Amnesty kritisiert Technologien zur Grenzüberwachung

Ein Überwachungsturm auf der US-Seite der Grenze zwischen den USA und Mexiko
Die USA haben an ihrer Grenze zu Mexiko mehr als 50 Überwachungstürme errichtet. (Quelle: IMAGO / UPI Photo)

Durch den zunehmenden Einsatz von Technologien in Migrationssystemen können die Menschenrechte von Flüchtenden verletzt werden, kritisiert Amnesty International. Die Rechte auf Asyl, Nichtdiskriminierung, Gleichberechtigung und Privatsphäre stehen laut einem neuen Bericht auf dem Spiel.

Kriege, Konflikte, Armut oder die Klimakrise: Vielfältige Gründe haben dazu geführt, dass Mitte 2023 etwa 110 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht waren. Während ein weiterer Anstieg dieser Zahlen erwartet wird, nehme die Verbreitung von Technologien zur Grenzüberwachung zu, so Amnesty International. Viele der eingesetzten Systeme würden jedoch die Rechte der Geflüchteten bedrohen. Laut dem Bericht “Die digitale Grenze” sind Menschen auf der Flucht häufig bereits vor, an und hinter Staatsgrenzen mit Technologien konfrontiert.

So würden einige Staaten beispielsweise versuchen, mithilfe von Algorithmen Fluchtbewegungen vorauszusagen. Solche Daten würden auch verwendet, um eine stärkere Grenzüberwachung zu rechtfertigen. Amnesty kritisiert, die Genauigkeit solcher Vorhersagen variiere stark.

Das liegt laut der Organisation auch daran, dass mehrheitlich öffentlich verfügbare Daten verwendet werden – beispielsweise aus sozialen Medien oder Internetsuchtrends. Solche Quellen seien aber in ihrer Aussagekraft begrenzt – was unter anderem auch an Unterschieden beim Zugang zum Internet liege. Daten müssten ständig von Menschen kontrolliert werden, um diskriminierende Auswirkungen solcher Datenanalysen zu verhindern.

Diskriminierung könne auch die Folge von einem Informationsaustausch zwischen Staaten sein, bei dem “enorme Mengen privater Daten” über Menschen auf der Flucht weitergegeben würden. So gebe es in den USA eine unzuverlässige Datenbank über angebliche Verbindungen zu kriminellen Banden. Diese Informationen würden zwischen Bundesbehörden und lokalen US-Polizeibehörden ausgetauscht – und auch mit anderen Ländern teilten die USA die Einträge. Auch soziale Netzwerke und teils sogar Gruppen-Chats in Messenger-Diensten würden überwacht.

Abschreckende Technologie

Amnesty beobachtet, wie Staaten weltweit zunehmend “hochmilitarisierte Sicherheitsinfrastrukturen” an ihren Grenzen errichten. Oft zielten diese darauf ab, potenzielle Migranten und Asylsuchende schon vor ihrer Ausreise abzuschrecken oder zu entmutigen.

Laut Bericht werden verschiedenste Technologien verwendet: Die Europäische Union verwende beispielsweise Drohnen und habe bereits “mobile Roboter” getestet, um Menschen zu erkennen, bevor sie die EU-Außengrenzen erreichen. Auch Kameras und Radargeräte kämen zum Einsatz.

Die USA haben an der Grenze zu Mexiko aufgerüstet: Dort sei beispielsweise ein Netzwerk aus 55 Überwachungstürmen entstanden, die unter anderem mit Kameras, Wärme- und Bewegungssensoren ausgestattet sind. US-Behörden hätten im Jahr 2022 sogar mit Gewehren bewaffnete “Roboter-Hunde” getestet – diese schienen kaum einen anderen Zweck als den der Abschreckung und Einschüchterung zu erfüllen, kritisiert die Menschenrechtsorganisation. Viele der Grenztechnologien würden zudem in Betrieb genommen, ohne ihre Auswirkungen auf die Menschenrechte zu untersuchen oder sie anderweitig vorab zu testen.

Migranten könnten durch den Einsatz solcher Technologien gezwungen werden, eine alternative Route zu nehmen. Amnesty warnt, es könne zu einem Anstieg von Todesfällen von Geflüchteten kommen, weil Betroffene eine gefährlichere Route in Kauf nähmen, um nicht entdeckt oder abgefangen zu werden.

Biometrische Daten

Auch beim Erreichen einer Grenze treffen viele Asylsuchende auf digitale Überwachungswerkzeuge, berichtet Amnesty. Dabei handle es sich häufig um Technologien, die ursprünglich für den militärischen Bereich oder Zwecke der nationalen Sicherheit entwickelt wurden – wodurch Betroffene der Vermutung ausgesetzt würden, kriminell zu sein.

Amnesty zählt dazu auch Datenbanken, über die Behörden biometrische Daten wie Fingerabdrücke, Iris-Scans oder Gesichtsbilder austauschen, um die Identität von Betroffenen zu überprüfen. Es gebe Zweifel an der Genauigkeit dieser Werkzeuge. Menschenrechtsorganisationen fordern ein Verbot, weil diese Technologien unter anderem die Rechte auf Privatsphäre und Nichtdiskriminierung bedrohten – Staaten würden hingegen vermehrt auf biometrische Daten zurückgreifen.

