Bürgerrechte: Fingerabdrücke sollen ab 2021 verpflichtend in den Personalausweis
Ab dem 2. August 2021 sollen alle Bürgerinnen und Bürger beim Beantragen eines neuen Personalausweises zwei Fingerabdrücke abgeben müssen. Das soll der Bundestag am Donnerstag beschließen. Argumentiert wird mit einer erhöhten Sicherheit. Datenschützer halten die Maßnahme jedoch für unverhältnismäßig und warnen vor den Folgen.
Mit dem neuen “Gesetz zur Stärkung der Sicherheit im Pass-, Ausweis- und ausländerrechtlichen Dokumentenwesen” setzt die Bundesregierung eine EU-Verordnung um, die 2019 beschlossen wurde. Nach der Verordnung müssen die Ausweise aller Mitgliedsstaaten künftig ein Kreditkartenformat haben, maschinenlesbar sein und Fingerabdrücke enthalten.
Für Deutschland würde dies bedeuten, dass ab dem 2. August 2021 die Abdrücke des linken und rechten Zeigefingers abgegeben werden müssen. Sie werden zusammen mit dem Foto auf dem Chip im Personalausweis gespeichert. Bis zum August 2021 bleibt die Abgabe der Fingerabdrücke freiwillig – nur im Reisepass ist sie bereits seit 2007 verpflichtend. Fingerabdrücke sind biometrische Merkmale, die bei jedem Menschen einzigartig sind.
Argument Sicherheit
Für die Einführung der Fingerabdruckpflicht wird mit der Sicherheit argumentiert: Zum Schutz der Identität der Bürgerinnen und Bürger gehöre auch, den Missbrauch von Ausweisen einzudämmen. Es soll also verhindert werden, dass ähnlich aussehende Personen einen fremden Ausweis nutzen oder gefälschte Dokumente verwenden.
Allerdings gibt es Zweifel, ob der Missbrauch überhaupt ein großes Problem darstellt. Laut der EU-Grenzüberwachungsagentur Frontex wurden im Jahr 2019 über 7.000 gefälschte Dokumente an den Grenzen festgestellt – 5 Prozent weniger als noch im Jahr 2018.
Wenige gefälschte deutsche Ausweise
In der Statistik der Bundespolizei sind zwischen den Jahren 2010 und 2019 jährlich nur zwischen 38 und 83 verfälschte oder gefälschte deutsche Identitätskarten aufgeführt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei Die Linke hervor. Darin heißt es außerdem, dass die biometrischen Merkmale nicht zur Echtheitsprüfung der Dokumente benötigt werden. Laut der Bundesdruckerei, die den Personalausweis herstellt, machen die vorhandenen Sicherheitsmerkmale ihn “zu einem der sichersten der Welt”.
Stattdessen geht es laut Bundesregierung hauptsächlich um die schnelle Identitätsprüfung der Ausweisinhaber, wenn nach dem Abgleich des Lichtbildes noch Zweifel bestehen. So sollen “zeitaufwändige” Nachfragen bei anderen Behörden entfallen. Auf die biometrischen Daten im Ausweis können beispielsweise Polizei, Zoll, Steuerfahndung und die Meldebehörden zugreifen. Sie benötigen dafür ein hoheitliches Berechtigungszertifikat.
Bevölkerung unter Generalverdacht
Aus Sicht des Vereins Digitalcourage stellt die Regierung mit der Speicherpflicht sämtliche Bürger unter Generalverdacht: “Denn erfasst werden sollen millionenfach hochsensible biometrische Körpermerkmale – von allen. Also von fast ausschließlich rechtstreu lebenden Menschen, die keine kriminellen Absichten haben”, sagte Friedemann Ebelt von Digitalcourage bei einer Anhörung im Innenausschuss Ende Oktober.
Der Verein hält das Gesetz für unverhältnismäßig – es verstoße sowohl gegen das deutsche Grundgesetz als auch gegen die EU-Grundrechtecharta. “Die Risiken sind enorm, der Nutzen nicht erkennbar”, sagte Ebelt.
