EU plant Lieferkettengesetz
Die EU-Kommission will Unternehmen künftig verpflichten, Menschenrechte und Umwelt entlang ihrer globalen Wertschöpfungsketten zu schützen. Die Kommission hat dafür am Mittwoch einen Vorschlag für eine Richtlinie “über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen” vorgelegt. Menschenrechtsverbände begrüßten den Vorschlag zwar grundsätzlich, kritisieren jedoch “fehlenden Ehrgeiz”. Die Deutsche Umwelthilfe sieht eine “historische Chance für den Klimaschutz vertan”.
Nach der geplanten Richtlinie müssen Unternehmen negative Auswirkungen auf die Menschenrechte, wie Kinderarbeit und Ausbeutung von Arbeitnehmern, sowie auf die Umwelt ermitteln und Verstöße abmildern oder verhindern. Dabei würden die Auflagen auch für Tochtergesellschaften und die Wertschöpfungskette gelten. Die Unternehmen sollen beispielsweise sicherstellen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter sicheren und gesunden Bedingungen arbeiten – auch bei ihren Zulieferern.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte begrüßt zwar, dass Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette in die Verantwortung genommen werden. Gleichzeitig kritisiert es, dass sich die Sorgfaltspflichten nur auf sogenannte etablierte Geschäftsbeziehungen beziehen sollen. Es erklärte: “Viele Menschenrechtsverletzungen finden in kurzen Lieferbeziehungen statt. Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten sollten daher auch diese Beziehungen erfassen.” Ansonsten könnten Anreize geschaffen werden, auf kurzfristige Lieferbeziehungen auszuweichen.
Auch die Initiative Lieferkettengesetz, in der etwa Gewerkschaften und Umweltverbände vertreten sind, beurteilt diese geplante Regelung als “kritisch”. Sie sieht ein Schlupfloch: “Niemand sollte diese Pflichten durch häufige Wechsel von Geschäftspartnern umgehen können.”
Nur wenige Unternehmen betroffen
Gelten soll die Richtlinie nur für EU-Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten und einem Umsatz von mindestens 150 Millionen Euro. Strengere Regeln sollen für Unternehmen gelten, die in Sektoren arbeiten, bei denen das Risiko von Ausbeutung und Umweltzerstörung höher ist – etwa die Textilindustrie, Bergbau oder Landwirtschaft. Hier würde die Richtlinie bereits ab 250 Angestellten und 40 Millionen Euro Umsatz gelten. Unternehmen aus Drittstaaten sind ebenfalls betroffen, wenn sie einen Umsatz von 150 beziehungsweise 40 Millionen Euro innerhalb der EU erwirtschaften.
Damit ginge die Regelung weiter als das deutsche Lieferkettengesetz. Dieses betrifft ab 2023 vorerst Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern; 2024 sinkt diese Schwelle auf 1000 Angestellte.
Dennoch gibt es Kritik an dem Geltungsbereich. Patrick Wilcken, Leiter des Bereichs Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International, kritisierte den Entwurf als “verpasste Chance”. In der jetzigen Form des Entwurfs wären “nur 1 Prozent aller EU-Unternehmen verpflichtet”, die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards zu überprüfen.
Die geplante Richtlinie beziehe sich zwar auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Darin heißt es jedoch, dass die Sorgfaltspflichten für alle Unternehmen, “unabhängig von ihrer Größe, dem Sektor, dem sie angehören, ihrem operativen Umfeld, ihren Eigentumsverhältnissen und ihrer Struktur” gelten.
Erweiterter Geltungsbereich gefordert
Auch Miriam Saage-Maß vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) forderte eine Gültigkeit für alle Firmen: “Die endgültige EU-Richtlinie sollte sich eng an international anerkannten Standards orientieren und für alle Unternehmen unabhängig von ihrer Größe gelten.” Außerdem kritisierte sie: “Darüber hinaus gibt es keinen Grund, warum die Definition von Hochrisikosektoren die Bereiche Transport, Elektronik und Bauwesen ausschließen sollte, obwohl auch dort Menschenrechtsverletzungen weit verbreitet sind.”
Die Einhaltung der Richtlinien sollen die Mitgliedstaaten überwachen. Sie könnten etwa Bußgelder verhängen, wenn Unternehmen ihren Pflichten nicht nachkommen.
Außerdem sollen Geschädigte von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden gegen die verursachenden Unternehmen klagen können. Die Initiative Lieferkettengesetz kritisiert allerdings: “Die Hürden für derartige Klagen sind aufgrund einer fehlenden Beweislastumkehr jedoch weiterhin sehr hoch, zudem besteht die Möglichkeit, dass sich Unternehmen durch Vertragsklauseln ihrer Verantwortung entziehen.”
Unternehmen mit mindestens 500 Angestellten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz müssen außerdem sicherstellen, dass ihre Geschäftsstrategie die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Einklang mit dem Übereinkommen von Paris berücksichtigt.
Deutschland soll sich für Nachbesserungen einsetzen
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert, die Nichteinhaltung sei nicht mit klaren Sanktionen verbunden. Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH, kommentierte: “Der Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz markiert zwar einen wichtigen Schritt hin zu mehr Unternehmensverantwortung, er bleibt aber enttäuschend mit Blick auf den Schutz des Klimas. Es wird keine, an klare Konsequenzen geknüpften Klimasorgfaltspflichten geben. Hier hat die EU-Kommission ganz klar dem Druck von Wirtschaftslobbyisten nachgegeben.”
Helena Peltonen-Gassmann, stellvertretende Vorsitzende von Transparency Deutschland, wies zudem darauf hin, dass das Thema Korruptionsbekämpfung im Entwurf fehle. Die Ziele der EU-Richtlinie könnten nur erreicht werden, wenn gleichzeitig weltweit Korruption bekämpft würde.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) teilte mit, die deutsche Wirtschaft teile das Ziel des Entwurfs. Doch die Regelungen würden zu einem erheblichen zusätzlichen Aufwand für Unternehmen führen.
Die Initiative Lieferkettengesetz hingegen appelliert an die Bundesregierung: “Sie muss ihren Einfluss in der EU nutzen, um sich für Nachbesserungen einzusetzen. Schließlich hat sie sich im Koalitionsvertrag zu einem ‘wirksamen’ EU-Lieferkettengesetz bekannt.” Das ECCHR forderte das EU-Parlament und den Rat auf, “noch ambitionierter zu handeln”.
Der Vorschlag der EU-Kommission wird nun dem Europäischen Parlament und Rat vorgelegt. Wenn die Richtlinie angenommen wird, haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, um sie in nationales Recht umzusetzen. Deutschland müsste dann das im vergangenen Jahr verabschiedete Lieferkettengesetz anpassen. (dpa / js)