Amnesty kritisiert auch, dass Werkzeuge zur Erfassung, Speicherung und Weitergabe von biometrischen Daten in Zusammenarbeit mit Privatunternehmen entwickelt werden – das werfe Fragen hinsichtlich der Transparenz und Sicherheit dieser sensiblen Daten auf. Und aus der Zusammenarbeit mit Privatfirmen seien bereits einige der weltweit größten Sammlungen biometrischer Daten entstanden.

Problematisch sei auch, dass durch biometrische Überwachung strukturelle Ungleichheiten verstärkt werden könnten. Geflüchtete gehörten häufig ohnehin marginalisierten Gruppen an – und genau an diesen Menschen würden neue Einsatzmöglichkeiten von biometrischen Daten getestet. Seien die Daten erst einmal erfasst, könnten sie auch für Polizeikontrollen oder andere Zwecke verwendet werden.

Algorithmen sollen Entscheidungen treffen

Einige Regierungen setzen darüber hinaus auch im Migrationsbereich Systeme zur automatisierte Entscheidungssysteme ein. Amnesty kritisiert, es sei praktisch unmöglich, solche Technologien ohne eingebaute Voreingenommenheit zu entwickeln.

Einige Staaten, darunter Kanada, würden mithilfe von Algorithmen eine Risikobewertung bei der Prüfung von Asylanträgen durchführen. Das britische Innenministerium habe zwischen 2015 und 2020 ein System verwendet, das in Form eines Farbcodierungssystems Menschen aus angeblich “verdächtigen Nationalitäten” ein höheres Risiko zugewiesen hatte.

In Deutschland soll eine Software Dialekte und damit die Herkunft von Geflüchteten ermitteln. Amnesty kritisiert, das Programm sei nie von unabhängigen Experten überprüft worden.

Ständige Überwachung

Dem Bericht zufolge ergreifen Staaten aber nicht nur immer weitere Maßnahmen, um das Recht auf Asyl einzuschränken – sie greifen mithilfe von Technologien auch in das Leben von Menschen ein, die eine Landesgrenze passieren konnten. So werden Asylsuchende in einigen Ländern beispielsweise verpflichtet, Fußfesseln zur Standortüberwachung zu tragen oder ihre Bewegungen mithilfe spezieller Smartwatches überwachen zu lassen. In den USA kommt eine Smartphone-App zum Einsatz, mit der sich Betroffene täglich bei den Behörden melden müssen – sie verwendet Gesichtserkennung und Standortdaten. Es bestehe die Gefahr, dass durch solche Anwendungen die Privatsphäre von Migranten und Asylsuchenden – und in einigen Fällen auch ihrer Familienangehörigen – verletzt werde, so Amnesty. Diese Bewegungskontrolle sei weder verhältnismäßig noch notwendig.

Regierungen nutzten zudem teils automatisierte Entscheidungssysteme um festzustellen, ob Migranten Anrecht auf staatliche Leistungen haben. Häufig würden solche Systemen aber Geflüchtete benachteiligen. In Norwegen etwa müsse ein solches System Berichten zufolge ständig von Menschen kontrolliert werden, weil sonst Fehler auftreten würden.

Weniger Technologien, besseren Schutz von Geflüchteten

Angesichts des zunehmenden Technologieeinsatzes forderte Eliza Aspen von Amnesty: “Regierungen auf der ganzen Welt müssen sich dafür einsetzen, die unregulierte Entwicklung und den Einsatz schädlicher Technologien einzudämmen und ihre Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtsgesetzen zum Schutz der Rechte von Flüchtlingen und Migranten zu erfüllen.”

Amnesty fordert Staaten unter anderem auf, die Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit von neuen Systemen vor ihrem Einsatz zu prüfen. Auch ihre Auswirkungen auf die Menschenrechte müssten untersucht werden. Außerdem müsse verboten werden, dass bestimmte Technologien – beispielsweise automatisierte Risikoanalysen und Werkzeuge zur Emotionserkennung – im Zusammenhang mit Grenzkontrollen und Asyl verwendet werden.

Auch die Hersteller der Systeme sieht die Organisation in der Pflicht. Aspen erklärte: “Unternehmen, die diese Technologien entwickeln, müssen Schutzmaßnahmen in ihre Anwendung einbeziehen und eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht sowie eine Datenfolgenabschätzung im Vorfeld ihres Einsatzes durchführen, nicht erst, nachdem bereits Missbrauch begangen wurde.”

Amnesty International steht nicht allein mit der Kritik: Bereits im Herbst 2023 hatte beispielsweise auch eine UN-Studie den Einsatz von Technologien zur Grenzüberwachung kritisiert. Bei Grenzkontrollen müssten die Menschenrechte im Vordergrund stehen, hieß es. (js)