Personenkennziffer: Innenministerkonferenz mit Big Brother Award ausgezeichnet

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Die Personenkennziffer wurde für verfassungswidrig erklärt. Die Innenministerkonferenz will sie dennoch einführen. (Quelle: Dennis Blomeyer – CC-BY-SA)

Der Verein digitalcourage hat den diesjährigen “Big Brother Award” in der Kategorie “Geschichtsvergessenheit” an die deutsche Innenministerkonferenz vergeben. Den Negativpreis erhielt das Gremium für die Pläne, die Steuer-ID zu einer allgemein gültigen Personenkennziffer auszubauen.

Zur Begründung führte die Jury an, ähnliche Systeme hätten in der DDR (Personenkennzahl) und während der NS-Diktatur (Reichspersonalnummer) existiert. Laut digitalcourage wurden die Nummern in beiden politischen Systemen “zur Erfassung, zur Repression bis hin zur Vernichtung genutzt”. Eine solche Nummer widerspräche dem Geist des Grundgesetzes und der “Würde des Menschen”.

Ob eine solche Personenkennziffer verfassungskonform umsetzbar ist, ist höchst umstritten. Kritiker berufen sich unter anderem auf das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983. Das damalige Urteil untersagt dem Staat die Verknüpfung von personenbezogenen Daten mit einer übergreifenden Identifikationsnummer, weil dadurch eine Profilbildung ermöglicht wird. Ein einheitliches Personenkennzeichen wurde als entscheidender Schritt des Staates gewertet, “den einzelnen Bürger in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren”. So könnten verschiedenste Arten von Daten aus staatlichen Institutionen und Behörden ohne das Einverständnis oder Wissen der oder des Betroffenen verknüpft werden.

Was die Minister planen

Bundesinnenminister Horst Seehofer hat es sich dennoch zur Aufgabe gemacht, die bereits existierende Steuer-ID der deutschen Steuerzahler zu einer universellen Personenkennziffer auszubauen. Insgesamt soll bei mehr als 50 Registern die Steuer-ID als verknüpfendes “Ordnungsmerkmal” eingeführt werden. Die Nachrichtenseite netzpolitik.org hat den Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums als PDF veröffentlicht. In Deutschland lebende Personen, die nicht steuerpflichtig sind und folglich bislang keine Steuer-ID haben, sollen laut Gesetz eine erhalten.

Bislang sieht der Gesetzesentwurf zwar keine Zusammenführung verschiedener Registerdaten vor. Doch würde mit ihm die technische Voraussetzung geschaffen, um personenbezogene Datenbanken von Kommunen, Ländern und Bund zusammenzuführen. Das Gesetz betrifft rund 50 verschiedene Register – unter anderem Anwaltsverzeichnisse, die Agentur für Arbeit und das Versichertenverzeichnis der Krankenkassen.

Die Personalausweisnummer ist zwar ebenfalls einmalig, doch sie ist nicht zur Suche freigegeben und wird mit jedem neuen Personalausweis neu vergeben. Somit ist die Steuer-ID die erste und einzige staatlich vergebene Nummer, die bei Geburt zugeteilt wird, ein Leben lang gleich bleibt und bis über den Tod hinaus gilt.

Immer wieder abgelehnt

Es ist nicht der erste Versuch der Politik, eine Personenkennziffer einzuführen. Bereits im Jahr 1969 hatte das Bundesverfassungsgericht laut digitalcourage die Personen-ID mit der Begründung abgelehnt, dass es verfassungswidrig sei, “den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren […] und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist.” (Bundesverfassungsgericht 16.7.1969, Aktenzeichen BvL 19/63)

Im Jahr 1976 stellte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages fest, dass "aus verfassungs- und rechtspolitischen Gründen die Entwicklung, Einführung und Verwendung von Nummerierungssystemen, die eine einheitliche Nummerierung der Gesamtbevölkerung ermöglichen“, unzulässig seien.

Die Award-Verleiher hatten bereits im Jahr 2007 bei der Einführung der Steuer-ID darauf hingewiesen, dass das System leicht zur Personenkennziffer ausgebaut werden könnte und verliehen dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück einen Big Brother Award. Damals sei “hoch und heilig” versprochen worden, dass die Steuer-ID niemals zu einer Personenkennziffer ausgeweitet werden wird. Nun werde dieses Versprechen gebrochen.

Auch die deutsche Datenschutzkonferenz (DSK) ist gegen die Pläne der Innenministerkonferenz. Die Datenschützer sehen laut einer gemeinsamen Erklärung den aktuellen Gesetzentwurf im Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Regelungen. Sie fordern einen neuen Entwurf, der auch einer Verfassungsklage standhielte.

Weitere Preisträger

Ein weiterer Preisträger des Big Brother Award 2020 ist der Elektroautohersteller Tesla in der Kategorie “Mobilität”. Seine Wagen verfügen über Kameras, die sowohl die Insassen als auch die Umgebung erfassen und überwachen. Die Daten werden an den Hersteller übertragen und permanent ausgewertet.

Für das dauerhafte Speichern von Autokennzeichen haben der Innenminister des Landes Brandenburg Michael Stübgen und sein Vorgänger Karl-Heinz Schröter die Auszeichnung in der Kategorie “Behörden und Verwaltung” erhalten. Mithilfe des Kennzeichen-Erfassungssystems KESY werden in dem Bundesland seit Jahren Fahrzeuginformationen dauerhaft gespeichert.

Weitere Preisträger sind die Bekleidungsfirma H&M, das Bildungsministerium Baden-Württemberg und die Bundesregierung.

Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ist auf der zugehörigen Webseite abrufbar. (hcz)