China: Massenhafte Iris-Scans in Qinghai

Iris-Scan
Laut den Forschenden hat die Polizei auch biometrische Daten von Schulkindern direkt in Klassenzimmern erfasst. (Quelle: Pixabay)

Die Polizei in der chinesischen Provinz Qinghai hat zwischen 2019 und 2022 massenhaft Iris-Scans von Einwohnern gesammelt. Das zeigt ein neuer Bericht des Citizen Labs an der Universität Toronto. Die Forschenden befürchten, die biometrischen Daten könnten genutzt werden, um die Überwachung auszuweiten.

Laut Bericht werden Iris-Scans in China bereits seit etwa 2016 zu verschiedenen Zwecken gesammelt. Seit dem Jahr 2019 würden landesweit Iris-Datenbanken aufgebaut, etwa um Daten von Personen zu erfassen, die von der Polizei als “Bedrohung für die soziale Stabilität” angesehen werden. Dazu zählen beispielsweise Drogenkonsumenten, Anhänger von in China verbotenen Religionen und auch Menschen mit psychischen Erkrankungen.

In der nordöstlichen Provinz Qinghai hat die Polizei zwischen März 2019 und Juli 2022 massenhaft Iris-Scans der Bevölkerung gesammelt, so das Citizen Lab. Einen Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen gab es bei dem Vorgehen nicht. Von den Forschenden eingesehene Dokumente legen demnach nahe, dass in der Provinz Iris-Scans von etwa 1,2 bis 1,4 Millionen Personen erfasst wurden.

Dies entspricht zwischen einem Fünftel und einem Viertel der 5,9 Millionen Menschen großen Gesamtbevölkerung der Provinz. Damit wäre es nach Angaben des Citizen Labs das größte bekannte Programm zur Erfassung von Iris-Scans in ganz China. Nur in der autonomen Provinz Xinjiang wurden möglicherweise biometrische Daten von noch mehr Menschen erfasst. In Xinjiang lebt die ethnische Minderheit der Uiguren, die von der Regierung unterdrückt wird.

Iris-Scans auf öffentlichen Plätzen

Die Polizei hat die Datenerfassung mit der Zeit ausgeweitet: Anfangs hatte sie sich noch auf Personen konzentriert, die etwa in zivilrechtliche Auseinandersetzungen verwickelt waren. Ab dem Jahr 2020 wurde die Datenerfassung auf Personen mit ständigem Wohnsitz in der Provinz sowie auf Migranten ausgedehnt. Die Forschenden kritisieren, die Polizei würde damit faktisch alle Menschen als Bedrohung für die soziale Stabilität ansehen.

Die Beamten forderten Personen sowohl auf öffentlichen Plätzen als auch bei Hausbesuchen zur Datenabgabe auf. Sogar in Schulen wurde die Iris von Kindern gescannt. Während der Covid-19-Pandemie wurden außerdem Daten von Personen erfasst, die aus anderen Landesteilen in die Provinz zurückgekehrt sind.

Laut den Forschenden gibt es keine Hinweise darauf, dass Betroffene einen Iris-Scan verweigern konnten. In anderen Teilen Chinas hätten Beamte Menschen etwa gedroht, sie dürften nicht mehr reisen, wenn sie ihre biometrischen Daten nicht abgeben. Das Citizen Lab hält es für möglich, dass auch in Qinghai solche Drohungen und Einschüchterungen genutzt wurden, um Betroffene zur Kooperation zu zwingen.

Minderheiten betroffen

Die Bevölkerung in Qinghai setzt sich laut Citizen Lab zu knapp 50 Prozent aus Minderheiten zusammen, darunter Tibeter und muslimische Hui-Chinesen. Überwachung und Repressionen in der Provinz seien gut dokumentiert: So wurden Tibeter beispielsweise wegen politischem Engagement inhaftiert und strafrechtlich verfolgt.

Wofür die Polizei die Daten nutze, bleibe indes unklar. Das Citizen Lab befürchtet aber, die Iris-Scans könnten in Verbindung mit weiteren persönlichen Daten von der Polizei als umfangreiches Überwachungswerkzeug eingesetzt werden – auch zur gezielten Überwachung von ethnischen Minderheiten.

Stärkere Überwachung

Eine Datenbank mit den Iris-Scans ganzer Bevölkerungsteile verstärke die bestehende polizeiliche Überwachung, so das Citizen Lab. Bereits heute seien etwa Computersysteme von Hotels und Fluggesellschaften in China mit polizeilichen Datenbanken verbunden. In Verbindung mit Technik zur Iris-Erkennung könnte es beispielsweise für Kritiker noch schwerer werden zu reisen, ohne dass die Polizei automatisch alarmiert wird.

Die Forschenden warnen zudem vor sogenannten Chilling-Effekten: Menschen könnten sich selbst bei der Ausübung ihrer Rechte einschränken, weil sie von den Überwachungstechniken wissen.

Die Erfassung von Iris-Scans in Qinghai sei dabei nicht die einzige biometrische Datensammlung der Provinz-Polizei – es würden teils auch DNA-Proben genommen.

Biometrische Daten wie Iris-Scans gelten als besonders sensibel, weil sie sich nicht verändern lassen. Personen können ein Leben lang mit diesen Daten identifiziert werden. Insbesondere bei zentralen Datenbanken kann es fatale Folgen haben, wenn Unbefugte Zugang zu den biometrischen Daten erhalten. Die Forschenden kritisieren außerdem, die zwangsweise Erfassung solcher Daten könne gegen internationale Menschenrechtsstandards verstoßen.

Bereits im Februar 2020 hatte das vom italienischen Forschungsinstitut CESNUR herausgegebene Onlinemagazin Bitter Winter über die zwangsweise Erfassung von Iris-Scans in Qinghai berichtet. Die Forschenden des Citizen Labs haben diesen Bericht als Ausgangspunkt genommen und knapp 200 öffentlich zugängliche Quellen ausgewertet, um zusätzliche Details aufzudecken.

Auch die New York Times hatte im Sommer berichtet, China baue sein Überwachungssystem immer weiter aus. Neben dem zunehmenden Einsatz von Gesichtserkennung würden Iris-Datenbanken in mehreren Teilen Chinas aufgebaut. Auch Stimm- und DNA-Proben sammeln die Behörden demnach. (js)