DUH klagt gegen Klima-Sofortprogramm des Verkehrsministers

Wissing Protest
Die Bundesregierung plant einen Nachfolger des 9-Euro-Tickets, doch wird dieses voraussichtlich deutlich teurer werden. (Quelle: IMAGO / Mike Schmidt)

Die Umweltschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat gegen das Klimaschutz-Sofortprogramm des Verkehrsministeriums Klage eingereicht. Das Maßnahmenpaket führe nicht zu genügend CO2-Einsparungen, um die Vorgaben des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) zu erfüllen. Somit sei das Programm rechtswidrig und müsse überarbeitet werden.

Am Montag reichte die DUH Klage gegen die Bundesregierung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein. “Sowohl die DUH als auch der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung kommen zu dem klaren Ergebnis, dass das von FDP-Verkehrsminister Wissing am 13. Juli vorgestellte ‘Sofort-Programm’ elementar gegen das KSG verstößt”, teilte die Organisation in einer Stellungnahme mit.

Die gesetzlich festgelegten Vorgaben für CO2-Einsparungen würden laut DUH um den Faktor 20 verfehlt: Es müssten demnach bis zum Ende des Jahrzehnts 271 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Mit dem Programm lägen die Einsparungen aber bestenfalls bei 13 Millionen Tonnen CO2 – was die Bundesregierung selbst und Gutachter bestätigen. Dem KSG nach müssten die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 auf 85 Millionen CO2-Äquivalente fallen.

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sagte: “Der FDP-Bundesverkehrsminister bricht das Gesetz und SPD und Grüne lassen ihn gewähren. Deshalb ziehen wir nun vor Gericht und müssen einmal mehr ausgerechnet die Bundesregierung zwingen, ihre eigenen Gesetze zu beachten.”

In ihrer Stellungnahme zur Klage beschreibt die DUH sieben alternative Maßnahmen, um die Klimaziele im Verkehrssektor noch zu erreichen. Unter anderem sollen klimaschädliche Subventionen abgebaut und ein preiswertes Jahresticket für die öffentlichen Verkehrsmittel eingeführt werden.

Expertenrat sieht massive Lücken

Im Jahr 2021 stieß der Verkehrssektor in Deutschland rund 148 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus, die Emissionsziele wurden um etwa 3 Millionen Tonnen CO2 überschritten. Daraufhin legte das FDP-geführte Bundesministerium für Digitales und Verkehr das nun beklagte Sofortprogramm vor – so wie es gesetzlich verpflichtet ist.

Zu den vom Ministerium vorgelegten sechs Maßnahmen zählen unter anderem der Aufbau einer Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge, der Ausbau von Radwegen und des öffentlichen Personennahverkehrs.

Schon vor der Präsentation des finalen Pakets hagelte es Kritik aus Expertenkreisen, Umweltorganisationen und Medien: Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen teilte Ende August in seinem Prüfbericht mit, es blieben weiterhin große Lücken bei den Treibhausgaseinsparungen. Die vorgelegten Maßnahmen erfüllten nicht die Anforderungen des KSG. Weiter schrieben die Experten: “Der Expertenrat weist ausdrücklich darauf hin, dass die vom BMDV [Verkehrsministerium] vorgelegten Maßnahmen bis zum nächsten im KSG definierten Zieljahr (in diesem Fall 2030) eine erhebliche Überschreitung der Jahresemissionsmengen nicht verhindern würden.”

Mit den von Wissing vorgelegten zusätzlichen Maßnahmen würde der Verkehrssektor dem Gremium zufolge bis zum Jahr 2030 noch immer 261 Millionen Tonnen CO2 zu viel ausstoßen – gut dreimal so viel, wie der Verkehr dann pro Jahr insgesamt ausstoßen darf. Der Rat verzichtete deswegen auf eine tiefergehende Prüfung der Einzelmaßnahmen und empfahl stattdessen, weitere Maßnahmen zu beschließen. Auf den Prüfbericht des Expertenrates stützt sich auch die DUH-Klage.

Auch Greenpeace Deutschland wies darauf hin, dass das Sofortprogramm “bei weitem” nicht ausreiche, um die gesetzlich festgeschriebenen CO2-Ziele im Verkehr zu erreichen. “Mit seinem Schmalspur-Programm schafft der Verkehrsminister im besten Falle 5 Prozent der nötigen CO2-Einsparungen”, meint die Organisation.

