Seegerichtshof: Staaten sind zu mehr Klimaschutz verpflichtet

Atoll
In wenigen Jahrzehnten könnten einige Inselstaaten komplett untergegangen sein. (Quelle: Gabriella Jacobi – CC BY-SA 3.0 Deed)

Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg hat in einem wegweisenden Rechtsgutachten festgestellt, dass das internationale Seerechtsübereinkommen Staaten zu mehr Klimaschutz verpflichtet. In dem am Dienstag verlesenen Gutachten heißt es, dass der menschengemachte Ausstoß von Treibhausgasen zur Erd- und Meereserwärmung beiträgt und deshalb eine Verschmutzung der Meeresumwelt im Sinne des UN-Seerechtsübereinkommens darstellt. Auch Umweltschutzorganisationen erwarten internationale Wirkung von dem Gutachten.

Die 169 Unterzeichner des Übereinkommens – darunter Deutschland und die EU – hätten “die konkrete Verpflichtung, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Meeresverschmutzung durch menschengemachte Treibhausgasemissionen zu verhindern, zu verringern und zu kontrollieren, und sich in diesem Zusammenhang um eine Harmonisierung ihrer Politik zu bemühen”, heißt es in dem Gutachten, das zwar nicht bindend ist, aber großen Einfluss auf künftige Entscheidungen internationaler Gerichte in Klimafragen haben dürfte.

Demnach sollten die Klimaschutzmaßnahmen unter Berücksichtigung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse festgelegt werden und insbesondere das Ziel verfolgen, den globalen Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, so die Richter.

Pflicht zu konkreten Maßnahmen

Ausdrücklich wurde dabei auf Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes verwiesen: Die Unterzeichnerstaaten müssten “direkt oder über kompetente internationale Organisationen kontinuierlich, sinnvoll und nach Treu und Glauben zusammenarbeiten, um Meeresverschmutzung durch menschengemachte Treibhausgasemissionen zu verhindern, zu reduzieren und zu kontrollieren”.

Von diesen Verpflichtungen sind die Staaten laut Mitteilung auch nicht durch andere Abkommen wie das Pariser Klimaschutzabkommen entbunden. Im Pariser Abkommen ist eine Begrenzung der Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf “deutlich unter” 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter vorgesehen – angestrebt werden 1,5 Grad.

Zudem könne sich aus dem Seerechtsübereinkommen die Pflicht ableiten, bereits geschädigte maritime Lebensräume und Ökosysteme wiederherzustellen. Sogenannte Entwicklungsländer – insbesondere solche, die besonders vom Klimawandel betroffen sind – müssten in ihrem Kampf gegen die Klimafolgen finanziell und technologisch unterstützt werden.

Untergehende Nationen

Angestrengt hat das Gutachten eine Gruppe von neun kleinen Inselstaaten im Pazifik und der Karibik, die sich durch den aufgrund der Erderwärmung steigenden Meeresspiegel in ihrer Existenz bedroht sehen. Gegründet von Tuvalu sowie Antigua und Barbuda, gehören der Kommission der kleinen Inselstaaten für Klimawandel und Völkerrecht (COSIS) auch die Bahamas, Niue, Palau, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen sowie Vanuatu an.

Auf einigen der zu den Staaten gehörenden Inseln liegt der höchste Punkt nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Gleichzeitig geht der UN-Weltklimarat (IPCC) davon aus, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um zwei Meter steigen wird.

“Historischer Meilenstein”

COSIS-Vertreter werteten das Gutachten als wichtigen Erfolg. Der Klimawandel sei die größte existenzielle Bedrohung für Länder wie ihres, sagte die tuvaluische Diplomatin Eselealofa Apinelu nach der Verlesung im UN-Gericht in Hamburg-Nienstedten. “Wir sind dankbar für dieses Gutachten.” Der Ausstoß von Treibhausgasen sei nicht nur für den Anstieg des Meeresspiegels und das Korallensterben verantwortlich. Durch den Klimawandel steige auch die Gefahr schwerer Unwetter, durch die das Leben vieler Menschen in den Inselstaaten bedroht sei.

“Der heutige Tag markiert einen historischen Meilenstein auf unserem gemeinsamen Weg zu Umweltgerechtigkeit und Klimaregulierung”, sagte der Rechtsvertreter der Inselstaaten vor dem UN-Gericht, Payam Akhavan. Mit dem Gutachten werde deutlich, dass es nicht ausreichend sei, wenn Staaten zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels nur unzureichende Klimapläne vorlegten.

Mehr Klimagerechtigkeit erwartet

Auch Umweltorganisationen begrüßten das Gutachten. Es ziehe Länder, “die Meeresschutz vernachlässigen, endlich zur Rechenschaft”, sagte die Greenpeace-Meeresbiologin Franziska Saalmann. “Damit hat der Internationale Seegerichtshof die klare Aussage getroffen: Meeresschutz ist Klimaschutz.” Die 169 Unterzeichner des Seerechtsübereinkommens müssten nun “ins Handeln kommen und einen effektiven Meeresschutz priorisieren”.

Zur Bewältigung der Klimakrise sei die Welt auf die Meere angewiesen, sagte Julika Tribukait, Meeresschutzexpertin beim WWF Deutschland. “Sie puffern einen Großteil des Temperaturanstiegs ab, doch die Meere leiden dabei massiv: Mit der Erwärmung der Ozeane beginnt eine Kaskade aus schmelzendem Meereis, steigendem Meeresspiegel, marinen Hitzewellen, Versauerung und Sauerstoffentzug der Meere, deren Anzeichen bereits überall sichtbar sind.” Der WWF erklärte in seiner Mitteilung, dass die Ozeane seit den 1980er Jahren etwa 20 bis 30 Prozent des von Menschen erzeugten CO2 und über 90 Prozent der Wärme aufgenommen haben. Von dem aktuellen Gutachten verspricht sich die Organisation starken Einfluss auf nationale Entscheidungen.

Mandi Mudarikwa, Leiterin für strategische Rechtsstreitigkeiten bei Amnesty International forderte anlässlich des Gutachtens den vollständigen sowie gerechten Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen. “Angesichts der höchsten jemals gemessenen globalen Meerestemperaturen sind die Schäden, die der Einsatz fossiler Brennstoffe und Treibhausgasemissionen für die Meeresumwelt und die Rechte der Menschen verursacht, ruinös”, sagte Mudarikwa.

Der Internationale Seegerichtshof ist eine selbstständige Organisation der Vereinten Nationen. Er entscheidet in Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung des Seerechtsübereinkommens. Das Gericht kann nicht nur von den Vertragsstaaten, sondern unter Umständen auch von internationalen Organisationen und Privatpersonen angerufen werden.

Das neue Gutachten des Internationalen Seegerichtshofs ist das erste dieser Art. Auch beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ist auf Antrag der UN-Vollversammlung ein entsprechendes Gutachten anhängig, ebenso beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. (dpa / hcz)