Bundesrat für Kennzeichen-Vorratsdatenspeicherung
Der Regierungsentwurf für ein “Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften” sieht bislang vor, den Einsatz automatisierter Kennzeichenlesesysteme (AKLS) zu Fahndungszwecken in engeren Grenzen zu erlauben: Der Abgleich erfasster Kennzeichen mit denen gesuchter Fahrzeuge muss “unverzüglich nach der automatischen Datenerhebung” erfolgen. Treffer muss die Polizei manuell prüfen. Sollte sich bei einer Überprüfung keine Übereinstimmung feststellen lassen, sind die Daten “sofort und spurenlos zu löschen”. Nun bittet der Bundesrat die Bundesregierung zu prüfen, ob die erfassten Kennzeichen in bestimmten Fällen auch auf Vorrat gespeichert werden können. Die Mehrheit der Bundesländer hat am Freitag einem entsprechenden Prüfantrag zugestimmt.
AKL-Systeme nehmen automatisch die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Fahrzeuge auf – also auch die unbescholtener Bürgerinnen und Bürger. Die Technik kommt bereits zur Durchsetzung der LKW-Maut und zur Gefahrenabwehr in verschiedenen Bundesländern zum Einsatz. Mit dem neuen Paragrafen 163g der Strafprozessordnung (StPO) will das Bundesjustizministerium Regelungslücken in Bezug auf die Kennzeichenerfassung schließen. Das Bundeskabinett hatte den Entwurf im Januar gebilligt.
Aufzeichnungsmodus bei schweren Straftaten
Zumindest für Fälle der “Schwerstkriminalität” sollte auch ein Betrieb der Anlagen im Aufzeichnungsmodus möglich sein, heißt es zu den Plänen in der Stellungnahme des Bundesrates. Die Kennzeichenlesegeräte könnten dann beispielsweise auf “vermuteten Fluchtrouten kurzfristig und mit beschränkter Dauer” im Aufzeichnungsmodus verwendet werden. Dabei könnten die Strafverfolgungsbehörden die erfassten Kennzeichen für eine “gewisse beschränkte Dauer” speichern und nachträglich manuell abgleichen. Zur Begründung hieß es, die gespeicherten Daten könnten helfen, später weitere Ermittlungsansätze im entsprechenden Strafverfahren zu finden.
Bisher haben sich Strafverfolgungsbehörden beim Einsatz der Kennzeichenscanner unter anderem auf den Paragrafen 100h der StPO gestützt. Allerdings hatte es erhebliche Zweifel gegeben, ob dieser den Einsatz von Kennzeichenlesesystemen zulässt. Mit Einführung des neuen Paragrafen 163g könnte er nicht mehr herangezogen werden. Laut Bundesrat-Stellungnahme beschränke das die “bislang möglichen Ermittlungsinstrumente”.
Urteile des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2008 und 2018 zu der umstrittenen Erkennungstechnik geurteilt: Demnach greift sie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, wenn die Kennzeichen nicht unverzüglich verarbeitet und dann sofort gelöscht werden. Eine Speicherung auf Vorrat ist somit nicht zulässig. Außerdem darf die Technik nur anlassbezogen verwendet werden. Diese Vorgaben berücksichtigt der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums.
Das brandenburgische Bundesjustizministerium hatte allerdings einen Änderungsantrag in den Bundesrat eingebracht, um auch den Aufzeichnungsmodus zu erlauben – die Rechts- und Innenausschüsse des Bundesrates hatten diesem im Februar zugestimmt. Brandenburgs Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) hatte argumentiert, dass sich durch die Aufzeichnung Ermittlungsansätze bei organisiertem Fahrzeugdiebstahl ergeben können.
Im Plenum des Bundesrates wurde dieser Antrag nun nicht angenommen – dafür aber ein Antrag aus Bayern, der ebenfalls empfiehlt, die Aufzeichnung von Kennzeichen zu prüfen.
Brandenburg nutzte Scanner im Dauerbetrieb
Der Einsatz der Technik in Brandenburg stand zuletzt besonders in der Kritik: Die Polizei hatte die Scanner dort dauerhaft betrieben und die erfassten Daten auf Vorrat gespeichert. Mit solchen Daten lassen sich Bewegungsprofile erstellen. Laut Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) wurden die gesammelten Datenbestände mittlerweile gelöscht. In Brandenburg ist noch eine Verfassungsbeschwerde gegen die Praxis anhängig.
Die Kennzeichenerkennung ist schon länger umstritten, sie gilt als ineffizient und fehleranfällig. Aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken hatte der Europaabgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei 2018 beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die Kennzeichenerfassung durch die Bundespolizei eingereicht. Das Gericht hat in dem Fall noch nicht entschieden.
Nun muss die Bundesregierung eine Gegenäußerung zur Prüfbitte des Bundesrates verfassen. Anschließend wird sich der Bundestag mit dem Gesetzentwurf und den Stellungnahmen von Bundesrat und Bundesregierung beschäftigen. Sollte der Bundestag das Gesetz verabschieden, geht es an den Bundesrat. (js)