Kambodscha: Abholzung zerstört Kultur indigener Völker

Rodung
Betroffene berichteten Amnesty: Mitarbeiter des kambodschanischen Umweltministeriums würden Abholzungen nur kontrollieren, um Bestechungsgelder abzuholen. (Quelle: Christian Pirkl – CC BY-SA 4.0)

In kaum einem anderen Land werden so viele Bäume abgeholzt wie in Kambodscha: Seit 2011 sind 64 Prozent des Baumbestands verloren gegangen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International weist in ihrem neuen Bericht “Our traditions are being destroyed” darauf hin, dass die Rodungen nicht nur fatalen Einfluss auf die biologische Vielfalt und das Klima haben, sondern auch “schwerwiegende Folgen” für die Menschenrechte und die Kulturen indigener Völker.

Die Traditionen der Indigenen würden regelrecht “ausgelöscht”, schreiben die Autoren. Illegale Abholzung und Unterdrückung führten dazu, dass unter anderem die Mitglieder der der Kyu, einer der größten indigenen Völker des Landes, ihre spirituellen Praktiken nicht mehr ausüben und ihre Landrechte nicht wahrnehmen können. Ihre Lebensgrundlage sei bedroht und sie würden vom Umweltministerium davon abgehalten, den Wald zu schützen.

Der Bericht basiert auf Interviews mit 20 Aktivistinnen und Aktivisten aus den Gemeinden, die sich für die Bewahrung der Schutzgebiete Prey Lang und Prey Preah Roka einsetzen. Die meisten Befragten bezeichneten sich als Kyu. Die beiden Schutzgebiete sind die Heimat vieler Mitglieder des Volkes. Dort befinden sich außerdem geschützte Wildtiergebiete.

“Der ungezügelte illegale Holzeinschlag in Kambodscha stellt eine existenzielle Bedrohung für die verbliebenen Primärwälder des Landes und die indigenen Völker dar, die für ihren Lebensunterhalt, ihre Kultur und ihre spirituellen Praktiken auf diese Wälder angewiesen sind”, kommentierte Richard Pearshouse, Leiter des Bereichs Krisen und Umwelt bei Amnesty International.

Amnesty International fordert die kambodschanischen Behörden dazu auf, gegen die Korruption vorzugehen, die illegale Abholzung erst in diesem Umfang möglich mache. Zudem müssten die Rechte indigener Bewohner geschützt werden. Der kambodschanische Staat sei sowohl nach nationalen als auch internationalen Menschenrechtsabkommen dazu verpflichtet – unter anderem der Erklärung der Vereinten Nationen über die
Rechte indigener Völker (UNDRIP)
, der auch Kambodscha zugestimmt hat.

Korrupte Umweltbeamte

Doch vom Staat könnten die Indigenen aktuell keine Hilfe erwarten: “Immer wieder profitieren Regierungsbeamte, die diese wertvollen Wälder eigentlich schützen sollten, von ihrer Zerstörung, indem sie den illegalen Holzeinschlag gedeihen lassen”, kritisierte Pearshouse.

Interviewte berichteten davon, dass Mitarbeiter des Umweltschutzministeriums Bestechungsgelder fordern und annehmen, um die illegale Abholzung zu ignorieren. Beschwerden bei den Behörden führten zu keinem Ergebnis.

“Das große Problem ist, dass die Behörden, insbesondere das Umweltministerium, nur daran interessiert sind, Geld einzutreiben”, berichtete ein Befragter. “Ich habe es schon oft versucht und bin direkt zum Provinzbüro des Ministeriums gegangen und habe ihnen von der Abholzung erzählt und ihnen Fotos und andere Beweise gegeben.” Die Beamten würden dann nur aktiv werden, um Bestechungsgelder von den Holzfällern einzutreiben.

Auch die Polizei sei an den illegalen Geschäften beteiligt. Den Berichten zufolge warteten Beamte teils öffentlich an den Straßen, um sich von den Holzfällern bezahlen zu lassen.

Aktivisten werden behindert

Umweltaktivisten würden hingegen gewaltsam von den Beamten daran gehindert, Patrouillen im Wald durchzuführen, um den Holzschlag zu dokumentieren. Seit Februar 2020 verbiete das Umweltministerium Umweltschutzgruppen wie dem Prey Lang Community Network (PLCN) und dem Prey Preah Roka Forest Community Network (PPRFCN), Waldschutzaktionen durchzuführen.

