Besserer Schutz für Kinder-Influencer gefordert
Sie testen Spielzeug, Süßigkeiten und Pflegeprodukte. Bei der Geburtstagsfeier, im Park oder Schwimmbad ist meistens die Kamera dabei. Hunderttausende folgen Minderjährigen auf YouTube, Instagram und TikTok durch deren Alltag.
Hinter der Kamera und den Accounts stehen meist die Eltern. Sie kümmern sich darum, neue Bilder und Videos online zu stellen und gegebenenfalls um die Verträge mit Unternehmen, die in den Videos ihre Produkte platzieren und dafür Geld bezahlen. Manche Familien bestreiten so ihren Lebensunterhalt.
Das Deutsche Kinderhilfswerk beobachtet das wachsende Phänomen der sogenannten Kinder-Influencer in Deutschland seit geraumer Zeit mit Sorge. In vielen Fällen sieht es eine neue Form von Kinderarbeit gegeben. Die Kinderrechtsorganisation fordert nun eine Anpassung des in Deutschland geltenden Jugendarbeitsschutzgesetzes an die Tätigkeit von Minderjährigen in den sozialen Medien. “Es muss klar sein, dass die in Deutschland bestehenden Regeln zum Schutz von Kindern auch die Arbeit von Kindern im Internet umfasst”, sagte Uwe Kamp, Sprecher des Deutschen Kinderhilfswerks, der Deutschen Presse-Agentur.
Gesetz regelt Jugendarbeit
Unter welchen Voraussetzungen Kinder und Jugendliche in Deutschland arbeiten dürfen, ist im Jugendarbeitsschutzgesetz geregelt. Das Gesetz hat die Aufgabe, Kinder und Jugendliche vor Überforderung, Überbeanspruchung und den Gefahren am Arbeitsplatz zu schützen. Die Beschäftigung von Kindern – also unter 15-Jährigen – ist demnach grundsätzlich verboten. Ausnahmen können von den zuständigen Arbeitsschutzbehörden bewilligt werden.
Eine solche Ausnahmebewilligung ist von einer Vielzahl von Voraussetzungen abhängig – so muss beispielsweise das zuständige Jugendamt angehört werden. Die Regelungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes können laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales auch auf Tätigkeiten von Influencern im Kinder- und Jugendalter angewendet werden.
Gesetz thematisiert Online-Arbeit nicht
Nach den Beobachtungen des Deutschen Kinderhilfswerkes findet das Jugendarbeitsschutzgesetz im Bereich der Kinder-Influencer derzeit aber kaum Anwendung. Das Problem nach Ansicht der Kinderrechtsorganisation: Die “Arbeit von Kindern im Internet” taucht im Jugendarbeitsschutzgesetz nicht namentlich auf. Das Kinderhilfswerk hält eine gesetzliche Nachjustierung deshalb für dringend notwendig. Kamp vom Kinderhilfswerk bezweifelt, dass Eltern von Kinder-Influencern ihrer Rolle als Produzenten und Aufsichtspersonen gleichzeitig gerecht werden können.
Dem Bundesfamilienministerium liegen nach eigenen Angaben keine aktuellen Zahlen vor, wie viele Kinder-Influencer es in Deutschland gibt. Auch gebe es bislang keine strukturelle Unterstützung für Gewerbeaufsicht und Jugendämter zum Umgang mit Kinder-Influencern.
Französisches Gesetz auf dem Weg
In Frankreich hingegen hat der Senat im Juni 2020 einen Gesetzentwurf verabschiedet, der Influencer unter 16 Jahren schützen soll. Das Gesetz lehnt sich an die bestehende Gesetzgebung für Kinder in der Unterhaltungsindustrie an.
So müssen Eltern eine Genehmigung bei der zuständigen Kommission des Sozialministeriums beantragen. Fehlen die Kinder aufgrund ihres Online-Jobs mehr als einen Tag in der Schule, brauchen sie außerdem eine Genehmigung der Schulbehörde. Zudem sind Arbeits- und Pausenzeiten geregelt. Einnahmen aus der Tätigkeit müssen teilweise auf ein Konto des staatlichen Finanzinstituts “Caisse des Dépôts” eingezahlt werden und stehen dem Kind dann nach Erreichen der Volljährigkeit zur Verfügung.
Das Gesetz sieht darüber hinaus ein Recht auf Vergessenwerden für Minderjährige vor. Sie können sich an die Plattformen wenden, um die Verbreitung von Inhalten zu stoppen. Derzeit befindet sich der Entwurf zur zweiten Lesung in der Nationalversammlung.
Kinder können Opfer von Mobbing werden
Es gibt jedoch nicht nur arbeitsrechtliche Bedenken gegenüber der Tätigkeit von Kindern als Influencer. Die Initiative “Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht” warnt auch vor Gefahren für Kinder und Jugendliche, deren Bilder und Videos auf sozialen Medien zu sehen sind. Hinter “Schau hin” stehen unter anderem das Bundesfamilienministerium sowie ARD und ZDF.
So bemängelt die Initiative eine “intolerante Kommentarkultur”, in der Kinder Beleidigungen oder gar Drohungen ausgesetzt sind. Im schlimmsten Fall könne das in Mobbing enden.
Die Kommentare werden aber auch durch Pädosexuelle für das sogenannte Cybergrooming genutzt. Erwachsene nutzten Fake-Accounts, um Minderjährigen vorzuspielen, es handle sich um Gleichaltrige. Die Täter fragen dann nach weiteren Fotos und nähern sich stufenweise an, um etwa Nacktfotos von den Kindern zu erhalten. Cybergrooming ist in Deutschland strafbar.
Gefahr der Zweckentfremdung
Zudem gibt die Initiative zu bedenken, dass hochgeladene Bilder und Videos abgespeichert und zweckentfremdet werden können. Pädosexuelle Nutzer suchten etwa gezielt nach Alltagsszenen, die sie sexualisieren können.
Eine weitere Gefahr sieht die Initiative für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Häufig würden diese Vorbildern nacheifern, die klassische Schönheitsideale transportieren. Das könne Kinder zu “leichtsinniger und unreflektierter Selbstinzenzierung” bringen. Die Initiative “Schau hin” empfiehlt Eltern, ihre Kinder in den sozialen Netzen zu begleiten und über die vorhandenen Gefahren aufzuklären. Zudem sollte bei jedem Bild und Video abgewogen werden, ob es letztlich in die sozialen Netze hochgeladen wird. Speziell auf Kinder zugeschnittene Angebote wie YouTube Kids könnten außerdem für mehr Sicherheit sorgen. Solche auf Kinder ausgerichteten Angebote ersetzen allerdings keine elterliche Aufsicht. (dpa / js)