Bericht: EU-Kautschuk-Importe fördern Abholzung in Afrika
Europäische Kautschuk-Importe stellen der Organisation Global Witness zufolge die größte exportbedingte Bedrohung für die klimakritischen Tropenwälder in West- und Zentralafrika dar. Der Anbau trage massiv zur Abholzung bei. Vor allem europäische Banken und Reifenhersteller stützten diese “zerstörerische Industrie”, kritisierte die Nichtregierungsorganisation in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht.
Insgesamt seien seit Beginn des Jahrtausends rund 520 Quadratkilometer Wald für den Anbau von Kautschuk in West- und Zentralafrika abgeholzt worden – eine Fläche ungefähr so groß wie der Bodensee. Dies gehe aus einer langjährigen Analyse von Satelliten- und Handelsdaten hervor. Untersucht wurden Flächen in Kamerun, Gabun, Liberia, Nigeria, der Elfenbeinküste und Ghana.
Die Kautschukproduktion setze unter anderem Gemeinden in den Wäldern unter Druck: Plantagen werden teils ohne ihre Zustimmung angelegt und nehmen ihnen Zugang zu Wasser und natürlichen Ressourcen. Behörden würden zudem mit Gewalt gegen Protestierende vorgehen.
Global Witness fordert deshalb die europäischen Gesetzgeber dazu auf, effektive Anti-Abholzungsgesetze zu erlassen.
Ökosysteme weichen Gummiplantagen
Laut der Organisation wird 30 Prozent des von den größten afrikanischen Produzenten hergestellten Kautschuks in die EU importiert. Der Wert dieser Einfuhren sei mehr als 12-mal so hoch wie der von Palmölimporten aus der Region.
Die Analyse von 40 industriellen Kautschukplantagen habe ergeben, dass diese teilweise auf Flächen entstanden sind, auf denen zuvor natürliche Wälder existiert haben. Ganze Ökosysteme fielen der Industrie zum Opfer – unter anderem Waldreservate in Nigeria und Ghana und alte äquatoriale Wälder in Kamerun und Gabun.
Die Plantagen, auf denen solche Methoden festgestellt wurden, seien fast alle im Besitz von drei internationalen Unternehmen: Olam und Halcyon Agri haben ihren Sitz in Singapur und Socfin ist in Luxemburg registriert. Vor allem Halcyon Agri und Socfin würden europäische Reifenhersteller wie Michelin und Continental beliefern.
Kampf um Land
Der Kautschukanbau hat Global Witness zufolge nicht nur eine zerstörerische Wirkung auf die Wälder: Er belastet auch die Bevölkerung vor Ort. Es entstünde ein zunehmender Wettbewerb um Land, der zum Teil auf Kautschuk zurückzuführen sei. Gemeinden würden Land verlieren, auf dem sie Landwirtschaft betreiben oder jagen können. Dadurch entstünde Armut und Unsicherheit.
Samuel Nguiffo, Anwalt und Aktivist aus Kamerun, berichtet, es gäbe einen “klaren Wettbewerb um die Kontrolle über das Land”. Die Hälfte der internationalen Nachfrage nach Land in Afrika resultiere aus Kautschuk- und Palmöl-Anbau. “Das Land, das von Unternehmen zum Pflanzen von Gummibäumen genutzt wird, ist Land, das den Gemeinden verloren geht”, erklärt Nguiffo im Bericht.
In der Nähe der Plantagen hätten die Gemeinden außerdem teils mit Problemen wie Mangel an sauberem Trinkwasser zu kämpfen und in einigen Fällen gewaltsamer Unterdrückung durch örtliche Sicherheitskräfte.
Lokale Konflikte
Als Beispiel nennt Global Witness die Gummiproduktion Sud-Cameroun Hévéa in Kamerun, die von den Einheimischen auch Sudcam genannt werde. Eigentümer ist mehrheitlich Halcyon Agri.
Laut einer Greenpeace-Analyse wurden dort zwischen 2011 und 2018 über 10.000 Hektar Wald gerodet. Das habe bleibende Schäden in der Region hinterlassen. Die Bevölkerung verlor teils den Zugang zu Jagdrevieren und natürlichen Ressourcen wie Früchten.
Ein von Global Witness interviewter Einheimischer aus dem Dorf Bitye erklärte: “Vor Sudcam stellten wir im Wald unsere Jagdfallen auf. Wenn ich Rinde als Medizin brauchte, ging ich einfach hinter meine Hütte. Heute können unsere Frauen nicht mehr fischen gehen oder Früchte sammeln.” Zu Kakaobäumen, die er im Busch gepflanzt hatte, hätte er nun keinen Zugang mehr. “Weil es uns jetzt verboten ist, dorthin zu gehen”, so der Anwohner.
Sudcam habe vorhandene Wasserquellen in Beschlag genommen. Für die Anwohner seien zwar Brunnen installiert worden, diese seien aber unzureichend und funktionierten teils nicht. Auf Anfrage von Global Witness erklärte Halcyon Agri, dass weitere Bohrlöcher in Planung seien und sich die Firma an Kliniken und Schulgeld in der Region beteilige.
