Bundesamt warnt vor EU-Plänen für grünes Atom-Label

TaxonomieDemo
Durch die Taxonomie-Anpassung könnten Milliarden-Investitionen in Atomkraftwerke fließen, statt in Wind- und Solaranlagen. (Quelle: IMAGO / Tim Wagner)

Die EU will Atom- und Gaskraftwerke als ökologisch nachhaltig einstufen, Politiker und Umweltschutzorganisationen warnen seit Wochen vor den Konsequenzen. Nun weist auch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) die EU-Pläne für Atomkraftwerke als “nicht haltbar” zurück und warnt davor, sie in Kraft zu setzen. Das geht aus einer aktuellen Analyse hervor, die das Bundesamt am heutigen Mittwoch vorgestellt hat.

Darin kritisiert die Behörde die Vorgehensweise der EU-Kommission zur Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Investition unter anderem als “nicht nachvollziehbar”. Die Kommission verstelle den “Blick darauf, dass Atomenergie nicht nachhaltig ist”, und lasse sich “ausschließlich vom vermeintlich positiven Beitrag der Atomenergie zum Klimaschutz leiten”, schreibt das BASE in dem sechsseitigen Dokument.

Zentrale Kriterien wie etwa die Gefahr von nuklearen Unfällen und die Schwierigkeiten bei der Entsorgung von Atomabfällen würden in der EU-Abwägung viel zu wenig beachtet, warnt das Bundesamt, das in Deutschland unter anderem den Umgang mit Atommüll beaufsichtigt.

Auch zu neuartigen Reaktortypen und möglichen Laufzeitverlängerungen für bestehende Atommeiler seien viele Sicherheitsfragen offen, denen die Kommission nicht gebührend Rechnung trage, heißt es weiter.

BASE-Chef Wolfram König warnte vor den negativen Auswirkungen der geplanten Atomkraft-Einstufung – auch für Deutschland. “Aus fachlicher Sicht ist die Einordnung von Atomkraft als nachhaltige Form der Energieerzeugung nicht haltbar”, kritisierte König der Nachrichtenagentur dpa. Atomenergie sei “eine Hochrisikotechnologie”, die auch die “Gefahr des Missbrauchs von radioaktivem Material für terroristische und kriegerische Zwecke” berge.

“Kommenden Generationen bürden wir damit erhebliche Lasten auf, die auch mit dem Anspruch der Generationengerechtigkeit nicht in Einklang zu bringen sind”, erklärte König.

Haftungsfragen ungeklärt

Was ist die EU-Taxonomie?

Die Taxonomie ist das Regelwerk der EU, das definiert, ob ein Unternehmen oder eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist. Sie steckt für die meisten Branchen genaue Kriterien ab. Privaten Finanzinvestoren soll die Taxonomie als Orientierung dienen und Investitionen in grüne und nachhaltige Projekte fördern.

Hintergrund der kritischen Stellungnahme ist die geplante Einstufung auf EU-Ebene, die sogenannte Taxonomie, mit der die Kommission festlegen will, welche Geldanlagen künftig als klimafreundlich gelten sollen. Dazu hatte die Kommission am 31. Dezember einen umstrittenen Vorschlag vorgelegt, der vorsieht, dass Investitionen in neue Atomkraftwerke als grün klassifiziert werden können, wenn sie aktuellen Standards entsprechen und ein konkreter Plan für die Entsorgung des radioaktiven Mülls vorliegt. Insbesondere auf Wunsch Deutschlands sollen auch Investitionen in neue Gaskraftwerke übergangsweise als ökologisch nachhaltig eingestuft werden können.

Das BASE weist in seiner Analyse auch darauf hin, dass im Falle von Atom-Unfällen die Haftung von Kraftwerksbetreibern in vielen europäischen Ländern “stark limitiert” sei. Im Falle “schwerer Unfälle mit erheblichem Austritt von Radioaktivität” würden die Haftungssummen nicht reichen, befürchtet das Amt.

