Brasilien: Bolsonaros verheerende Bilanz nach drei Jahren

Jair Bolsonaro
Unter der Amtszeit Bolsonaros leiden nicht nur Umwelt und Klima – auch Mitglieder indigener Völker werden zunehmend bedroht und in Landkonflikten teils ermordert. (Quelle: Carolina Antunes/PRCC BY 2.0

Die Politik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro zerstört systematisch die Umwelt und damit die Lebensgrundlage von Tieren, Pflanzen und Menschen. Zu diesem Schluss kommt ein neuer Bericht der Umweltorganisation Greenpeace. Die Autoren beleuchten darin die Folgen Bolsonaros nun dreijähriger Amtszeit für Natur und Klima.

Dabei fällt das Urteil des Berichts eindeutig aus: “Die Politik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro opfert Gemeinden und natürliche Ökosysteme, die für die Erhaltung des Lebens auf unserem Planeten notwendig sind. In nur drei Jahren hat seine Agenda zu einer dramatischen Verschlechterung der Natur, der Gemeinschaften und der biologischen Vielfalt geführt.”

Die Abholzung sei in seiner Amtszeit um fast 76 Prozent gestiegen, Brasilien stößt knapp 10 Prozent mehr Treibhausgase aus, 1500 neue Pestizide wurden zugelassen und es gab fast 40 Prozent mehr Landkonflikte. Diese Zunahmen seien zu einem großen Teil auf den “systematischen Abbau” von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen zurückzuführen.

Greenpeace fordert die Europäische Union deswegen dazu auf, wirtschaftlichen Druck auf den Rechtsaußen-Politiker und seine Regierung auszuüben. Die Bedingungen für das geplante Handelsabkommen EU-Mercosur müssten beispielsweise mit Blick auf den Umwelt-, Arten- und Klimaschutz neu verhandelt werden.

CO2 durch Abholzung

Im Jahr 2020 hat Brasilien 2,16 Milliarden Tonnen klimaschädliche Treibhausgase freigesetzt 190 Millionen Tonnen mehr als im Vorjahr 2019. Über die gesamte Amtszeit Bolsonaros sind Brasiliens Treibhausgasemissionen um 9,5 Prozent gestiegen. Sie sind jetzt so hoch wie seit dem Jahr 2006 nicht mehr.

Der Anstieg der Emissionen entstand laut Greenpeace vor allem durch andauernde und steigende Waldzerstörung. Die meisten Abholzungen fänden im Amazonas-Regenwald statt; aber auch andere Wälder Brasiliens seien bedroht. Zwischen August 2020 und Juli 2021 seien 13.235 Quadratkilometer Wald Rodungen zum Opfer gefallen, rund 75 Prozent mehr als im Jahr 2018. Die EU ist einer der führenden Importeure und Finanziers brasilianischer Agrarerzeugnisse, die zur Entwaldung beitragen.

Grafik Abholzung
Ausmaß der Abholzung im Amazonasgebiet.
(Quelle: Greenpeace / Quelle: INPE)

Zusätzlich zerstören Brände die Lebensräume in den Wäldern. Davon seien 98 Prozent von Menschen verursacht. Viele Brände werden gelegt, um noch mehr Flächen für Agrarbewirtschaftung und Viehzucht zu schaffen. Die Täter kämen meist ungestraft davon. Verhängte Bußgelder für Verstöße gegen Umweltrecht seien aktuell auf einem historischen Tiefstand.

Vertreibung und Mord

Unter Bolsonaro hätten zudem die Landkonflikte deutlich zugenommen: Die Autoren des Berichts verzeichneten 1576 solcher Konflikte im Jahr 2020. In dem Zusammenhang kommt es häufig zu Bedrohungen, Vertreibungen und sogar Mord. Das macht Brasilien laut Greenpeace zu einer der “gefährlichsten Gegenden der westlichen Hemisphäre”.

2020 starben in Brasilien 18 Menschen im Rahmen von Landkonflikten, 42 Prozent waren Angehörige indigener Völker. Obwohl sie nur 0,4 Prozent der brasilianischen Bevölkerung ausmachen. Zusätzlich wurden 35 Personen Opfer eines Mordversuchs – davon 12 Indigene; 159 Personen wurden mit dem Tod bedroht – davon 25 Indigene. Greenpeace kritisiert, Beschwerden indigener Gruppen würden von den Behörden “systematisch” ignoriert – und die Rechte der Gemeinschaften durch Bolsonaros Agenda untergraben.

Zivilgesellschaftliche Organisationen (NGOs), die für die Rechte der indigenen Bevölkerung einstehen, werden ebenfalls zunehmend bedroht und politisch geschwächt. Bolsonaro macht keinen Hehl daraus, wie er zu Organisationen von Umweltschützern, Bürgerrechtsaktivisten und Menschenrechtsverteidigern steht. “Sie wissen, dass NGOs bei mir keine Stimme haben. Ich bin standhaft gegenüber diesen Leuten, aber ich kann dieses Krebsgeschwür nicht abtöten, das die meisten NGOs sind”, gab der Politiker im September 2020 zu verstehen.