Für die Elfenbeinküste beschreibt der Bericht wiederum andere Probleme im Zusammenhang mit den dortigen Kautschukplantagen: Die Behörden seien dort im Juli 2015 gewaltsam gegen Proteste vorgegangen, die auf Probleme mit den örtlichen Plantagen aufmerksam machen wollten. Durch die Errichtung von Kautschukplantagen sei es zu Landkonflikten mit Dorfbewohnern gekommen, die ihr Ackerland und ihre Wälder verloren hätten. Berichten zufolge kamen bei den Auseinandersetzungen vier Menschen ums Leben; 71 wurden von der Polizei inhaftiert.
Der ivorische Aktivist Nahounou Daleba, dessen Organisation Jeunes Volontaires pour l’Environnement die betroffenen Gemeinden unterstützt hat, sagte: “Es ist paradox. Die Menschen in Europa, die schicke Autos fahren, wissen nicht, dass der Gummi in ihren Reifen an einem Ort angebaut wird, an dem die lokale Bevölkerung fast mittellos ist.”
Ethische Ausnahmen für Gummi
Die Kautschukbranche wächst dem Bericht zufolge stetig – im Jahr 2021 um 8,7 Prozent. Bis zum Ende des Jahrzehnts könnte die Nachfrage um ein weiteres Drittel steigen.
Die Länder Gabun, Kamerun, Elfenbeinküste, Ghana, Nigeria und Liberia hätten im Jahr 2020 Naturkautschuk im Wert von 503 Millionen US-Dollar in die EU exportiert – zum Vergleich: Im selben Zeitraum kamen aus der Region Palmölimporte im Wert von nur 39 Millionen Euro in der EU an. Knapp 32 Prozent der Kautschukexporte der untersuchten Länder entfielen auf die EU.
Die EU-Kommission plant ein gesetzliches Importverbot von Produkten, für die Waldflächen gerodet wurden. Allerdings seien Kautschukeinfuhren nach Lobbyarbeit der Reifenindustrie aus dem Entwurf gestrichen worden. Sollte das Gesetz in dieser Form verabschiedet werden, hätte dies “verheerende Auswirkungen” auf die Regenwaldregionen West- und Zentralafrikas; die Kautschuk-Handelsströme blieben unreguliert.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, sagte im November noch: “Europäische Wähler und Verbraucher […] wollen keine Produkte mehr kaufen, die für Entwaldung oder Waldschädigung verantwortlich sind.” Deswegen sollten Rohstoffe und Produkte, die auf den europäischen Markt kommen, nicht zur Entwaldung beitragen.
Nach Ansicht von Global Witness könnte dieses Versprechen aber mit den Ausnahmeregelungen für Kautschuk gebrochen werden. Bis zur endgültigen Verabschiedung bestehe aber die Möglichkeit, auch Kautschuk – neben Palmöl, Soja, Rindfleisch, Holz, Kaffee und Kakao – in die Regelungen aufzunehmen.
Wirtschaft bangt um Profit
Der europäische Verband der Reifen- und Gummihersteller (ETRMA) vertritt große Hersteller wie Michelin, Pirelli und Goodyear. Er gibt an, man gehe in der Branche bereits gegen Abholzung von Wäldern vor, sei offen für Dialog und arbeite mit Gemeinden und Bauern vor Ort zusammen.
In einer Antwortvom Dezember 2020 an die Europäische Kommission schrieb er jedoch, die vorgeschlagenen Entwaldungsregeln seien “für die Naturkautschuk-Wertschöpfungskette nicht […] machbar” und argumentierte, sie würden “keine oder nur geringe Auswirkungen auf die Beendigung der Entwaldung haben, aber schwerwiegende Folgen für die Europäische Wirtschaft”.
Global Witness sieht dies anders. Die Kautschuk-Industrie bedrohe das Land, die Lebensgrundlagen sowie die Rechte der lokalen Gemeinschaften.
Kautschuk wird meist zu Autoreifen
Auch während der Covid-Pandemie blieb das Handelsgut Gummi stark nachgefragt – auch, weil die Bestellungen für medizinische Latexhandschuhe explodierten. Der mit etwa 70 Prozent überwiegende Teil des Naturkautschuks wird aber in Fahrzeugreifen verwendet. Die EU habe 2019 über 150 Millionen Autoreifen importiert. Synthetischen Alternativen fehle bislang die Haltbarkeit von Naturkautschuk.
Einer Studie der Vrije Universität Amsterdam zufolge landen 5 Prozent des weltweiten Naturkautschuks in Reifen europäischer Fahrzeuge – vornehmlich Autos. Um diese Menge Kautschuk jährlich zu produzieren, seien fast 600.000 Hektar Land nötig.
Global Witness fordert, auch Kautschuk in die Anti-Abholzungsgesetze der EU zu integrieren. Die europäischen Gesetzgeber müssten sicherstellen, dass Kautschuk-Importe frei von Abholzung seien und Landrechte sowie die Rechte indigener Völker beachtet werden. Außerdem müsse die EU Finanzinstitute dazu verpflichten, Finanzierungen derartiger Projekte gründlich zu prüfen. (dpa / hcz)