Biodiversität: Menschheit vernichtet Lebensgrundlagen

Biene
Auch hierzulande sind Arten vom Aussterben bedroht, doch die einschneidendsten Folgen werden die Menschen in sogenannten Entwicklungsländern zu spüren bekommen. (Quelle: IMAGO / Andreas Haas)

Viele wildlebende Tiere und natürlich vorkommende Pflanzen sind für Milliarden Menschen Teil ihrer Lebensgrundlage. Doch diese Angebote der Natur sind durch Übernutzung mehr und mehr gefährdet. Dabei profitieren Menschen täglich vom Gebrauch wildlebender Arten, etwa für Nahrung, Energie, Material, Medizin, Erholung und andere lebensnotwendige Beiträge, erklärt der Weltbiodiversitätsrat IPBES in Bonn.

Die beschleunigte globale Biodiversitäts-Krise mit einer Million vom Aussterben bedrohten Pflanzen- und Tierarten gefährde diese Beiträge für die Menschheit, heißt es in einem am Freitag vorgestellten IPBES-Bericht über die nachhaltige Nutzung wildlebender Algen-, Tier-, Pilz- und Pflanzenarten. Die Autorinnen und Autoren untersuchten vier Bereiche, in denen der Mensch Wildlebewesen nutzt: Jagd, Fischerei, Holzeinschlag und das Sammeln von Pflanzen.

Die Menschen profitieren etwa von 50.000 wildlebenden Arten. So würden etwa 10.000 Arten gegessen.

Die Ausbeutung der Natur bedroht dem Bericht zufolge derzeit rund 1300 zu stark bejagte Säugetierarten, 34 Prozent der Fischarten sind durch Überfischung gefährdet. Die Übernutzung wilder Arten durch den Menschen könnte demnach zum größten Massensterben seit den Dinosauriern führen.

Den Autoren zufolge sind “transformative Veränderungen” vonnöten, um das Aussterben wilder Arten zu verhindern und für Menschen lebenswichtige Ökosysteme zu erhalten. “Es besteht die dringende Notwendigkeit, wirksame politische Instrumente einzuführen und auszubauen.”

Ärmere Menschen besonders auf Ressourcen angewiesen

Die Landbevölkerung in sogenannten Entwicklungsländern sei aus Mangel an Alternativen oft dazu gezwungen, bereits gefährdete Arten weiter zu nutzen, erklärten die Autoren.

“Fast die Hälfte der Weltbevölkerung ist mehr oder weniger stark auf die Nutzung wildlebender Arten angewiesen. Das ist viel umfassender, als die meisten Menschen denken”, erklärte John Donaldson, Co-Vorsitzender des Weltbiodiversitätsrats.

Überfischung und Abholzung

Dem Bericht zufolge stellt die Fischerei eine der wichtigsten Nahrungsquellen für die Menschheit dar und liefert jährlich 90 Millionen Tonnen Nahrung – zum Direktverzehr oder als Futtermittel. Dabei gelten 34 Prozent der weltweiten Fischbestände als überfischt.

Die Kleinfischerei, in der weltweit 90 Prozent der Fischerinnen und Fischer tätig sind, sei wenig nachhaltig organisiert und schwer zu regulieren. Das Problem sei besonders in Afrika und in der Küstenfischerei in Asien, Lateinamerika und Europa zu beobachten.

Bei den Baumarten sei jede achte wildlebende Art durch nicht nachhaltige Abholzung bedroht. Mit 2,4 Milliarden Menschen sei etwa ein Drittel der Weltbevölkerung zum Kochen auf Brennholz angewiesen. Schätzungsweise 880 Millionen Menschen weltweit – insbesondere in Entwicklungsländern – schlagen Brennholz oder produzieren Holzkohle.

20 Prozent der Tropenwälder seien aktuell durch selektive Abholzung bedroht. Diese könne dort zumindest eingedämmt werden, wo indigene Völker die Wälder nutzen und im besten Fall die Besitzrechte juristisch gesichert sind. Nicht nachhaltiges Sammeln sei eine der größten Bedrohungen für Pflanzengruppen wie Kakteen, Zykaden und Orchideen.

“Gutfühl-Weisheiten”

Der Bericht wurde auf einem Kongress in Bonn mit mehr als 900 Vertretern der 139 Mitgliedsstaaten des Weltbiodiversitätsrats verabschiedet. 85 Expertinnen und Experten aus 33 Ländern hatten vier Jahre daran gearbeitet.

Kritik äußerte unter anderem Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) in Kiel gegenüber dem Science Media Center: “Die key messages sind leider sehr allgemein gehalten. Es gibt keinen Aufruf zu dringend benötigten Aktionen, wie die Beendigung von Übernutzung mit verbindlichem Zeitplan. Nur allgemeine Gutfühl-Weisheiten, denen jeder zustimmen kann.”

Matthias Glaubrecht, Professor für Biodiversität der Tiere an der Universität Hamburg forderte gegenüber Spiegel Online: “Wir brauchen nicht noch mehr Berichte, wir brauchen endlich politisches Handeln.” Solche Berichte gäbe es bereits seit Jahrzehnten und die Lage habe sich weiter verschlechtert, beispielsweise bei durch Abholzung bedingten Artenverlusten.

IPBES, die Zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen, arbeitet seit 2014 in Bonn auf dem dortigen UN-Campus. Vor drei Jahren hatte der erste Hauptbericht des Welt-Biodiversitätsrats weltweit Aufsehen erregt, als er feststellte, dass die Ausbeutung der Natur durch den Menschen rund eine Million Spezies bedroht. Der Bericht soll Entscheidungsträgern Handlungsoptionen aufzeigen. (dpa / hcz)