Amnesty International veröffentlicht Jahresbericht zur Todesstrafe

Amnesty-Protest gegen die Todesstrafe
China hält Angaben zur Todesstrafe unter Verschluss. Amnesty International geht aber davon aus, dass die meisten Hinrichtungen weltweit in dem Land stattfinden. (Quelle: IMAGO / Independent Photo Agency Int.)

Die Zahl der weltweit dokumentierten Hinrichtungen ist im vergangenen Jahr zurückgegangen. Auch die Zahl der Todesurteile ist laut dem aktuellen Bericht zur Todesstrafe der Menschenrechtsorganisation Amnesty International gesunken. In einigen Ländern wurden jedoch sogar mehr Menschen exekutiert – und China wurde nicht mitgezählt.

Amnesty International hat im Jahr 2020 mindestens 483 Hinrichtungen in 18 Ländern dokumentiert. Im Vergleich zum Jahr 2019 ist das ein Rückgang um 26 Prozent – damals hatte die Organisation noch 657 Exekutionen gezählt. Wenngleich die Zahlen weiterhin “erschreckend hoch” seien, handle es sich um die niedrigste Bilanz der vergangenen 10 Jahre.

Vier Länder waren für 88 Prozent aller bekannt gewordenen Hinrichtungen verantwortlich: Iran (mindestens 246), Ägypten (mindestens 107), Irak (mindestens 45) und Saudi-Arabien (27).

Weltweit wurden im Pandemiejahr 2020 mindestens 1.477 Todesurteile in 54 Ländern verhängt – ein Rückgang von 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

China nimmt “unrühmlichen Spitzenplatz” ein

Allerdings fließen Hinrichtungen und Todesurteile in China nicht in die von Amnesty International veröffentlichten Zahlen ein, da die Regierung Angaben zur Todesstrafe als Staatsgeheimnis behandelt. Amnesty liegen zwar Details zu Fällen in China vor, eine unabhängige Überprüfung sei aber nicht möglich gewesen. Die Menschenrechtsorganisation geht jedoch davon aus, dass China jedes Jahr Tausende Todesurteile verhängt und vollstreckt – und somit für die meisten Hinrichtungen weltweit verantwortlich ist. Auch zu Nordkorea, Syrien und Vietnam gibt es nach Angaben von Amnesty International keine verlässlichen Daten.

Ägypten richtet mehr hin

In Ägypten wurden im vergangenen Jahr dreimal so viele Menschen hingerichtet, wie noch 2019 (mindestens 32). Mindestens 23 von ihnen seien wegen politisch motivierter Gewalt zum Tode verurteilt worden – in Gerichtsprozessen, die Amnesty als unfair kritisiert. Es sei zu Menschenrechtsverletzungen wie Folter gekommen, Geständnisse seien erzwungen worden.

“Während rund um den Erdball in der Pandemie das Retten von Leben im Vordergrund stand, haben Länder wie Ägypten sogar die Zahl der Hinrichtungen erhöht. Menschen inmitten einer weltweiten Gesundheitskrise hinzurichten, unterstreicht die Absurdität der Todesstrafe”, sagte Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland.

USA nehmen Hinrichtungen auf Bundesebene wieder auf

Die USA haben im Juli 2020 unter Präsident Donald Trump wieder damit begonnen, Hinrichtungen auf Bundesebene zu vollziehen: Nachdem diese 17 Jahre ausgesetzt waren, wurden in nur sechs Monaten 10 Männer exekutiert. Damit haben die USA im 12. Jahr in Folge als einziges Land in Nord- und Südamerika Menschen hingerichtet. Auf dem amerikanischen Kontinent verhängte ansonsten nur Trinidad und Tobago Todesurteile – vollstreckte sie aber nicht.

Auch Indien, Katar, Oman und Taiwan töten seit dem vergangenen Jahr wieder: In Katar und Taiwan gab es jeweils eine Hinrichtung, in Indien und Oman jeweils vier.

Unter den weltweit 483 hingerichteten Menschen waren auch 16 Frauen: vier in Ägypten, neun im Iran, eine im Oman und zwei in Saudi-Arabien. Im Iran wurden zudem mindestens drei Personen wegen Verbrechen das Leben genommen, die sie als Minderjährige begangen hatten. Sowohl im Iran als auch auf den Malediven sollen weitere Personen wegen Straftaten in Todeszellen sitzen, die sie im Alter von unter 18 Jahren verübt haben.

Der Iran setze die Todesstrafe zunehmend auch zur politischen Unterdrückung von Angehörigen ethnischer Minderheiten, Demonstranten und Dissidenten ein. So wurde im Dezember der Journalist Ruhollah Zam wegen angeblicher Propaganda gegen die Staatsführung erhängt.

Todesurteile wegen Drogen und Blasphemie

In China, dem Iran und Saudi-Arabien wurden außerdem insgesamt mindestens 30 Hinrichtungen wegen Drogendelikten bekannt. Das sei ein Rückgang von über 75 Prozent gegenüber dem Vorjahr, als Amnesty International noch mindestens 118 solcher Fälle dokumentiert hatte. Auch Indonesien, Laos, Malaysia, Singapur, Sri Lanka, Thailand und Vietnam verhängen Todesurteile wegen Drogenvergehen. China und Vietnam bestrafen auch Korruption mit dem Tod; Pakistan verhängt die Strafe bei Blasphemie. Laut Amnesty International verstoßen die Länder hier gegen das Völkerrecht, weil sie die Todesstrafe bei Straftaten anwenden, die nicht mit vorsätzlicher Tötung in Verbindung stehen.

Die Menschenrechtsorganisation berichtet außerdem, dass im Jahr 2020 in Japan, Pakistan, auf den Malediven und in den USA Menschen mit psychischen Erkrankungen oder geistiger Behinderung zum Tode verurteilt wurden. Auch diese Urteile verstießen gegen internationales Recht, kritisiert Amnesty International.

Obwohl der Irak und Saudi-Arabien mit am meisten hinrichten, sind vor allem diese beiden Länder für den deutlichen Rückgang der weltweit registrierten Tötungen verantwortlich: Die Zahl der Exekutionen im Irak haben sich gegenüber dem Vorjahr mehr als halbiert. In Saudi-Arabien gab es einen Rückgang um 85 Prozent – 2019 hatte es hier noch 184 Hinrichtungen gegeben. In Bahrain, Belarus, Japan, Pakistan, Singapur und Sudan wurde 2020 kein Todesurteil vollstreckt.

Abschaffung der Todesstrafe

Die Republik Tschad und der US-Bundesstaat Colorado haben die Todesstrafe im Jahr 2020 abgeschafft – Kasachstan hat sich völkerrechtlich zur Abschaffung verpflichtet. Und Barbados hat im vergangenen Jahr Reformen umgesetzt, um die zwingende Anwendung der Todesstrafe aufzuheben. Aktuell haben somit 108 Länder weltweit die Todesstrafe für alle Straftaten abgeschafft. In 144 Ländern ist sie per Gesetz oder in der Praxis außer Vollzug gesetzt.

“Eine Welt ohne Todesstrafe rückt näher. Mittlerweile unterstützen von den 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen 123 Länder die Forderung der UN-Generalversammlung nach einem weltweiten Hinrichtungsmoratorium – das sind mehr Staaten als jemals zuvor. Damit wächst der Druck auf die Länder, die weiterhin an der Todesstrafe festhalten,” sagte Beeko.

Ende 2020 waren weltweit 28.567 Menschen zum Tode verurteilt. (js)