Anklage gegen Journalisten wegen Verlinkung zugelassen

Oberlandesgericht Stuttgart
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte will in dem Fall notfalls vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. (Quelle: IMAGO / imagebroker)

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat die Anklage gegen einen Redakteur des Freiburger Radiosenders Radio Dreyeckland zugelassen. Das teilte das Gericht am Dienstag mit. Dem Journalisten wird vorgeworfen, durch die Verlinkung einer Internetseite in seiner Berichterstattung eine verbotene Vereinigung unterstützt zu haben.

Der Redakteur Fabian Kienert hatte über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Verbot der Internetseite “linksunten.indymedia” berichtet – und dabei auch eine Archivseite der Plattform verlinkt. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sah in der Verlinkung eine strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung. Sie hatte deshalb Anklage gegen den Journalisten erhoben – das Landgericht Karlsruhe hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens Mitte Mai allerdings abgelehnt und den Artikel als “zulässige Presseberichterstattung” bewertet. Das Landgericht sah die Verlinkung als Teil der journalistischen Aufgabe an, sie sei daher keine strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung. Journalistenverbände hatten die Entscheidung als “wichtiges Urteil” für die Pressefreiheit begrüßt.

Das Oberlandesgericht Stuttgart teilte nun aber mit, auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin das Hauptverfahren eröffnet und den Beschluss des Landgerichts aufgehoben zu haben. Das Gericht erklärte, der Angeklagte sei “des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot hinreichend verdächtig”. Die Hauptverhandlung wird vor dem Landgericht Karlsruhe stattfinden.

Das Oberlandesgericht hält es zudem für “überwiegend wahrscheinlich”, dass die verbotene Vereinigung weiterbesteht. So sei die Webseite “niemals gelöscht oder endgültig nicht mehr betrieben worden”. Die Vorinstanz hatte angezweifelt, ob der verbotene Verein “linksunten.indymedia” noch existiere – ein nicht mehr existenter Verein könne auch nicht unterstützt werden. Die Kammer hatte ferner verneint, dass die Verlinkung auf die Archivseite gegen weitere Strafvorschriften verstoßen hat, etwa das Verbreiten von Propagandamaterial.

Das Oberlandesgericht sieht den Bericht des Angeklagten hingegen “mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht von der Pressefreiheit gedeckt”. Vielmehr sei er als “Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung anzusehen” und “nicht nur als straflose (Sympathie-)Werbung”.

Im Vordergrund des Artikel stehe der “Werbeeffekt für die Vereinigung und die Hinleitung auf deren Internetseite” – er könne daher als “Verlängerung” der Seite von “linksunten.indymedia” angesehen werden.

Kritik an Entscheidung

David Werdermann, Jurist und Verfahrenskoordinator der GFF, kritisierte: “Wenn Medien mit Strafverfahren rechnen müssen, nur weil sie kritisch über staatliche Vereinsverbote berichten, dann bleibt von der Pressefreiheit nicht mehr viel übrig. Die Verlinkung der Archivseite ist keine Propaganda, sondern gehört zu den Aufgaben der digitalen Presse.” Nur so könnten Leserinnen und Leser sich selbst informieren und eine Meinung bilden.

Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert die Entscheidung. RSF-Geschäftsführer Christian Mihr sagte: “Wir sind sehr befremdet darüber, mit welcher Vehemenz die Justiz in Baden-Württemberg hier gegen Radio Dreyeckland vorgeht. Verlinkungen sind Teil jeder seriösen journalistischen Berichterstattung. Relevante Inhalte zu verlinken als aktive Unterstützung dieser Inhalte zu werten, halten wir für abwegig und sogar gefährlich.” Sollte die Argumentation des Oberlandesgerichts auch in der Hauptverhandlung Bestand haben, werde das für große Verunsicherung bei anderen Medien sorgen. Mihr sagte weiter: “Wir glauben und hoffen, dass es nicht dazu kommt. Trotzdem stellt das gesamte Vorgehen gegen den freien Radiosender schon jetzt einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit dar.”

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten Verbands (DJV), Frank Überall, erklärte: “Eine Justiz, zwei Meinungen: Zuerst ist der Beitrag des Journalisten von der Pressefreiheit gedeckt, dann wirbt er angeblich für eine verbotene Organisation. Das ist völlig überzogen.”

Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte die Internetplattform “linksunten.indymedia” im August 2017 auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten. Das Ministerium hatte damals erklärt, es handle sich um “die einflussreichste Internetplattform gewaltbereiter Linksextremisten in Deutschland”. Laut RSF wurde bei dem Verbot die rechtlich gebotene Abwägung mit dem Grundrecht auf Pressefreiheit umgangen, weil der Weg über das Vereinsrecht gewählt wurde.

Die GFF kritisiert das Verbot als unverhältnismäßig. Zuletzt wurde eine Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot im März 2023 vom Bundesverfassungsgericht aus formalen Gründen abgewiesen.

Durchsuchungen im Januar

Im Januar hatte das Amtsgericht Karlsruhe wegen des Vorwurfs der strafbaren Unterstützung die Durchsuchung der Redaktionsräume des nicht kommerziellen Radiosenders sowie der Privatwohnungen zweier Redakteure angeordnet. Dabei wurden auch Computer, Mobiltelefone und Datenträger beschlagnahmt, auf denen nach Angaben des Senders “sensible, vom Redaktionsgeheimnis geschützte Daten” gespeichert waren.

Auch an der Durchsuchung hatte es scharfe Kritik gegeben. RSF hatte von einem “Angriff auf die Pressefreiheit” gesprochen; der DJV hatte der Polizei vorgeworfen, “massiv gegen das Redaktionsgeheimnis” verstoßen zu haben.

Gemeinsam mit der GFF hatte der Freiburger Radiosender im März Beschwerden gegen die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse eingelegt. Diese sind noch beim Landgericht Karlsruhe anhängig. Vor Gericht will die Organisation ein Präzedenzurteil erzielen und feststellen lassen, dass sich die Presse nicht strafbar macht, wenn sie im Rahmen der Berichterstattung auf Webseiten verlinkt. Das bloße Verlinken sei von der Pressefreiheit geschützt und könne nicht als Unterstützung einer verbotenen Vereinigung angesehen werden, so die GFF. Außerdem solle Rechtssicherheit darüber geschaffen werden, dass die Rundfunkfreiheit vor der Durchsuchung von Redaktionsräumen und Wohnungen von Mitarbeitern schützt.

Die GFF kündigte bereits an, Verfassungsbeschwerde erheben zu wollen, sollten die Beschwerden keinen Erfolg haben – oder der betroffene Journalist verurteilt werden.

Der betroffene Redakteur Fabian Kienert erklärte, die Kriminalisierung belaste nicht nur ihn, sondern verunsichere Journalisten in der ganzen Republik. Es müsse möglich sein, kritisch über Vereinsverbote zu berichten, ohne sich direkt dem Vorwurf auszusetzen, eine verbotene Vereinigung zu unterstützen.

Radio Dreyeckland ist aus der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1970er Jahre entstanden und bekam 1988 als erstes freies Radio in Deutschland eine Sendelizenz. (dpa / js)