regulierungsbehörde KRRiT hat bisher keine neue Sendelizenz für TVN24 genehmigt, obwohl der Sender diese bereits vor einem Jahr beantragt hatte. Am 26. September läuft die derzeitige Lizenz aus. Vertreterinnen und Vertreter von Reporter ohne Grenzen haben in der vergangenen Woche bei einem Treffen mit KRRiT-Chef Witold Kołodziejski eine Erneuerung der Sendelizenz für TVN24 gefordert.

Der Sender hatte zwischenzeitlich eine Lizenz in den Niederlanden beantragt und diese Mitte August erhalten. Sollte die polnische Behörde die Rundfunklizenzen von TVN24 nicht erneuern, plant der Sender mit dieser Lizenz seine Arbeit in Polen aufrecht zu erhalten – dies sei durch EU-Recht möglich.

“Repolonisierung” der Medien

RSF fürchtet, durch die Gesetzesänderung könnte Discovery gezwungen sein, Anteile an TVN zu verkaufen. Dem Sender könnte damit dasselbe Schicksal drohen wie dem Verlag Polska Press: Diesem gehört ein Großteil der regionalen Tageszeitungen in Polen. Im Dezember hatte der teilstaatliche Ölkonzern Orlen den Verlag von der deutschen Verlagsgruppe Passau gekauft. Im Mai wurden dann drei Chefredakteure entlassen und durch regierungsfreundliche Mitarbeiter ersetzt.

Discovery hatte im August rechtliche Schritte angekündigt, sollte das Rundfunkgesetz geändert werden. Das Unternehmen sieht einen Verstoß gegen den im Jahr 1990 zwischen Polen und den USA geschlossenen Vertrag über Handels- und Wirtschaftsbeziehungen.

Bereits seit dem Frühjahr 2016 propagiert die Regierungspartei PiS die “Repolonisierung” der Medien im Land. Parteichef Jarosław Kaczyński erklärte damals, man werde bei der Nationalisierung der Medien “Schritt für Schritt” vorgehen. Ein Großteil der privaten polnischen Medien gehörte bislang ausländischen Unternehmen.

Pavol Szalai, Leiter der EU- und Balkan-Abteilung bei RSF, sagte bei einer Demonstration vor dem polnischen Senat: “Die PiS treibt eine Änderung des Rundfunkgesetzes voran, deren Ziel klar ist: die größte Quelle unabhängiger Nachrichten in [Polen] erst zu schwächen und dann zu kontrollieren.” Und weiter: “TVN anzugreifen bedeutet, die Pressefreiheit in Europa anzugreifen.”

Berichte von der Grenze zu Belarus verboten

RSF weist zudem auf jüngste Ereignisse in Polen hin, die eine weitere Verschlechterung der Pressefreiheit bedeuteten: So hat das Land Anfang September den Notstand an der Grenze zu Belarus erklärt, nachdem das Nachbarland Geflüchtete in Richtung Westen geschleust hatte. Auch Medienschaffende dürfen nicht in das Grenzgebiet – das Fotografieren von Soldaten, Grenzschützern und Polizisten ist verboten.

Nach Angaben von RSF hatte in der vergangenen Woche ein Reporter der Nachrichtenseite Onet.pl gemeinsam mit einem Kameramann das Grenzgebiet betreten. Bei ihrer Rückkehr erfuhren sie, dass sie wegen Verletzung des Notstands und dem Filmen an der Grenze strafrechtlich verfolgt werden. RSF fordert die Behörden auf, die Anklagen fallen zu lassen. Die Einschränkung der Pressefreiheit an der Grenze müsse aufgehoben werden.

Seit dem Regierungsantritt der PiS-Partei im Jahr 2015 hat sich Polen auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen um 46 Plätze verschlechtert: aktuell steht das Land auf Platz 64 von 180 Staaten. (js)