Auch das Argument der EU-Kommission, dass Atomkraftwerke (AKW) kaum klimaschädliche Gase ausstießen, greife zu kurz. Es werde in der Bilanz nur der Betrieb der AKW betrachtet, nicht aber andere Lebenszyklus-Phasen wie Rückbau oder Urangewinnung, die dem Bundesamt zufolge durchaus zur Emission von Treibhausgasen beitragen.

Wind- und Sonnenenergie preiswerter als Atomstrom

Bereits im vergangenen Sommer hatte das BASE eine kritische Analyse zu einem Bericht des Joint Research Centers (JRC) veröffentlicht, dem wissenschaftlichen Dienst der EU-Kommission. In dem Bericht war das JRC zu einer positiven Bewertung der Atomenergie gekommen. Schon damals hatte das BASE dem EU-Dienst “fachliche Mängel” bescheinigt.

Auch ein vom österreichischen Umweltministerium in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kam im Dezember zu dem Schluss, dass Kernenergie “im Sinne der Taxonomie-Verordnung weder als ‘ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit’ noch als ‘Übergangstätigkeit’ angesehen werden” könne.

Umstritten ist die geplante Taxonomie-Entscheidung auch unter den EU-Staaten. Die neue Bundesregierung vertritt dazu bislang eine gespaltene Haltung: Während sie sich bereits in der Vergangenheit geschlossen gegen die Aufnahme der Atomkraft ausgesprochen hatte, war sie bei einem grünen Label für Erdgas als Übergangstechnologie zurückhaltend.

Umweltverbände aus ganz Europa hatten Mitte November den jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu aufgerufen, sich deutlicher gegen diese Pläne auszusprechen. In einem offenen Brief beklagten die 129 Organisationen “das Fehlen einer starken deutschen Stimme gegen die Kernenergie”. "Die Verleihung des Gütesiegels der Nachhaltigkeit an Atomkraft und fossiles Gas würde die EU-Klimaziele untergraben, dringend benötigte Investitionen in den grünen Wandel umleiten und die Glaubwürdigkeit des gesamten Europäischen Green Deal gefährden”, schrieben unter anderem Greenpeace Deutschland, die Deutsche Umwelthilfe, der BUND und der Naturschutzbund Deutschland.

“Es ist völlig unverständlich, dass die EU-Kommission erwägt, Atomkraft und Gas als nachhaltige Energieformen in die Taxonomie aufzunehmen”, erklärte jüngst Heinz Smital, Energieexperte von Greenpeace. “Strom aus Wind und Sonne ist schon heute deutlich billiger als Atomstrom, sicherer ist er ohnehin. Damit der Ausbau der Erneuerbaren schnell genug vorankommt, darf die Kommission riskante und schmutzige Energien wie Atom und Gas nicht als nachhaltig einstufen.”

Kommission unbeirrt

Die EU-Kommission hat ihren Vorschlag indes von Anfang an gegen Kritik vereidigt. Mit ihm könnten sich die Mitgliedstaaten von sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen der Klimaneutralität annähern, hieß es aus der Behörde. Aus Sicht der Kommission könnten Investitionen in Erdgas und Kernenergie einen Beitrag dazu leisten, den Übergang zu sauberen Energiequellen zu beschleunigen.

Bis zum 21. Januar haben die EU-Länder Zeit, auf den Vorschlag zu reagieren. Dass sich die Pläne durchsetzen, gilt derzeit als wahrscheinlich. Da es sich um einen sogenannten delegierten Rechtsakt handelt, müssten 20 von 27 EU-Staaten gegen den Vorschlag stimmen. Zusammen mit Deutschland haben sich bislang nur Dänemark, Luxemburg, Österreich und Portugal klar gegen die besagte Einstufung der Atomkraft ausgesprochen. Zuletzt kündigte die aktuelle Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) an, dass die Bundesregierung bei der Atomkraft geschlossen gegen den Vorschlag der Kommission stimmen wird. (dpa / hcz)