Frankreich: Vorratsdatenspeicherung ist rechtswidrig

Conseil constitutionnel in Paris
Im vergangenen Jahr hatte bereits das höchste französische Verwaltungsgericht zur Vorratsdatenspeicherung geurteilt. (Quelle: Mbzt – CC BY 3.0)

Das französische Verfassungsgericht (Conseil constitutionnel) hat am Freitag eine frühere Regelung zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt. Die Richter sehen in der allgemeinen und unterschiedslosen Speicherung von Verbindungsdaten einen “unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens”. Das Urteil bezieht sich auf eine Regelung, die bereits im Juli 2021 durch das neue französische Anti-Terror-Gesetz abgelöst wurde. Die Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net nannte das Urteil eine gute Nachricht. Es werde aber nicht sofort dazu führen, dass die Praxis beendet werde.

Durch das Gesetz konnten Telekommunikationsunternehmen dazu verpflichtet werden, Verkehrsdaten ein Jahr lang für nachrichtendienstliche und strafrechtliche Ermittlungen aufzubewahren. Dagegen hatten verschiedene Verbände und Organisationen geklagt – darunter der gemeinnützige Internetprovider Franciliens.net und die Organisation La Quadrature du Net.

Das Verfassungsgericht stellte fest, durch die angefochtenen Bestimmungen würden nicht nur Verbindungsdaten gespeichert. Auch der Standort der Kommunikationsgeräte, technische Merkmale, Datum, Uhrzeit und Dauer einer Kommunikation würden erfasst. Nach Auffassung des Gerichts liefern solche gespeicherten Daten zahlreiche genaue Informationen über die Nutzerinnen und Nutzer selbst sowie gegebenenfalls über Dritte. Dies sei ein besonders starker Eingriff in das Privatleben. Das in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 festgeschriebene Recht auf Freiheit umfasse auch das Recht auf Achtung des Privatlebens.

EuGH hatte Vorratsdatenspeicherung für unzulässig erklärt

Bereits im Oktober 2020 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) der Vorratsdatenspeicherung in Frankreich eine Absage erteilt: Die flächendeckende Speicherung von Internet- und Telefon-Verbindungsdaten sei nicht zulässig, hieß es damals. Ausnahmen seien aber möglich, beispielsweise bei Bedrohungen der nationalen Sicherheit.

Im April 2021 hatte sich dann das höchste Verwaltungsgericht in Frankreich, der französische Staatsrat (“Conseil d’État”), mit der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt. Die Richter hatten diese ebenfalls für rechtswidrig befunden, sich aber auf die vom EuGH vorgesehenen Ausnahmen berufen. Sie hatten erklärt, wegen der Bedrohung der nationalen Sicherheit sei sie derzeit gerechtfertigt. Der Staatsrat hatte die Regierung verpflichtet, die Bedrohungslage regelmäßig neu zu beurteilen.

Wie die Zeitung Le Monde am Freitag berichtete, könnte durch die beiden Urteile nun ein Rechtssprechungskonflikt entstehen. In dem Fall müsste der sogenannte Kassationshof (“Cour de cassation”) entscheiden, der Urteile auf mögliche Rechtsfehler überprüft.

Keine Auswirkung auf neues Gesetz

Die Organisation La Quadrature du Net begrüßte, dass mit dem Urteil ein Grundstein für den Schutz der Privatsphäre gelegt worden sei. Das Verfassungsgericht habe einen anderen Weg eingeschlagen als der Staatsrat. Das sei eine gute Nachricht – die Entscheidung komme jedoch zu spät. Denn durch die Gesetzesänderung bleibe die Vorratsdatenspeicherung weiter möglich: Bei einer Bedrohung der nationalen Sicherheit kann der Premierminister Anbieter von Kommunikationsdiensten per Dekret anweisen, Verkehrs- und Standortdaten für ein Jahr lang aufzubewahren. Eine entsprechende Anweisung wurde in Frankreich im Oktober 2021 erlassen. Nach Einschätzung der Organisation bedeute das Urteil des Verfassungsgerichts nicht, dass auch die neue Regelung als verfassungswidrig eingestuft wird – sie sei komplexer und folge der Auslegung des Staatsrates.

Zudem kritisierte La Quadrature du Net, das Verfassungsgericht habe sich in seinem Urteil nur mit der strafrechtlichen Verfolgung beschäftigt. Dies bedeute, dass eine Vorratsdatenspeicherung zu nachrichtendienstlichen Zwecken von der Entscheidung nicht betroffen sei.

Streitfall Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung ist seit Jahren umstritten: Sicherheitsbehörden und -politiker argumentieren, sie sei im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus ein zentrales Instrument. Bürgerrechtler und Verbraucherschützer sehen in ihr hingegen einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte. Denn die Unternehmen müssten massenhaft Verbindungsdaten ihrer Kunden speichern – ohne dass es gegen diese einen Tatverdacht gibt. Dies birgt großes Missbrauchspotenzial.

Der EuGH hat die Vorratsdatenspeicherung in der Vergangenheit mehrfach verboten, unter anderem in Fällen in Estland, Großbritannien und in Belgien. Daraufhin hatte auch der belgische Verfassungsgerichtshof die Vorratsdatenspeicherung im April 2021 gestoppt.

In Dänemark kam es 2019 durch die Vorratsdatenspeicherung zu einer der größten Justizpannen des Landes. Falsch ausgewertete Verbindungs- und Bewegungsdaten waren über mehrere Jahre hinweg in Tausenden Gerichtsprozessen als Beweismittel angeführt worden.

In Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung seit 2017 ausgesetzt. Derzeit prüft der EuGH, ob die deutschen Vorschriften mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Im November hatte der Generalanwalt des EuGH in seinem Schlussantrag ebenfalls erklärt, die allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung sei weiterhin nur bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit erlaubt. Der EuGH muss in dem Fall noch entscheiden. Die Schlussanträge der Generalanwälte des EuGH sind Entscheidungsvorschläge, die für die Richter nicht bindend sind. Häufig orientieren sie sich jedoch daran. (js)