Türkei will soziale Netzwerke kontrollieren
Die türkische Regierung will ihre Kontrolle über soziale Medien erneut ausbauen. Twitter, Facebook und andere Plattformen mit mehr als einer Million Nutzer pro Tag sollen unter anderem künftig dazu verpflichtet werden, Niederlassungen in der Türkei mit einem türkischen Staatsbürger als Vertreter zu eröffnen. Dies geht aus einem am Dienstag veröffentlichten Gesetzentwurf hervor.
Anbietern, die den geplanten Regelungen nicht nachkommen, drohen demnach Strafen und Einschränkungen der Dienste im Land. Das Parlament muss das von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP und der mit ihr verbündeten ultranationalistischen MHP eingebrachte Gesetz noch beschließen. AKP und MHP stellen die Mehrheit der Abgeordneten.
NetzDG als Vorbild
Die Konzerne müssen laut Entwurf innerhalb von 48 Stunden reagieren, wenn Inhalte gegen Persönlichkeitsrechte oder die Privatsphäre verstoßen. Ansonsten drohen den künftigen Vertretern im Land Strafanzeigen, sagte der Internetexperte Yaman Akdeniz der Deutschen Presse-Agentur. Hielten sich die Plattformen wiederum an die Regeln, drohten sie zum “verlängerten Arm der Regierung” zu werden.
Nutzerdaten müssen zukünftig innerhalb der Türkei gespeichert werden. Bei Diensten, die keine Niederlassungen in der Türkei eröffnen, soll dem Entwurf zufolge die Übertragungsbandbreite um bis zu 90 Prozent reduziert werden, womit sie fast unnutzbar werden. Bereits jetzt können Instanzen wie der Verband der Internetdiensteanbieter, die nationale Lotteriebehörde und die staatliche Religionsaufsicht Webseiten sperren, sagte Akdeniz. Er wies per Twitter auch darauf hin, dass nicht nur soziale Netzwerke betroffen sein werden, sondern auch Nachrichtenseiten.
Gökhan Ahi von der Bilgi Universität kritisierte den Entwurf gegenüber der türkischen Nachrichtenseite Bianet als “hart und unangemessen”. “Ein paar kleine Änderungen würden ausreichen, um das System besser funktionieren zu lassen”, sagte Ahi, “Mit diesem Gesetz soll die Kritik im Internet und in den sozialen Medien [an der Regierung] reduziert und schnell auf die Identität von Benutzer mit einem anonymen Konto zugegriffen werden.” Ahi nennt den Entwurf “ein Gesetz der Selbstzensur”.
Die Diskussion in der Türkei habe sich auch immer wieder auf das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bezogen, das hierzulande 2018 in Kraft getreten ist. Auch die autoritären Regierungen von Singapur und Russland beriefen sich auf das deutsche NetzDG bei der Einschränkung der Internetfreiheit.
Systematische Repression
Özlem Zengin, stellvertretende AKP-Fraktionsvorsitzende, sagte am Dienstag zu dem eingereichten Entwurf: “Wir haben das Ziel, die Beleidigung, die Beschimpfungen in den sozialen Medien und die Belästigungen, die durch dieses Medium gemacht werden, zu beenden.”
In den vergangenen Jahren hat die Regierung die Kontrolle über Inhalte im Internet immer wieder verstärkt. Große soziale Portale wie YouTube wurden zensiert. Momentan sind rund 408.000 Webseiten und 130.000 Webadressen gesperrt. Bis vergangenen Januar war beispielsweise Wikipedia zwei Jahre lang nicht zugänglich. (dpa / hcz)