In der Stellungnahme des Netzwerks Datenschutzexpertise heißt es: “Solche Regelungen müssen verhältnismäßig sein, um zu vermeiden, dass eine unangemessene Überwachungsinfrastruktur aufgebaut wird und um sicherzustellen, dass die Regelungen einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten.” Man bezweifle, dass dies der Fall sei.
Tatsächlich hatte schon 2018 die EU-Agentur für Grundrechte darauf hingewiesen, dass die Folgeabschätzung der EU-Kommission keine ausreichende Begründung enthält, um zwei biometrische Merkmale zu speichern. Demnach reiche es aus, nur die biometrischen Fotos auf dem Chip zu speichern.
Alternativen zum Fingerabdruck
Nach Ansicht von Digitalcourage existieren Alternativen zu den Fingerabdrücken, die keinen so großen Grundrechtseingriff darstellen. Diese seien von der Bundesregierung aber nicht vollständig geprüft worden. So könnte etwa das Verfahren zur Überprüfung von Personen optimiert werden, sodass dieses im Zweifelsfall schneller durchzuführen ist.
Ferner könnten anstatt kompletter Fingerabdrücke auch nur die sogenannten Minuzien gespeichert werden. Das sind die eindeutigen Merkmale eines Fingerabdrucks, wie Endpunkte und Verzweigungen. Das hatte auch der Europäische Datenschutzbeauftragte empfohlen. Allerdings sieht die EU-Verordnung vor, dass die Spezifikationen der internationalen Zivilluftfahrbehörde ICAO berücksichtigt werden. Die verlangt in ihren Richtlinien zu maschinenlesbaren Reisedokumenten ganze Fingerabdrücke. Um Minuzien zu verwenden, brauche es zuerst einen europäischen Standard, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage von Posteo. “Eine solche Vereinheitlichung liegt nicht vor und ist auch künftig als unrealistisch zu bewerten.”
Der Europäische Datenschutzbeauftragte weist allerdings darauf hin, dass Personalausweise und Reisepässe unterschiedlich genutzt werden: Reisepässe für Reisen außerhalb der EU, Personalausweise aber nur innerhalb der EU, wo biometrische Daten nicht routinemäßig kontrolliert würden. Zudem diene der Personalausweis auch dazu, sich gegenüber Behörden, aber auch Unternehmen auszuweisen. Für den Reisepass angemessene Sicherheitsmerkmale seien also nicht automatisch auch für den Personalausweis sinnvoll. Digitalcourage meint sogar, dass die bestehende Pflicht für Fingerabdrücke in Pässen die Freiwilligkeit bei Personalausweisen begründet.
Sollten dennoch Fingerabdrücke gespeichert werden, so könnten statt den Zeigefingern etwa die Abdrücke von Ringfinger oder kleinem Finger aufgenommen werden, schreibt Dr. Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise in seiner Stellungnahme. Denn die Zeigefinger seien die Finger, mit denen jede Person die meisten Spuren hinterlässt. Zur Identifizierung von Personen seien andere Finger ebenso geeignet, gleichzeitig aber weniger anfällig für Missbrauch.
Fingerabdrücke lassen sich reproduzieren
Schon 2004 und 2008 hatte der Chaos Computer Club (CCC) gezeigt, dass es für Unbefugte relativ leicht ist, die Fingerabdrücke fremder Personen zu reproduzieren. Damals sagte CCC-Sprecher Dirk Engling zu Fingerabdrücken im Reisepass: “Fingerabdruck-Biometrie ist nicht so sicher, wie die Politik beteuert. Sie gehört in keine sicherheitsrelevante Anwendung – und erst recht nicht in den ePass.”
Der Europäische Datenschutzbeauftragte hatte ebenfalls auf diese Gefahr hingewiesen: Anders als ein gestohlenes Passwort lassen sich gestohlene biometrische Daten nicht ersetzen.
