Bundesverfassungsgericht prüft bayerisches Verfassungsschutzgesetz

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
Nach Ansicht der Kläger missachtet das Gesetz das Trennungsprinzip zwischen Geheimdiensten und Polizei. (Quelle: Rainer Lück – CC BY-SA 3.0 DE)

Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag über eine Verfassungsbeschwerde gegen das bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) verhandelt. Nach Ansicht der Kläger greifen verschiedene Bestimmungen aus dem Gesetz in die Grundrechte ein, insbesondere in die Menschenwürdegarantie und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch das Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme, das Fernmeldegeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung würden verletzt.

Die Novelle des BayVSG war im August 2016 in Kraft getreten, es gibt dem Landesamt für Verfassungsschutz erweiterte Überwachungsbefugnisse. Im Jahr 2017 hatten drei Personen dagegen geklagt, die Mitglieder in Organisationen sind, die im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt werden. Einer der Kläger ist der Medienforscher Kerem Schamberger, der Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) ist. Um an einer staatlichen Universität zu arbeiten, musste er seine Verfassungstreue bekräftigen und erfuhr, dass der Verfassungsschutz Informationen über ihn gesammelt und an die Universität weitergereicht hatte. Ein weiterer Kläger ist der Sprecher der bayerischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Harald Munding. Auch er hatte erfahren, dass er von dem Geheimdienst überwacht wird. Die Erwähnung seiner Organisation im Verfassungsschutzbericht nannte er “eine Einschüchterungspolitik, die wirkt”.

Unterstützt wird die Klage von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

GFF-Anwalt Bijan Moini sagte vor Verhandlungsbeginn, die Befugnisse des bayerischen Verfassungsschutzes reichten viel zu weit. “Er kann zu viele Menschen zu früh beobachten, unter zu geringen Voraussetzungen. Er wird nicht hinreichend kontrolliert.” Und es dürften zu viele Informationen an die Polizei weitergegeben werden.

Online-Durchsuchung, Wohnraumüberwachung und Vorratsdaten

Die Klage richtet sich unter anderem gegen die Bestimmungen zur Online-Durchsuchung: Der bayerische Verfassungsschutz darf mit Trojaner-Software die Geräte von Verdächtigen ausspähen. Das Gesetz erlaubt sogar den Zugriff auf die Systeme anderer Personen, wenn etwa die Zielperson diese benutzt hat oder “sich dadurch für die Abwehr der Gefahr relevante Informationen ergeben werden”.

Die Kläger kritisieren, die Online-Durchsuchung könne somit schon aus geringem Anlass auch gegen bloße Kontakt- und Begleitpersonen angeordnet werden. Unschuldigen Personen drohe daher die Ausforschung. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei aber die gezielte Überwachung von nichtverantwortlichen Personen auch dann unzulässig, wenn diese in einer näheren Beziehung zum Betroffenen stehen. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung sei ebenso unzureichend geschützt wie berufliche Vertrauensverhältnisse, etwa von Ärzten oder Rechtsanwälten.

Das Gesetz erlaubt zudem verdeckte Maßnahmen, um Wohnräume mittels Ton- und Bildaufzeichnungen zu überwachen. Auch hier sehen die Kläger einen Grundrechtseingriff, weil der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht ausreichend geschützt sei.

Das Landesamt für Verfassungsschutz darf auch Mobiltelefone orten. Dadurch ließen sich umfassende Bewegungsprofile erstellen und zukünftige Bewegungen prognostizieren, heißt es in der Klage. Die Kläger bemängeln, dass die Eingriffsschwelle für diese Überwachungsmaßnahme zu niedrig sei.

Aus Sicht der Kläger missachtet das Gesetz zudem das informationelle Trennungsprinzip zwischen Geheimdiensten und Polizei. Denn der bayerische Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobene Daten an die Polizei weitergeben. Die Polizei könnte so an Daten gelangen, die sie selbst nicht erheben darf. Darin liege ein besonders schwerer Grundrechtseingriff.

Das Trennungsprinzip werde auch bei der Möglichkeit des Verfassungsschutzes missachtet, auf gespeicherte Vorratsdaten zuzugreifen. Nach Bundesrecht sei dies nur Gefahrenabwehrbehörden wie der Polizei erlaubt – nicht aber Geheimdiensten. Die G10-Kommission des Landtags muss die Datenabfrage zwar genehmigen, ein richterlicher Beschluss ist aber nicht nötig.

Die Vorratsdatenspeicherung ist in Deutschland allerdings seit 2017 ausgesetzt. Derzeit prüft der Europäische Gerichtshof (EuGH), ob die deutschen Vorschriften mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung hatte der EuGH in anderen Fällen bereits eine Absage erteilt.

Richter sehen Befugnisse kritisch

Am Verhandlungstag hat Landesinnenminister Joachim Herrmann die Ausweitung der Befugnisse vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigt. Der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer plädierte hingegen dafür, die Spielräume des Verfassungsschutzes zu reduzieren. Bei den Befugnissen von Polizei und Nachrichtendiensten gebe es inzwischen eine breite Zone der Überlappung, und die Hürden für den Austausch von Informationen seien kontinuierlich gesenkt worden.

Gerichtspräsident Stephan Harbarth sagte, die aufgeworfenen Fragen seien “nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht schwierig”. Denn sie bewegten sich “im Spannungsfeld zweier zentraler Ideen des Grundgesetzes: der wehrhaften Demokratie und des Schutzes individueller Freiheitsrechte”. Richterin Gabriele Britz, die im Ersten Senat für das Verfahren als Berichterstatterin zuständig ist, sagte, für die schwierige Austarierung würden nun Maßstäbe gesucht. Bisher seien nachrichtendienstliche Befugnisse noch nie in einer solchen Breite angegriffen worden.

Die GFF teilte am Dienstag mit, es sei bereits klar geworden, dass die Richterinnen und Richter die Befugnisse des bayerischen Verfassungsschutzes kritisch sehen. Der GFF-Vorsitzende Buermeyer kommentierte: “Offensichtlich hat das Gericht Zweifel daran, ob die Regelungen des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes die Anforderungen des Grundgesetzes an Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung und in andere betroffene Grundrechte erfüllen.” Und weiter: "Auch wenn die Inlandsgeheimdienste als ‘Frühwarnsystem’ Gefahren für die Demokratie abwehren sollen – der Schutz der Privatsphäre und anderer Grundrechte gilt auch in ihrem Handlungsbereich.“

Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet. Das Verfahren hat aus Sicht der GFF aber auch eine Signalwirkung: Zum Schutz der Grundrechte müsse verhindert werden, dass sich andere Bundesländer ein Beispiel an Bayern nehmen. Frank Bräutigam aus der ARD-Rechtsredaktion sagte in der Tagesschau: “Die Leitlinien des kommenden Urteils werden auf die Gesetze aller Bundesländer und des Bundes übertragbar sein.”

Klage der Grünen

Gegen das allein mit CSU-Stimmen beschlossene Gesetz hatte 2017 auch die Landtagsfraktion der Grünen Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Sie kritisieren, das Gesetz höhle durch seine zahlreichen Überwachungsbefugnisse die Grundrechte aus, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dass der bayerische Verfassungsschutz selbst Kinder beobachten darf, stellt nach Ansicht der Grünen einen besonders intensiven Grundrechtseingriff dar. Eine Entscheidung steht in diesem Verfahren ebenfalls noch aus. (dpa / js)