Chinesische Behörden sammeln massenweise DNA in Tibet
Chinesische Behörden sammeln massenhaft DNA-Proben der Bevölkerung in Tibet. Das berichtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Es handle sich um willkürliche Probenentnahmen, die mit verstärkten Polizeikontrollen in der Region einher gingen. Selbst von Kindern werde demnach DNA erfasst. Eine Möglichkeit, der Blutentnahme zu widersprechen, soll es nicht geben.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation findet die massenhafte Probenentnahme in allen sieben Verwaltungsbezirken des sogenannten Autonomen Gebiets Tibet statt. Begonnen habe die Sammelaktion bereits im Jahr 2019.
Human Rights Watch beruft sich auf offizielle Berichte sowie auf Informationen aus den chinesischen Staatsmedien. An insgesamt 14 Orten habe es demnach bereits Probenentnahmen gegeben – darunter befinden sich eine Präfektur, zwei Landkreise sowie mehrere Städte und Dörfer. Von allen Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Gebiete sei DNA entnommen worden. Auch Personen, die sich dort nur vorübergehend aufhielten, seien betroffen.
Aus Regierungsausschreibungen gehe zudem hervor, dass die Polizei des Autonomen Gebiets im Jahr 2019 Angebote für den Aufbau eines regionalen DNA-Registers eingeholt habe. In der Stadt Nyingchi hätten die Behörden im selben Jahr den Aufbau einer eigenen DNA-Datenbank angekündigt.
Nach Einschätzung der Organisation deutet dies darauf hin, dass bereits in der gesamten Region DNA-Proben entnommen werden oder dies geplant ist.
Sammlung ohne Beweise für Kriminalität
In der Großgemeinde Chamdo sei die Maßnahme offiziell mit der “verbesserten Nachverfolgung und Unterstützung bei der Ergreifung flüchtiger Personen” gerechtfertigt worden. Auch in anderen Gebieten werde das Vorgehen mit der Aufklärung von Straftaten begründet. HRW kritisiert jedoch, es gebe keine Hinweise, dass die Betroffenen die Abgabe von Proben verweigern könnten.
Wie Human Rights Watch berichtet, hat die Polizei im April etwa im Landkreis Nyemo damit begonnen, DNA-Proben zu nehmen. Auch Kinder seien betroffen gewesen: Die Proben seien in Kindergärten entnommen worden – es gebe keine Hinweise darauf, dass Eltern nach Genehmigung gefragt wurden. Im Dezember 2020 seien in der Provinz Qinghai im Nordosten Chinas Proben von allen Jungen ab dem fünften Lebensjahr genommen worden.
Zwischen Dezember 2021 und Januar 2022 hätten die Behörden außerdem DNA-Proben in sechs Dörfern in vier verschiedenen Gemeinden gesammelt.
Bereits im Mai 2019 seien zudem Fingerabdrücke und DNA-Proben von allen Bewohnern der Stadt Chamdo gespeichert worden. Die Polizei habe diese Daten ein Jahr lang gesammelt und sei angewiesen worden, “kein Dorf oder Kloster und keinen Haushalt oder eine Person auszulassen”. An anderen Orten habe es ähnliche Anweisungen gegeben.
“Schwere Menschenrechtsverletzung”
Sophie Richardson, China-Direktorin bei Human Rights Watch, kommentierte: “Die chinesische Regierung setzt die Menschen in Tibet bereits systematischer Repression aus. Nun nehmen die Behörden ihnen sprichwörtlich das Blut ohne Einwilligung, um ihren Überwachungsapparat zu festigen.”
Human Rights Watch kritisiert, hochsensible DNA-Informationen könnten missbraucht werden – insbesondere, wenn sie ohne Zustimmung gesammelt und weitergegeben werden. Die Erhebung von Gendaten durch Regierungen sei zwar in einigen Fällen ein zulässiges Instrument für polizeiliche Ermittlungen. Allerdings müsse der Eingriff in das Recht auf Privatsphäre in seinem Umfang begrenzt und verhältnismäßig sein, um ein legitimes Sicherheitsziel zu erreichen.
Die chinesischen Behörden erfassten aber die Daten sämtlicher Personen – auch wenn diese nicht mit strafrechtlichen Ermittlungen in Verbindung stehen.
Die zwangsweise Sammlung und Verwendung durch die Regierung stelle einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Privatsphäre dar. Die Entnahme von DNA-Proben einer ganzen Region oder Bevölkerungsgruppe zur Wahrung der Sicherheit ist laut HRW eine “schwere Menschenrechtsverletzung”, da sie weder notwendig noch verhältnismäßig sei.
Insbesondere in Hinblick auf Kinder sei die Privatsphäre von entscheidender Bedeutung. Denn die Verwendung dieser Daten könne auch im späteren Leben noch negative Folgen für sie haben. Ihre Gendaten ohne ihre freie und informierte Einwilligung oder die ihrer Erziehungsberechtigten stelle eine Verletzung der Privatsphäre von Kindern dar.
China sammelt auch in anderen Regionen DNA
Laut Human Rights Watch hat die Polizei bereits seit Beginn der 2010er Jahre auch in anderen Regionen Chinas DNA gesammelt. So hatte die Organisation im Jahr 2016 berichtet, die chinesische Polizei sammle DNA von Einzelpersonen für eine landesweite Datenbank. Menschen würden zur Abgabe von Proben gezwungen, auch wenn sie keiner Straftat verdächtigt würden. Betroffen war demnach vor allem die Xinjiang-Region, dort wurde bei Passanträgen die Probenabgabe verlangt. In Xinjiang lebt die ethnische Minderheit der Uiguren, die von der Regierung unterdrückt wird.
Ein Jahr später hatte die Menschenrechtsorganisation berichtet, in der Region würden heimlich DNA-Proben, Fingerabdrücke und Iris-Scans von allen Personen im Alter zwischen 12 und 65 Jahren erfasst. Dies geschehe im Rahmen einer kostenlosen, jährlichen medizinischen Untersuchung.
Laut einer im Juni veröffentlichten Recherche der New York Times, existieren inzwischen in mindestens 25 der 31 Provinzen in Festlandchina DNA-Datenbanken. Es handle sich um einen Teil einer weitreichenden Überwachung der Bevölkerung, die auch auf Gesichtserkennung, Stimmproben und Iris-Scans basiere. (js)