BAMF soll künftig auch Cloud-Speicher von Geflüchteten auslesen dürfen
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll künftig auch in der Cloud gespeicherte Daten von Asylsuchenden ohne Ausweispapiere auslesen dürfen. Das geht aus einem Diskussionsentwurf hervor, den das Bundesinnenministerium (BMI) in der vergangenen Woche veröffentlicht hat. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hält die geplanten Änderungen für unvereinbar mit Grundrechten und europarechtlichen Vorgaben.
In dem “Diskussionsentwurf zur Verbesserung der Rückführung” schlägt das BMI Änderungen am Aufenthalts- und Asylgesetz vor, die unter anderem auf den sogenannten Flüchtlingsgipfel im vergangenen Februar zurückgehen. Vorgesehen ist dabei auch eine Änderung der bestehenden Regeln zum Auswerten “von Datenträgern” durch das BAMF. Diese gesetzliche Grundlage besteht seit 2017 und soll bei der Ermittlung von Identitäten helfen. Menschen, deren Identität nicht festgestellt werden kann, dürfen nicht abgeschoben werden. Außerdem spielen Herkunftsländer eine Rolle bei der Entscheidung über Asylanträge.
Laut dem nun veröffentlichten Entwurf sind die vorgeschlagenen Änderungen aufgrund einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich. Das Gericht hatte im Februar entschieden, dass Handys von Geflüchteten nicht anlasslos ausgelesen werden dürfen. Die Richter hatten in ihrem Urteil klargestellt, dass die Auswertung digitaler Datenträger zur Ermittlung von Identität und Staatsangehörigkeit erst erlaubt sei , wenn keine “milderen Mittel” zur Verfügung stehen.
Geklagt hatte eine Afghanin, die bei ihrem Asylantrag keinen Pass oder Passersatz vorgelegt, allerdings eine Heiratsurkunde und ein afghanisches Ausweisdokument eingereicht hatte. Dennoch hatte das BAMF ihr Handy ausgelesen. Die von der Klägerin eingereichten Dokumente hätten in dem Fall aber als mildere Mittel zur Verfügung gestanden, ebenso wie Registerabgleiche und Nachfrage beim Sprachmittler zu sprachlichen Auffälligkeiten, so die Richter. Unterstützt wurde die Klage von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Der Organisation zufolge soll mit der Handydatenauswertung sogenannter “Asylmissbrauch” verhindert werden – durch die Praxis würden aber praktisch nie falsche Angaben aufgedeckt.
“Frühzeitiges Auslesen”
Laut dem Diskussionsentwurf soll künftig zwischen dem Auslesen und Auswerten unterschieden werden. Das Auslesen von Datenträgern soll zulässig sein, wenn Betroffene keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzen. Mit dem “frühzeitigen Auslesen” werde gewährleistet, dass der Schritt bereits erfolgen kann, wenn ein Asylantrag gestellt wird. Zu diesem Zeitpunkt bestehe “eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit eines Vorhandenseins von relevanten Daten”, heißt es in der Begründung des Entwurfs.
Unter den Begriff “Datenträger” sollen ausdrücklich auch mobile Geräte und Cloud-Dienste fallen. Zur Begründung heißt es, dies solle wegen der “zunehmenden Bedeutung dieser Form der Datenspeicherung bei Personen aus vielen Herkunftsländern” klargestellt werden. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisiert die Pläne scharf und erklärte auf Anfrage: "Wir halten diese Praxis für unvereinbar mit Grundrechten und europarechtlichen Vorgaben zum Datenschutz. "
In einem weiteren Schritt sieht der Entwurf die Auswertung der Daten vor. Diese soll zulässig sein, wenn die Identität und Staatsangehörigkeit Betroffener “nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann”. Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung dürfen dabei nicht verwendet werden.
Die Auswertung soll durch einen Mitarbeiter mit der Befähigung zum Richteramt erfolgen und spätestens zum Zeitpunkt der Anhörung vorliegen. Sobald die Daten nicht mehr benötigt werden, müssen sie gelöscht werden.
“Verfassungsrechtlich hochproblematische” Ausweitung
Sarah Lincoln, Juristin bei der GFF, schrieb auf der Online-Plattform X (ehemals Twitter), der Vorschlag unterlaufe die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Auf Anfrage von Posteo erklärte sie, das Bundesverwaltungsgericht habe ausdrücklich entschieden, dass das Auslesen der Datenträger zur Auswertung nach Paragraf 15a Asylgesetz gehöre.
Anstatt dieses Urteil umzusetzen und die eigene Praxis dahingehend anzupassen, sich Handys nur aushändigen zu lassen, wenn das als letzte Option absolut erforderlich ist, werde das Auslesen der Daten nun ausgeweitet – und die Situation verschlechtert, so Lincoln. Sie erklärte: “Es soll nun standardmäßig das Handy ausgelesen werden, wenn kein Pass- oder Passersatz vorliegt und diese Daten sollen auf Vorrat gespeichert werden. Damit setzt sich das BMI über das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hinweg: Schon das Auslesen und Speichern der Handydaten ist ein schwerwiegender Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung und darf keinesfalls erfolgen, bevor mildere Mittel geprüft wurden.”
Auch die Ausweitung der Regelung auf Cloud-Dienste sei “verfassungsrechtlich hochproblematisch”. Das BMI erweitere damit den Datensatz um zusätzliche höchstpersönliche Daten. Betroffene müssten auch ihre Passwörter für die Speicherplattformen herausgeben.
Lincoln fügte hinzu: “Scharf zu kritisieren ist auch der Vorschlag, dass künftig die Wohnungen der Betroffenen durchsucht werden können, um die Handys zu finden.” Das sei ein “völlig unverhältnismäßiger” Eingriff in das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung – insbesondere unter dem Gesichtspunkt dass die “Daten in den meisten Fällen ohnehin nicht ausgewertet werden, weil es andere Möglichkeiten gibt, die Identität zu überprüfen”, wie Sprachabgleiche oder andere vorgelegte Unterlagen zur Identität.
Auf X schrieb Lincoln zudem, das BMI setze sich “offen über verfassungs- und europarechtliche Vorgaben zum Schutz der Privatsphäre” hinweg. Offenbar setze es darauf, “dass wieder ein paar Jahre vergehen”, bis die GFF mit einer Klage beim Bundesverwaltungsgericht oder Bundesverfassungsgericht angekommen sei.
Gesetzgebungsverfahren noch nicht gestartet
Das BMI sieht in seinem Diskussionspapier zudem verschärfte Abschieberegeln für abgelehnte Asylsuchende vor. Betroffene sollen beispielsweise länger in Gewahrsam genommen werden dürfen. Die Organisation Pro Asyl hatte dazu erklärt, Debatten über Abschiebungen führten nicht dazu, “dass mehr Menschen abgeschoben werden, sondern dass die Abschiebepraxis härter wird und dadurch Grundrechte von Schutzsuchenden verletzt werden”.
Der Diskussionsentwurf soll zunächst mit Ländern und Kommunen abgestimmt werden. Anschließend soll ein Referentenentwurf erstellt werden, bevor das reguläre Gesetzgebungsverfahren startet. (js)