Bericht: US-Geheimdienste kaufen Daten über US-Bürger

US-Überwachung
Standortdaten und Nutzungsprofile von Smartphones, Internetseiten und “smarten” Geräten können auch Geheimdienste einkaufen. (Quelle: IMAGO / Ralph Peters)

Die Geheimdienste der USA dürfen nicht unbegrenzt Daten über die Bürger sammeln oder elektronische Geräte ausforschen. Um dennoch an Standortdaten, persönliche Informationen und ähnliches zu gelangen, kaufen sich die Behörden die gewünschten Daten mittlerweile aus der Privatwirtschaft ein. Die Praxis ist bereits hinlänglich bekannt, doch ein am Freitag veröffentlichter Bericht dokumentiert das weitreichende Ausmaß des Datenhandels.

Die US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines und ihre Behörde, das Office of the Director of National Intelligence (ODNI), haben den Bericht Ende Januar 2022 angefertigt und nun auf Druck des demokratischen Senators Ron Wyden veröffentlicht. Haines ist Direktorin der Intelligence Community, dem Zusammenschluss der US-Nachrichtendienste. Die Analyse zeigt auf, wie Behörden “kommerziell verfügbare Informationen” auf dem freien Markt in immensen Mengen einkaufen. Neben den Geheimdiensten erwerben auch die Marine, das Finanzministerium, das Verteidigungsministerium, die Bundespolizei FBI und die US-Küstenwache sensible Daten bei Werbeanbietern, Datenhändlern und IT-Unternehmen.

Zu den verfügbaren Informationen gehören unter anderem Social-Media-Inhalte, Standortdaten, das Surfverhalten oder Einkaufsgewohnheiten der Menschen. Auf diesem Weg umgehen die Behörden Restriktionen, die es ihnen verbieten, solche Informationen selbst mithilfe von herkömmlichen Durchsuchungs- und Überwachungsmaßnahmen zu sammeln. Unter anderem verhindern die in der US-Verfassung festgeschriebenen Bürgerrechte diese Art der Überwachung.

In dem Bericht heißt es: “Der Regierung wäre es niemals gestattet gewesen, Milliarden von Menschen zu zwingen, ständig Ortungsgeräte bei sich zu tragen, die meisten ihrer sozialen Interaktionen zu protokollieren und zu verfolgen oder fehlerfreie Aufzeichnungen über alle ihre Lesegewohnheiten zu führen”. Doch Smartphones, vernetzte Autos, Web-Tracking-Technologien, das Internet der Dinge und andere Innovationen hätten diesen Effekt ohne staatliche Beteiligung erzielt.

Bürgerrechtler und Datenschützer sehen ihre Warnungen vor der massenhaften Datenerfassung durch Werbeanbieter und Tech-Konzerne bestätigt. “Dieser Bericht enthüllt das Schlimmste, was wir befürchtet haben”, sagte Sean Vitka, Anwalt bei der gemeinnützigen Organisation Demand Progress gegenüber dem US-Magazin Wired. “Die Geheimdienste missachten das Gesetz und kaufen Informationen über Amerikaner, bei denen der Kongress und der Oberste Gerichtshof klargestellt haben, dass die Regierung sie nicht haben sollte.”

Anonymisierung schützt oft nicht

Die Behörden dürfen die Informationen kaufen und nutzen, weil bestehende Richtlinien sie als “öffentlich verfügbar” einordnen – da sie prinzipiell jeder kaufen könnte. Dadurch ist die Beschaffung und Nutzung der Daten weniger strikt geregelt und Datenschutz- und Bürgerrechte greifen größtenteils nicht, erklärt das ODNI im Bericht.

Diese Argumentation ist allerdings hoch umstritten. Das ODNI warnt selbst davor, dass die Einordnung der kommerziell verfügbaren Daten als “nicht sensibel” nicht mehr zeitgemäß sei: Obwohl kommerziell verfügbare Daten im Regelfall anonymisiert sind, sei es oftmals möglich, sie mithilfe weiterer Daten zu deanonymisieren und einzelne Personen zu identifizieren.

Der Bericht nennt als Beispiel einen Versuch des Magazins Times, in dem die Redakteure ein Bewegungsprofil des damaligen US-Präsidenten Donald Trump anfertigen konnten. Sie deanonymisierten frei erworbene Daten und konnten darin einen Mitarbeiter des Secret Service identifizieren.

Wirkungslose Gesetze

“In den falschen Händen”, warnt das ODNI, könne derselbe Datenberg, den die Regierung im Stillen anhäuft, gegen Amerikaner verwendet werden, um “Erpressung, Stalking, Belästigung und öffentliche Bloßstellung zu erleichtern” – Vergehen, die in der Vergangenheit allesamt bereits von US-Geheimdiensten und -Regierungen begangen wurden.

Das Magazin Wired kritisiert zudem die veralteten US-Gesetze zum Schutz frei verfügbarer Daten würden von Staatsanwälten so interpretiert, dass sie ihre (restliche) Wirkung verlieren.

“Ich warne seit Jahren davor, dass, wenn die Verwendung einer Kreditkarte zum Kauf der persönlichen Daten eines Amerikaners dessen Rechte gemäß dem vierten Verfassungszusatz ungültig macht, die traditionellen Kontrollen und Gegenmaßnahmen zur staatlichen Überwachung zusammenbrechen werden”, sagte Senator Wyden gegenüber Wired.

Regeln und Dokumentation gefordert

Das ODNI sieht dringenden Bedarf für klare Richtlinien, die festlegen, wie die Geheimdienste mit den kaufbaren kommerziell erhältlichen Daten umzugehen haben. Die Behörde fordert die Geheimdienste auf, die bereits erworbenen Daten zu katalogisieren und herauszufinden, welche Daten wie und wo erworben wurden und wie die Behörden sie nutzen. Die Nutzung der Daten innerhalb der Geheimdienste sollte dauerhaft überprüft und dokumentiert werden, empfiehlt das ODNI.

Auf Basis dieser Erkenntnisse müssten die Geheimdienste Standards und Verfahren entwickeln, nach denen die Beschaffung und Nutzung der erwerbbaren Informationen bewertet werden. In diesem Verfahren sollten auch Regeln entwickelt werden, nach denen besonders sensible kommerziell verfügbare Daten identifiziert und geschützt werden.

“Der Kongress muss Gesetze verabschieden, um den Käufen der Regierung Grenzen zu setzen, um private Unternehmen zu zügeln, die diese Daten sammeln und verkaufen, und um die persönlichen Informationen der Amerikaner nicht in die Hände unserer Gegner geraten zu lassen”, sagte auch Wyden am Montag.

Der Bericht warnt nur vor den Folgen des Datensammelns für US-Bürger; Menschen anderer Staatsangehörigkeiten spielten bei der ethischen und rechtlichen Betrachtung keine Rolle. Hier gelten nach US-Recht weit freizügigere Regeln für die Überwachung. (hcz)