Bundestagsgutachten: Personenkennziffer eventuell rechtswidrig

Erkennungsmarke mit Personenkennziffer
Wenn Menschen zu Nummern wurden, ist in der Vergangenheit viel Elend passiert. (Quelle: Milgesch – gemeinfrei)

Es steht immer schlechter um die Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer, eine allgemeine Personenkennziffer einzuführen. Nun hat sich nämlich auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zu Wort gemeldet, er hält das geplante Gesetz für verfassungsrechtlich problematisch und rechnet mit “erheblichen Schwierigkeiten” bei der Umsetzung. Zuvor hatten bereits der Bundesdatenschutzbeauftragte, die Datenschutzkonferenz, Bürgerrechtsorganisationen und die Opposition Bedenken geäußert.

Die Autoren des Gutachtens urteilen, dass sowohl die Einführung einer Identifikationsnummer als auch die Verarbeitung von personenbezogenen Daten Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen. In der Gesamtschau sei die Eingriffsintensität als hoch zu bewerten.

Menschen zu Zahlen

Die Bundesregierung plant mit dem Registermodernisierungsgesetz (RegMoG-E) jeder dauerhaft in Deutschland lebenden Person eine Personenkennziffer zuzuteilen, die bei 51 staatlichen Registerstellen bekannt ist und dem jeweiligen Menschen auf Lebenszeit zugeteilt ist. Sie leitet sich von der heute schon bestehenden Steuer-ID ab. Auf diese Weise sollen Verwaltungsaufwand und Kosten verringert werden. Bislang darf die Steuer-ID nur für Besteuerungsverfahren genutzt werden. Der Gesetzentwurf liegt momentan dem Bundeskabinett zur Abstimmung vor.

Laut Gutachten sei es mithilfe der Personenkennziffer unter Umständen möglich, Persönlichkeitsprofile anzufertigen – auch wenn mit der aktuellen Fassung noch kein “Superregister” vorgesehen ist. Kritisiert wird aber, dass der Entwurf keine ausdrückliche Regelung enthält, die eine Bildung von Persönlichkeitsprofilen untersagt. Bedenken gibt es auch im Hinblick darauf, ob die vorgesehenen technisch-organisatorischen Schutzmaßnahmen ausreichen. Die Autoren verweisen außerdem auf mehrere Gerichtsurteile, die eine mögliche Profilbildung verbieten.

So hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 1969 im sogenannten Mikrozensus-Beschluss ein “Verbot der umfassenden Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit” ausgesprochen. Im sogenannten Volkszählungsurteil von 1983 erklärte das Bundesverfassungsgericht auch ein “einheitliches Personenkennzeichen” für unzulässig: “[…] eine umfassende Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit durch die Zusammenführung einzelner Lebensdaten und Personaldaten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen der Bürger ist auch in der Anonymität statistischer Erhebungen unzulässig.” Das Finanzgericht Köln sprach im Jahr 2010 zur Einführung der Steuer-ID von einem strikten Verbot eines einheitlichen, für alle Register und Daten geltenden Personenkennzeichens. Die Steuer-ID fällt nicht unter dieses Verbot, weil sie nur “bereichsspezifisch” genutzt wird.

Kritiker befürchten, dass Daten ohne das Einverständnis und Wissen der Betroffenen verknüpft werden und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt wird. Außerdem wird auf Parallelen zu den Systemen der DDR und Nazideutschlands verwiesen. In beiden Staaten existierten ähnliche Verwaltungssysteme, in denen den Bürgern Nummern zugeteilt wurden. Für ihre “Geschichtsvergessenheit” erhielt die Innenministerkonferenz kürzlich den Negativpreis Big Brother Award.

Alternativen werden ignoriert

“Die mit der Einführung einer registerübergreifenden einheitlichen Identifikationsnummer verbundenen Eingriffe sind nur erforderlich, wenn kein anderes, gleich wirksames, das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel zur Verfügung steht.”, schreiben die Autoren des Gutachtens.

Als Alternative schlagen sie – wie auch bereits andere Stellen – das in Österreich eingeführte Modell vor. Die österreichische “Stammzahl” ist nur einer Zentralstelle bekannt. Andere Behörden erhalten diese Zahl nicht, sondern nur eine mittels kryptografischer Verfahren errechnete bereichsspezifische Nummer. Die Stammzahl kann daraus nicht zurück errechnet werden. Benötigt ein Amt von einem anderen Daten zu einer Person, erhält es die Spezialnummer von der Zentralstelle. Mit dieser kann es dann bei den Kollegen anfragen.

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat diese Lösung als Alternative vorgeschlagen. Sein Sprecher sagte gegenüber dem Computermagazin c’t: “Im Fall eines Missbrauchs könnten Daten nicht so leicht zusammengeführt werden wie bei der Verwendung eines registerübergreifenden Identitätskennzeichens.” Laut c’t hält auch eine Gruppe von “E-Government-Experten” aus der deutschen Verwaltung das österreichische Modell in Deutschland für umsetzbar. Dem Magazin liegt ein Dokument vor, in dem die Gruppe die detaillierte Umsetzung beschreibt.

Dennoch hat sich das Innenministerium für die Steuer-ID als Personenkennziffer entschieden und treibt das Vorhaben gegen jeden Widerstand voran. Das von den Datenschützern empfohlene Modell lehnt sie aufgrund “immenser rechtlicher, technischer und organisatorischer Komplexität” explizit ab.Experten rechnen damit, dass über die Rechtmäßigkeit des Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden werden muss. hcz