Gesellschaft für Freiheitsrechte klagt gegen Staatstrojaner

Symbolbild Staatstrojaner
Seit Mitte 2021 dürfen alle 19 deutschen Nachrichtendienste mit Trojanern elektronische Kommunikation ausforschen. (Quelle: IMAGO / Christian Ohde)

Gemeinsam mit zehn Beschwerdeführerinnen und -führern klagt die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gegen die Befugnis deutscher Nachrichtendienste, sogenannte Staatstrojaner einzusetzen. Der Bürgerrechtsverein kündigte an, am heutigen Freitag Verfassungsbeschwerde gegen das “Artikel 10-Gesetz” und weitere Gesetze vor dem Bundesverfassungsgericht zu erheben. Die Überwachungsbefugnisse führten zu schweren Grundrechtseingriffen.

Zu den Beschwerdeführern zählen unter anderem der GFF-Vorsitzende und freie Journalist Ulf Buermeyer sowie die Anwältin Seda Başay-Yıldız, die seit 2018 mit “NSU 2.0” unterschriebene Morddrohungen erhalten hatte. Auch der Journalist und Aktionskünstler Jean Peters zählt zu den Klägern. Sie befürchten die Überwachung ihrer verschlüsselten Kommunikation, beispielsweise in Messenger-Apps.

Die Kläger kritisieren, die Befugnis zur Kommunikationsüberwachung mit Staatstrojanern gefährde das im Grundgesetz verankerte Fernmeldegeheimnis. Weil der Zugriff heimlich stattfinde und in der Regel auch später nicht offengelegt werde, könnten sich Betroffene außerdem nicht wehren.

Die Nachrichtendienste müssten zudem keine “nennenswerten Voraussetzungen” erfüllen, um staatliche Spähsoftware einzusetzen.

IT-Grundrecht wird verletzt

Jürgen Bering, zuständiger Jurist bei der GFF, sagte: “Die G10-Anpassung setzt den gefährlichen Trend der letzten Jahre fort: Neue technische Überwachungsmöglichkeiten für alle Behörden – ohne Notwendigkeit, ohne Rücksicht auf gefährdete Grundrechte, ohne ausreichende Kontrolle. Eine Abwägung des tatsächlichen Nutzens von Staatstrojanern mit den grundrechtlichen Risiken findet gar nicht erst statt. Das wäre aber gerade für den Einsatz durch Geheimdienste zentral, deren Befugnisse im Vorfeld von Straftaten sehr vage definiert und kaum kontrollierbar sind.”

Der Bundestag hatte im Juni 2021 mit einer Novelle des Verfassungsschutzrechts erstmals allen Nachrichtendiensten die Möglichkeit eingeräumt, Staatstrojaner zur Überwachung von Kommunikation einzusetzen. Erlaubt ist auch die sogenannte “Quellen-TKÜ plus”: Dabei dürfen die Nachrichtendienste nicht nur auf laufende, sondern auch auf ruhende Kommunikation zugreifen. Also insbesondere auf gespeicherte Chats und Textnachrichten. Die GFF kritisiert, dies verletze das sogenannte IT-Grundrecht, das Menschen vor einer Veränderung ihrer technischen Geräte und deren Programmen schützt.

Staat soll Sicherheitslücken melden

Dieses Grundrecht sehen die Beschwerdeführer noch aus einem anderen Grund verletzt: Denn um Endgeräte wie Smartphones mit einem Trojaner zu infiltrieren, werden vorhandene Sicherheitslücken ausgenutzt. Die GFF fordert, der Staat müsse solche Lücken an die Hersteller melden, damit sie geschlossen werden – stattdessen nutze er sie aber für “eigene Überwachungszwecke”.

Dabei habe das Bundesverfassungsgericht bereits deutlich gemacht, dass für den Staat eine Schutzpflicht im Bereich der IT-Sicherheit besteht. Er müsse daher aktiv zum Schutz von Systemen beitragen.

“Der Staat muss vor IT-Sicherheitslücken schützen und darf sie nicht für eigene Spähsoftware offenhalten, sonst spielt er Kriminellen in die Hände. Muss Deutschland erst selbst im Zentrum eines desaströsen Cyberangriffs wie WannaCry 2017 stehen, damit die Zuständigen aufwachen?”, so Ulf Buermeyer.

Das Schadprogramm “WannaCry” hatte im Jahr 2017 weltweit Windows-Systeme befallen – auch von Behörden und Krankenhäusern. Der US-Geheimdienst NSA soll die von “WannaCry” ausgenutzte Sicherheitslücke gefunden und geheim gehalten haben, anstatt Microsoft zu informieren. Kriminelle sollen dann an diese Informationen gelangt sein und sie für Angriffe ausgenutzt haben.

Die Klage der GFF richtet sich darüber hinaus gegen das sogenannte Nachrichtendienstliche Informationssystem. Seit Juli vergangenen Jahres hat auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) Zugriff darauf. Die GFF kritisiert, alle Verfassungsschutzämter und der MAD würden Informationen in diese Datei einspeisen und sie den anderen Diensten zur Verfügung stellen. Es bestehe ein großes Risiko, dass es bei dieser “enormen Datensammlung” zu Missbrauch komme.

Weitere Klagen

Bereits im Oktober 2021 hatte die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) gemeinsam mit Investigativjournalistinnen und -journalisten sowie dem Verein “Whistleblower-Netzwerk” gegen die Befugnis der Nachrichtendienste zum Einsatz von staatlicher Spionagesoftware geklagt. Sie wollen erreichen, dass die Nachrichtendienste Staatstrojaner nicht gegen “unverdächtige Nebenbetroffene” einsetzen dürfen und dafür sogenannte vorbeugende Unterlassungsklagen an verschiedenen Verwaltungsgerichten eingereicht.

Die klagenden Medienschaffenden recherchieren zu rechtsextremen Netzwerken und stehen dazu auch mit Personen in Kontakt, die in das Beobachtungsfeld von Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst fallen. Sie befürchten daher, dass sie zum “Beifang staatlicher Überwachung” werden könnten. Dies könne massive Auswirkungen auf den investigativen Journalismus haben, weil Informanten darauf vertrauen müssen, dass ihre Gespräche mit Journalisten vertraulich bleiben – andernfalls könne es einen abschreckenden Effekt geben.

Auch mehrere FDP-Abgeordnete hatten Mitte 2021 eine Verfassungsbeschwerde gegen den Einsatz von Staatstrojanern durch die deutschen Nachrichtendienste eingelegt. (js)