Umweltorganisationen: Scholz soll gegen Atomkraft in der EU vorgehen (Update)
Teile der Europäischen Union wollen die umstrittene Energiegewinnung aus Atomkraft und Erdgas als nachhaltig einstufen – und üben Druck auf die EU-Kommission aus. Umweltverbände aus ganz Europa fordern Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nun dazu auf, sich deutlicher gegen diese Pläne auszusprechen.
Die Organisationen beklagen “das Fehlen einer starken deutschen Stimme gegen die Kernenergie” – unter anderem auf der Tagung des Europäischen Rates am 21. und 22. Oktober. Unter den 129 Unterzeichnern finden sich Greenpeace Deutschland, die Deutsche Umwelthilfe, der BUND und der Naturschutzbund Deutschland, aber auch Umweltorganisationen aus vielen weiteren EU-Staaten.
EU-Klimaziele werden untergraben
“Die Verleihung des Gütesiegels der Nachhaltigkeit an Atomkraft und fossiles Gas würde die EU-Klimaziele untergraben, dringend benötigte Investitionen in den grünen Wandel umleiten und die Glaubwürdigkeit des gesamten Europäischen Green Deal gefährden”, schreiben die Unterzeichner. Kernenergie sei wegen der Sicherheitsrisiken, der Umweltverschmutzung und des ungelösten Abfallproblems nicht nachhaltig. Die Verwendung von fossilem Gas führe zudem zu einem hohem Ausstoß von Treibhausgasen. So entweiche das besonders schädliche Methan in großen Mengen entlang der Förder- und Transportketten.
Ein Vorschlag der EU-Kommission zur Reform der Taxonomie wird noch im November erwartet. Die Autoren des Briefes befürchten, dass die Kommission versucht, bereits während der “sensiblen Zeit der Regierungsbildung in Deutschland” Fakten zu schaffen. Scholz solle signalisieren, dass dieses Vorgehen nicht akzeptabel ist.
Subventionen für Atomkraft und Gas gefordert
Die Taxonomie-Verordnung soll Leitlinien für zukunftsorientierte Investitionen im Rahmen des europäischen “Green Deals” festlegen. Technologien, die in ihr aufgeführt werden, gelten als nachhaltig. Nach Vorstößen Frankreichs, Finnlands und einigen osteuropäischen Ländern ist in der EU eine Debatte darüber entbrannt, ob Atomkraft und fossiles Gas als nachhaltig eingestuft werden sollen. Die befürwortenden Staaten drängen darauf, diese Energieträger in die Taxonomie aufzunehmen. Dadurch könnten öffentliche Subventionen auch für neue Atomkraftwerke und Gasprojekte genutzt werden. Auch private Investitionen könnten dann über nachhaltig gekennzeichnete Fonds in Atomkraft und fossiles Gas fließen.
Nach anfänglichem Zögern scheint auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die Taxonomieder Nutzung fossiler Gase offen gegenüberzustehen. Sie hatte die Energieträger auf dem EU-Gipfel Ende Oktober als “zuverlässig” bezeichnet.
Die Umweltministerinnen und -minister von Deutschland, Dänemark, Luxemburg, Österreich und Portugal sprachen sich gegen eine Aufnahme der konventionellen Technologien aus. “Die Taxonomie soll als ‘Kompass’ für Investoren dienen”, warnte Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler. “Alles, was den Beigeschmack von ‘Greenwashing’ hat, könnte das Vertrauen in diesen Kompass gefährden.”
Die Entscheidung über die Taxonomie will die EU-Kommission noch in diesem Jahr fällen. Ob die neue deutsche Regierung bis dahin handlungsfähig ist, steht noch nicht fest.
Update 19. November 2021: Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte am Mittwoch in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters, dass Deutschland “seinen Widerstand nicht aufgegeben” habe. Sie sehe es aber als sehr unwahrscheinlich an, dass die Taxonomie-Reform abgewendet würde: “Das Verfahren an sich kann nur schwer wieder aufgehalten werden, wenn die EU-Kommission etwas vorlegt.” Da es sich um einen sogenannten delegierten Rechtsakt handelt, müssten 20 von 27 EU-Staaten gegen den Vorschlag stimmen. “Das ist eine sehr hohe Hürde und ist voraussichtlich nicht der Fall”, fügte Merkel hinzu. (hcz)