Umweltbehörden zusammengestrichen

Auch staatliche Institutionen, die mit dem Schutz der Umwelt betraut sind, habe die Regierung Bolsonaros “strategisch” geschwächt. Umweltbehörden sei seit dem Amtsantritt Budget und Personal gestrichen worden.

Die Finanzmittel der Umweltbehörden IBAMA und ICMBio wurden zwischen 2019 und 2020 um jeweils etwa 30 Prozent gekürzt. Das Umweltministerium hatte 2021 mit einem Budget von 2,4 Milliarden Brasilianischen Real so wenig Geld zur Verfügung wie seit 2010 nicht mehr.

Zehn Prozent weniger Angestellte arbeiten nun für diese Behörden. Laut Greenpeace gab es sogar einige Fälle, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versetzt wurden, weil sie Umweltvorschriften umgesetzt hätten.

Zusätzlich erschweren Korruption und Umweltverbrechen unter den Regierungsmitgliedern die Arbeit der Umweltschützer: Der von Bolsonaro ernannte Umweltminister, Ricardo Salles, musste 2021 zurücktreten, weil Vorwürfe aufkamen, dass er in illegale Holzeinschläge involviert war. Der Oberste Gerichtshof Brasiliens ermittelt weiterhin.

Pestizide bis nach Europa

Einen Negativrekord hat Bolsonaros Regierung bei der Zulassung neuer Pestizide erreicht: 2019 wurden 474 neue Produkte zugelassen, 2020 dann 493. Laut einer von Greenpeace zitierten Studie enthielten viele dieser Mittel Wirkstoffe, die in der EU nicht zugelassen sind.

Teils schaden diese sowohl der Umwelt als auch der menschlichen Gesundheit. Das Herbizid Atrazin beispielsweise konnte in über 70 zum Verkauf freigegebenen Produkten in Brasilien nachgewiesen werden. In der EU ist es seit 2004 verboten wegen seiner gefährlichen Wirkung auf das Grundwasser.

Grafik Pestizide
Einsatz von Pestiziden in Brasilien.
(Quelle: Greenpeace / Quelle: INPE)

Greenpeace warnt davor, dass die Giftstoffe auch in Produkten enthalten sind, die aus Brasilien in die EU importiert werden. “Bereits heute können sie in importiertem Obst aus Brasilien nachgewiesen werden”, erklärt die Umweltschutzorganisation. “Mit dem kurz vor einer Ratifizierung stehendem EU-Mercosur-Handelsabkommen drohen diese Wirkstoffe zunehmend auch auf unserem Teller zu landen.”

Bei Stichproben im Juli 2021 stellten die Aktivisten in 59 von 70 Proben Rückstände von insgesamt 35 verschiedenen Wirkstoffen fest; 21 gehörten zur Kategorie “hoch gefährliche Pestizide”.

EU kann handeln

Die Autoren weisen darauf hin, dass Europa bei der klimaschädlichen Umweltzerstörung in Brasilien nicht tatenlos zuschauen muss. Sie fordern “Kein Deal mit Bolsonaro!” mit Verweis auf das geplante Freihandelsabkommen EU-Mercosur zwischen den südamerikanischen Staaten Argentinien, Uruguay, Paraguay und Brasilien und der Europäischen Union. Brasilien ist laut Greenpeace dabei der wichtigste Handelspartner.

Das Abkommen soll den Handel erleichtern, indem es neue Regeln einführt und Zölle senkt. Allerdings fänden sich darin bislang keine rechtlich durchsetzbaren Standards zum Klimaschutz, bemängelt Greenpeace. “Das geplante Abkommen wäre verheerend für Klima und Menschen”, urteilt die Umweltschutzorganisation auf Basis einer Studie von Juni 2020.

“Das EU-Mercosur-Abkommen würde die umwelt- und menschenfeindliche Politik Bolsonaros verfestigen, indem es den Anstieg der Exporte Brasiliens von Rindfleisch und Futtersoja als Tierfutter sowie hochgefährlicher Pestizide in die EU befeuert”, erklärte Greenpeace-Waldexpertin Gesche Jürgens.

Die Organisation fordert die EU dazu auf, das Abkommen in der jetzigen Form zu stoppen. “Die EU muss das EU-Mercosur-Abkommen ein für alle Mal beenden und ihre Handelspolitik völlig neu gestalten, um dem Schutz von Mensch und Natur Vorrang über Unternehmensinteressen zu geben”, schreiben die Aktivisten. Dass es alternativ Raum für Neuverhandlungen gäbe, habe ein von Greenpeace beauftragtes Rechtsgutachten von November 2021 belegt.

Im Hebst stehen in Brasilien Wahlen an, bei denen Bolsonaro wiedergewählt werden will. Momentan liegt aber sein linkspolitischer Konkurrent Ex-Präsident Lula da Silva in den Umfrage vorne. (hcz)