Die Umwelt-Aktivisten schlagen eine Neuzulassungssteuer auf klimaschädliche Neuwagen vor, um den Klimaschutz schnell voranzubringen. Dies würde den CO2-Ausstoß der Autoflotte in Deutschland innerhalb weniger Jahre deutlich senken. “Eine Neuzulassungssteuer kann zudem den Umstieg auf Elektromobilität sozial gerechter finanzieren als die derzeitige Kaufprämie”, so Greenpeace.

Sieben Vorschläge von DUH

Auch die DUH fordert in der Stellungnahme eine Neuzulassungssteuer, deren Höhe sich am CO2-Ausstoß des Fahrzeuges orientieren soll. Durch ein Bonus-Malus-System beim Pkw-Kauf könnten der Organisation zufolge 2,8 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.

Würde die Bundesregierung klimaschädliche Subventionen abschaffen, prognostiziert die DUH bis zu 9,6 Millionen Tonnen CO2 weniger pro Jahr. Das Dieselprivileg müsse reformiert werden und privat genutzte Dienstwagen nicht mehr pauschal mit 0,5 beziehungsweise 1 Prozent besteuert werden. Die Entfernungspauschale sollte ebenfalls abgeschafft werden.

Ein bundesweit gültiges 365-Euro-Klimaticket könne in Kombination mit einem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Schiene 7,2 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Der Neu- und Ausbau des Straßennetzes müsse hingegen beendet werden, was bis 2030 insgesamt 20,9 Millionen Tonnen CO2 einsparen würde.

Eine “fahrleistungsabhängige” Pkw-Maut ergäbe laut DUH bis 2030 ein Einsparpotenzial von 25,6 Millionen Tonnen CO2. Tempolimits von 100, 80 beziehungsweise 30 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen, Landstraßen und in Städten brächten 9,2 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Zuletzt sollten noch Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so angepasst werden, “dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung gleichrangig berücksichtigt werden” – das Einsparpotenzial in Städten durch Anpassung der Verkehrsgesetze betrage im Jahr 2030 bis zu 4,9 Millionen Tonnen CO2.

Klimaneutrales Deutschland ab 2045

Die Regierung hatte die Novelle des KSG im August 2021 verabschiedet. Es schreibt vor, dass Deutschland bis zum Jahr 2045 treibhausgasneutral wird. Bis 2030 sollen die Emissionen bereits um 65 Prozent gegenüber 1990 gesunken sein. Zudem legt das Gesetz Emissionsziele für die einzelnen Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft fest. Durch Zwischenziele muss der Ausstoß jedes Jahr kontinuierlich sinken.

Ab 2022 soll der Expertenrat für Klimafragen alle zwei Jahre ein Gutachten über die bisher erreichten Ziele, Maßnahmen und Trends vorlegen. Für den Verkehrssektor bedeuten die Vorgaben laut Umweltbundesamt, dass die Emissionen bis 2045 auf Null sinken müssen. Der weitere Plan sieht vor, dass Deutschland im Jahr 2050 sektorübergreifend mehr Treibhausgase in natürlichen Senken bindet, als es ausstößt.

Auch der Gebäudesektor hatte die Klimaziele im Jahr 2019 gerissen. Der Bundeswirtschaftsminister legte daraufhin ebenfalls ein Sofortprogramm vor.

Keine zeitnahe Entscheidung erwartet

Mit einer schnellen gerichtlichen Entscheidung ist voraussichtlich nicht zu rechnen, berichtete die taz am Montag. Beim zuständigen Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wurden seit 2020 bereits drei weitere Klagen der DUH gegen die mangelhafte Umsetzung des Klimaschutzgesetzes eingereicht und es wurde noch zu keiner Klage entschieden.

Das Gericht sei erst durch Corona-Klagen überlastet gewesen. Nun fehle aufgrund eines justizinternen Rechtsstreits ein Vorsitzender beim zuständigen Senat des Oberverwaltungsgerichts. Dabei müssten Klimaschutzmaßnahmen dringender denn je beschlossen werden. (hcz)