Die Behörde rechtfertigt die Maßnahmen mit Hinweis auf das umstrittene “Gesetz über Vereinigungen und NGOs” (LANGO) sowie das “Gesetz über Schutzgebiete” (LPA).

Einer juristischen Prüfung durch Amnesty International habe diese Argumentation nicht standgehalten. “Diese Verbote verstoßen eindeutig gegen das Recht auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit von Umweltaktivisten”, schreiben die Autoren.

Kultureller Kahlschlag

Dabei spielen die Wälder eine essenzielle Rolle für die Kyu – sowohl kulturell als auch wirtschaftlich. Das Volk habe eine enge Beziehung zu den Waldgebieten, die in ihren kulturellen Praktiken eine wichtige Rolle einnehmen. Auch sei ihr Lebensunterhalt von ihnen abhängig. Das gelte nicht nur für die Kyu, sondern auch für die meisten anderen der 24 indigenen Völker Kambodschas.

Alle von Amnesty International befragten Kuy seien darüber besorgt gewesen, dass die großflächige Abholzung ihr kulturelles Überleben bedroht. Ein unter dem Pseudonym Huot zitiertes Kyu-Mitglied sagte: “Die Wälder um uns herum sind ein Teil der Gesundheit unserer Gemeinschaft – unsere Verbindung zu den Geistern und dem Wald, in dem sie leben, sind das, was unser Wohlergehen als Gemeinschaft und unser Gefühl der Freundschaft und Solidarität untereinander aufrechterhält.” Wenn der Wald verloren ginge, würden die Kyu dies verlieren.

Ein Kyu beschrieb die Folgen der Abholzung für zukünftige Generationen: “Ich habe das Gefühl, dass von unserer Kultur fast nichts mehr übrig ist. Die jüngere Generation wird nie all die für uns wichtigen Orte in den Wäldern kennenlernen.” Es habe alte Dörfer gegeben, die einst im Wald lagen und weiterhin als spirituelle Orte dienten. Jetzt seien diese Orte durch die Abholzung zerstört worden.

Zerstörung der Lebensgrundlage

Die Kyu bestreiten ihren Lebensunterhalt traditionell mit der nachhaltigen Nutzung der Wälder: Sie zapfen endemische Bäume an, um ihr Harz zu gewinnen und es zu verkaufen. Die Methoden würden den Pflanzen nicht schaden und könnten über Jahrzehnte fortgesetzt werden. Aus dem Rohstoff können Dichtungsmittel, Farben, Lacke und Brennmaterial für Lampen hergestellt werden.

Allerdings eignen sich die soliden Baumsorten auch gut zur Möbelproduktion und würden gerne für die Herstellung von Tischen, Türen, Stühlen, Betten und Deckenbalken verwendet werden. Das weckt Begehrlichkeiten bei Holzfällern.

Bereits 70 Prozent der Harzbäume in Prey Preah Roka seien aktuell verloren. Gegen die andauernde Abholzung können die Indigenen nicht viel ausrichten. “Viele Leute von außerhalb kommen und stehlen unsere Bäume, wenn wir nicht im Wald sind – besonders während der Reissaison, wenn wir Setzlinge pflanzen oder Reis ernten. Zu dieser Zeit werden sie am meisten gestohlen, weil die Leute wissen, dass wir auf unseren Feldern arbeiten, die weit von Prey Preah Roka entfernt sind,” berichtete Thyda. Manchmal würden auf diese Weise an einem Tag 30 oder 40 Harzbäume gefällt.

Gemeinden blieb meist nichts anderes übrig, als Kaufangebote ohne Verhandlungen anzunehmen, da die Bäume sowieso gefällt werden.

Ausmaß der Abholzung

Kambodscha hat zwischen 2001 und 2020 fast 2,5 Millionen Hektar Waldfläche verloren. Während 1970 noch über 70 Prozent des Landes von Wald bedeckt waren, waren es 2007 nur noch 3,1 Prozent.

Für 2021 weisen die Daten bislang darauf hin, dass mindestens 6271 Hektar in den Schutzgebieten Prey Lang und Prey Preah Roka abgeholzt wurden. Amnesty geht aber davon aus, dass weitere Abholzungen entdeckt werden, sobald mehr Daten verfügbar sind. Illegale Abholzung in Kombination mit schnellem Bevölkerungswachstum seien die Hauptgründe für die Waldverluste. (hcz)