Amnesty: Europa liefert Überwachungstechnik an China

Europaparlament
Die EU-Kommission tut sich bereits seit Jahren schwer, die Menschenrechte in Exportentscheidungen einzubeziehen. (Quelle: EmDee – CC BY-SA 4.0)

Europäische Technik, die dazu dient, Menschenrechte zu verletzen und die Bevölkerung zu unterdrücken – was absurd klingt, ist laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Realität. Momentan können europäische Firmen fast unkontrolliert biometrische Überwachungs-Soft- und Hardware nach China liefern, die dort beispielsweise zur Gesichts-, Verhaltens- und Emotionserkennung dient.

Laut der heute veröffentlichten Amnesty-Analyse “Out of Control” riskieren die Unternehmen damit, “zu schweren Menschenrechtsverletzungen” beizutragen. Deswegen fordert die Organisation Exportkontrollen für solche Technologien. Das EU-Parlament, der Ministerrat und die EU-Kommission beraten heute in Brüssel darüber, ob der Export von Überwachungstechnik stärker reguliert werden soll.

EU tut sich schwer

Amnesty geht es um sogenanntes Dual-Use-Exportgut, also Produkte, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Bereits seit 2016 berät die EU-Kommission über eine Reform der Verordnung zu Ausfuhrkontrollen “Dual Use Regulation No 428/2009”. In ihr ist festgeschrieben, welche Regeln für den Handel mit bestimmten Produkten gelten, die auch militärisch genutzt werden können – beispielsweise Atomtechnik, Navigationssysteme und eben Überwachungstechnologien.

Künftig sollen mehr Produkte in die Regulierung einbezogen werden. Sorgfaltspflichten sollen eingeführt werden und auch neu entstehende digitale Überwachungsinstrumente sollen auf eine Kontrollliste kommen. Als Entscheidungskriterium soll die Lage der Menschenrechte in den Empfängerländern gelten. Die geplanten Maßnahmen würden laut Amnesty “dem langjährigen normativen Engagement der EU für den Schutz der Menschenrechte im internationalen Handel und in der internationalen Politik folgen”. Bislang werden sie aber vom Rat der Europäischen Union blockiert und der juristische Prozess sei stecken geblieben.

Lieferung ins Krisengebiet

In dem Bericht nennt Amnesty International drei Unternehmen aus Frankreich, Schweden und den Niederlanden als Negativbeispiele dafür, dass bislang zu wenig Kontrolle stattfindet. Diese lieferten digitale Überwachungstechnik an staatliche Institutionen – unter anderem in der chinesischen Region Xinjiang. Dort soll die Technik beispielsweise dazu eingesetzt werden, die Volksgruppe der Uiguren zu überwachen und zu unterdrücken. Massenüberwachung gehört aber in ganz China zum Alltag.

In der Region Xinjiang (offiziell: Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang) lebt ein Großteil der in China ansässigen Uiguren, aber auch Han-Chinesen und Mongolen. Regelmäßig kommt es in dem Gebiet zu ethnisch-religiösen Spannungen, auf die China mit repressiven Maßnahmen reagiert. Internationale Beobachter und Menschenrechtsorganisationen berichten von politischen Umerziehungslagern und massiven Menschenrechtsverletzungen.

Gefühlserkennung und 30.000 Kameras

Bei den exemplarisch erwähnten Firmen handelt es sich um Morpho (ehemals Idemia), Axis Communications sowie Noldus Informational Technology. Laut Bericht lieferte Morpho im Jahr 2015 Gesichtserkennungstechnik an das Shanghaier Amt für öffentliche Sicherheit. Gegenüber Amnesty bestätigte die Firma das Geschäft. Im Jahr 2017 – zwei Jahre nach dem Handel – erließ Morpho eine interne Regelung, die verbietet, Identifikationssysteme nach China zu verkaufen.

Axis Communications stellt Netzwerkkameras her und lieferte mindestens seit 2012 nach China. In Ausschreibungsunterlagen für staatliche Überwachung, die Amnesty vorliegen, wird Axis als “empfohlene Marke” erwähnt. Mehrere Quellen weisen darauf hin, dass Axis-Produkte für “wahllose Masssenüberwachung” eingesetzt werden.

Laut eigener Aussage lieferte das Unternehmen allein 30.000 Kameras für das chinesische Überwachungsprojekt “Skynet”. Die Geräte decken einen 360 Grad großen Blickwinkel ab und haben eine Reichweite von 300 bis 400 Metern. Gegenüber Amnesty behauptete die Firma, dass während der Teilnahme an den chinesischen Projekten nichts darauf hinwies, dass die Produkte zu Zwecken eingesetzt würden, die gegen die Menschenrechte verstießen.

Noldus verkaufte zwischen 2012 und 2018 Gefühlserkennungssysteme an Institutionen, die mit der chinesischen Polizei und anderen Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten. Das Produkt FaceReader erkennt automatisch, ob ein Mensch beispielsweise ärgerlich, glücklich, traurig, überrascht oder angeekelt ist. Bis Mitte vergangenen Jahres konnte das Programm unter anderem auch die Ethnie eines Menschen erkennen.

Nachdem niederländische Medien 2019 darüber berichtet hatten, dass Noldus sein Produkt direkt an das chinesische Ministerium für öffentliche Sicherheit verkauft, bestätigte das Unternehmen die China-Geschäfte. Zwar kann die Technik laut Amnesty nicht zur Massenüberwachung genutzt werden, sondern nur unter Laborbedingungen. Doch würde das Produkt in China dennoch von den Sicherheitsbehörden genutzt.

Die Exporte waren laut Amnesty von keinen speziellen Handelsrestriktionen oder -Kontrollen betroffen. Entsprechend unproblematisch kann solche Technik bislang in “Länder mit einem schlechten Ruf in Bezug auf Menschenrechte” exportiert werden. hcz