In der EU-Verordnung heißt es, dass damit keine Rechtsgrundlage für Datenbanken mit den biometrischen Daten auf nationaler oder EU-Ebene geschaffen wird. Doch Digitalcourage fürchtet eine schrittweise Ausweitung von Zugriffsmöglichkeiten. Bereits jetzt dürfen Polizei und Geheimdienste automatisch auf die Bilder in Personalausweisen zugreifen. Als diese Änderung 2017 diskutiert wurde, hatte der CCC in einer Stellungnahme geschrieben: “Der nun vorgesehene automatisierte Zugriff von Geheimdiensten auf die biometrischen Passbilder in elektronischer Form wäre ein Schritt in eine umfassende und kaum kontrollierte Überwachung.”
Derzeit speichert die Bundesdruckerei die Fingerabdrücke nur während der Herstellung der Personalausweise und löscht sie nach Abschluss der Produktion, teilte das Innenministerium Posteo mit. Auch sämtliche weiteren personenbezogenen Daten würden dann gelöscht. Pro Werktag stelle die Bundesdruckerei etwa 30.000 Personalausweise her. Die Fingerabdrücke befinden sich nach Aushändigung des Ausweises nur in dem darin integrierten Chip. In Personendatenbanken kann somit neben Name und Adresse nicht nach ihnen gesucht werden.
Digitalcourage warnt aber, dass Politiker bereits auf EU-Ebene an einer Datenbank für biometrische Daten arbeiten. Zudem sieht die EU-Verordnung eine “weltweite Interoperabilität – auch bei der Maschinenlesbarkeit und der Sichtprüfung” vor. Spätestens wenn Daten an Staaten ohne Schutz der Freiheitsrechte übermittelt werden, verliere man die Kontrolle über die Daten.
Rechtliche Schritte geplant
Anders als von der Bundesregierung dargestellt, ist die Umsetzung der EU-Verordnung in deutsches Recht laut Digitalcourage keine reine Formsache. Zwar sei Deutschland prinzipiell dazu verpflichtet, EU-Recht umzusetzen – aber nur, wenn dieses in Einklang mit der EU-Grundrechtecharta stehe. Digitalcourage hat bereits angekündigt, wenn nötig gerichtliche Schritte zu prüfen: Der Verein will in diesem Fall eine Verfassungsbeschwerde einlegen.
Das überarbeitete Passgesetz ist auch in der Politik umstritten. Der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Grüne) hatte schon 2019 kritisiert: “Die Entscheidung des EU-Parlaments für eine Verordnung zur zwingenden Speicherung biometrischer Fotos und von Fingerabdrücken in Personalausweisen ist verfassungsrechtlich absolut bedenklich.” Dadurch würde nicht mehr, sondern weniger Sicherheit geschaffen: “Einmal in den falschen Händen schaffen [biometrische Daten] dauerhafte Risiken für die Betroffenen.”
Der Europa-Abgeordnete Sven Giegold (Grüne) sagte 2019 nach dem Beschluss im Europa-Parlament, dass schon die heutigen Ausweise ausreichend vor Identitätsdiebstahl schützten. “Das Massenphänomen ist der ungezügelte Datenhunger, den Polizei und Sicherheitsbehörden zukünftig auch mit Fingerabdrücken stillen. Die Zweckentfremdung der Fingerabdrücke ist nicht akzeptabel.”
CDU wollte Fingerabdrücke schon früher
Schon vor über 10 Jahren wollte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Fingerabdrücke der Bürgerinnen und Bürger im Personalausweis speichern lassen. Letztlich einigte sich die Regierung damals darauf, nur Bilder verpflichtend zu speichern, Fingerabdrücke aber freiwillig abgegeben zu lassen.
Bevor die Pflicht in Kraft tritt, empfiehlt Digitalcourage, einen neuen Personalausweis zu beantragen. Dieser ist dann ohne Fingerabdrücke weitere 10 Jahre gültig. (js)