Brandenburg will Corona-Kontaktdaten zur Strafverfolgung nutzen

Kontaktnachverfolgung
“Solange es Daten gibt, auf die die Behörden grundsätzlich zugreifen können, lassen sich unerlaubte Abfragen und Missbrauch der Daten daher nicht ausschließen.” (Quelle:

Bezüglich der Verwendung von Kontaktdaten zur Corona-Nachverfolgung ist das Infektionsschutzgesetz eigentlich deutlich: Eine Verwendung “zu anderen Zwecken als der Kontaktnachverfolgung ist ausgeschlossen”. Dennoch hat Brandenburgs Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) im Februar im Rechtsausschuss des Landtages verkündet, die Daten der Kontaktnachverfolgung für Ermittlungen bei “schweren Straftaten” nutzen zu wollen.

Hoffmann bezieht sich dabei auf die Kontaktinformationen, die Gäste von Restaurants und anderen Betrieben während ihres Besuchs hinterlegen müssen, damit eventuelle Corona-Infektionsketten nachvollzogen werden können. An den meisten Standorten kann das auf Papier erfolgen oder mithilfe der Apps Corona-Warn-App oder Luca.

Die Ministerin sprach im Rechtsausschuss von einer juristisch “unsicheren Rechtslage”, berichtete der rbb. Das Gesetz erwähne nur den “Ausschluss der Weiterverwendung von Verantwortlichen und zuständigen Stellen”, es enthalte aber keine Ausführungen zur Frage des Zugriffs von Strafverfolgungsbehörden.

Für das Bundesjustizministerium steht allerdings außer Frage, dass das Vorhaben aus Brandenburg dem bundesweit geltenden Infektionsschutzgesetz zuwiderläuft. Die Behörde erklärte dem rbb: “Der Zugriff auf Daten der Luca-App zu Zwecken der Strafverfolgung verstößt gegen ausdrückliche Bestimmungen des Bundesrechts (hier: § 28a Absatz 4 Satz 3, 6 des Infektionsschutzgesetzes) sowie ggf. des Landesrechts.”

Experten einig

Dem Leiter der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin, Professor Martin Heger zufolge reicht es, wenn der Gesetzgeber festlegt, wer die Daten nutzen darf. “Und da stehen weder die Polizei und die Staatsanwaltschaft als Behörde noch der Zweck der Strafverfolgung drin”, erklärte er gegenüber dem Fernsehsender. Es müsse nicht jede Behörde genannt werden, die die Kontaktinformationen nicht verwenden darf.

Brandenburgs Landesdatenschutzbeauftragte, Dagmar Hartge, stimmt der Sichtweise des Bundesjustizministeriums ebenfalls zu. Das Gesetz sei eindeutig. “Wenn der Rechtsstaat in bestimmten Gebieten klar sagt, wir wollen nicht, dass Daten für andere Zwecke verwendet werden, dann muss es auch so sein”, erinnerte sie.

Datenschutz im Infektionsschutzgesetz

Ob Corona-Listen für Ermittlungen verwendet werden dürfen, war zu Anfang der Pandemie rechtlich nicht spezifisch geregelt. Viele Behörden beriefen sich auf die Strafprozessordnung, wenn sie Listen auswerteten. Im November 2020 trat dann das neue Infektionsschutzgesetz in Kraft, das die Nutzung der Daten “zu anderen Zwecken als der Kontaktnachverfolgung” verbietet.

Péter Vida, Fraktionsvorsitzender von BVB/Freie Wähler im Landtag, wies darauf hin, dass weder der Rechts- noch der Innenausschuss über das Vorgehen informiert worden sind. “In einer Situation, in dem wir den Bürgern sehr viel abverlangten, auch sehr viel Grundrechtseinschränkungen, und immer wieder in allen politischen Diskussionen betont haben, dass diese Daten nur zu Zwecken der Infektionskettennachverfolgung erhoben werden, bekommt man nun mitgeteilt, das halten wir in Brandenburg anders”, empörte er sich.

Hoffmann erklärte dennoch am Mittwochnachmittag im Landtag, dass sie Gerichte über die Streitfrage entscheiden lassen möchte.

Polizei spricht von bestehender “Regelung”

Das Polizeipräsidium Potsdam sprach gegenüber dem rbb sogar von einer innerbehördlichen “Regelung”, die der Polizei angeblich seit 1. September 2020 die Verwendung von Kontaktdaten aus Gästelisten bei “schweren Straftaten” erlaube. Das Vorgehen sei mit der Generalstaatsanwaltschaft abgestimmt und diese müsse einwilligen, bevor die Polizei die Daten erhebt. Details zu der Abmachung – oder auf welche Rechtsgrundlage sich diese stützen soll – sind nicht bekannt.

Die Brandenburger “Regelung” könnte in der Praxis ohnehin noch keine Anwendung gefunden haben. Das Polizeipräsidium Potsdam schrieb dem rbb mit Stand 3. Februar: “Im Ergebnis sind dem Polizeipräsidium keine solchen Abfragen [von Polizeidirektionen oder dem Landeskriminalamt] mitgeteilt worden.” Das Gleiche habe der Innenminister dem Landtag gegenüber erklärt.

Bundesweite Verstöße der Behörden

Staatsanwaltschaften und Polizei haben bundesweit seit 2020 in mehr als 100 Ermittlungsverfahren auf persönliche Daten aus der Corona-Kontakterfassung zurückgegriffen. Das ging aus einer bundesweiten Umfrage des ZDF-Nachrichtenportals heute.de unter allen Staatsanwaltschaften und Landesdatenschutzbeauftragten im Januar hervor. In mindestens fünf Fällen wurden die Daten erhoben, obwohl das Infektionsschutzgesetz dies zu dem Zeitpunkt nicht zuließ.

“Solange es Daten gibt, auf die die Behörden grundsätzlich zugreifen können, lassen sich unerlaubte Abfragen und Missbrauch der Daten daher nicht ausschließen”, fasste der Sprecher des Bundesdatenschutzbeauftragten damals zusammen. (hcz)