CO2-Zertifikate der UN teils unwirksam

Raffinerie
Auch Zertifikaten der Vereinten Nationen ist offensichtlich nicht zu trauen. (Quelle: IMAGO / Future Image)

Die Vereinten Nationen vermitteln offenbar zu großen Teilen unwirksame CO₂-Zertifikate. Das hat eine gemeinsame Recherche der WirtschaftsWoche und des Online-Magazins Flip ergeben.

Die UN-Zertifikate können sowohl Unternehmen als auch Verbraucherinnen und Verbraucher in Onlineshops erwerben, berichtet die WirtschaftsWoche. Auffällig sei der niedrige Preis: So kostete der Ausgleich einer Tonne CO2 bei einem untersuchten Staudammprojekt nur um die zwei US-Dollar. Da der Markt aber Preisschwankungen unterliege, seien zeitweise auch nur wenige Cent zu entrichten gewesen, so der Autor gegenüber Posteo.

Bis zu 85 Prozent der angebotenen UN-Zertifikate sollen wertlos sein und keinen positiven Einfluss auf das Klima haben, erklärte der von den Redakteuren befragte Klimaforscher Martin Cames vom Öko-Institut. Bei vielen der zertifizierten UN-Projekte bestünde das Problem, dass die Projekte ohnehin realisiert worden wären – auch ohne die Finanzierung durch Zertifikate – oder es wurden mehr Zertifikate ausgegeben als erlaubt.

Die Einnahmen aus dem Zertifikatverkauf dienten also als zusätzliche Einnahmequelle. Dabei ist die Idee hinter den Zertifikaten eigentlich die, dass die Einnahmen Projekte finanzieren, die sonst nicht bestehen würden.

Carsten Warnecke vom New Climate Institute erklärte den Journalisten, Firmen könnten sich in dem untersuchten Onlineshop mit wirkungslosen Zertifikaten billig klimaneutral kaufen. “Damit wird die Öffentlichkeit dann getäuscht.”

Staudamm querfinanziert

Als Beispiel für unwirksame Zertifikate untersuchten die Redakteure ein Staudammprojekt in Brasilien. Zertifikate aus diesem Projekt konnten in dem Onlineshop gekauft werden.

Mitarbeiter vor Ort, die das Wasserkraftwerk betreiben, hätten gegenüber den Reportern bestätigt, dass der Staudamm auch ohne die Einnahmen aus den Zertifikaten gebaut worden wäre. Das Projekt sei sogar nachweislich schon geplant gewesen, bevor das UN-Programm im Rahmen des Kyoto-Protokolls überhaupt in Kraft trat.

Dem Bericht zufolge fallen die Preise der UN-Zertifikate deswegen so niedrig aus, weil Abnehmer fehlen. Bis zum Jahr 2013 hätte die Europäische Union 90 Prozent abgenommen. Doch aufgrund zu vieler Schlupflöcher in dem Regelwerk habe die EU sich dann aus dem Handel zurückgezogen.

Die Preise seien in der Folge massiv gefallen und bewegen sich weiterhin auf dem niedrigen Niveau. Um neue Abnehmer zu finden, seien 2015 Online-Shops wie der nun Untersuchte eröffnet worden.

Kein Einzelfall

Kritik an dem scheinbar einfachen Ausgleich von CO2-Emissionen mithilfe von Zertifikatskäufen wurde in der Vergangenheit regelmäßig geübt. Unternehmen nutzen sie, um ihre Produkte als “klimaneutral” gegenüber Verbrauchern oder Investoren ausgeben zu können. Und Verbraucher nutzen Zertifikate, um CO2-Emissionen zu kompensieren, etwa bei Flugreisen. Doch Wissenschaft und Medien mahnen zunehmend, dass das System nicht funktioniert und die Rechnungen nicht aufgehen. Projekten fehle es außerdem an Transparenz und unabhängiger Kontrolle.

Erst Ende Januar hatten gemeinsame Recherchen der Wochenzeitung Die Zeit, der Tageszeitung The Guardian und der Rechercheplattform SourceMaterial ergeben, dass über 90 Prozent der CO2-Zertifikate des weltweit führenden Zertifizierers Verra offensichtlich wertlos sind. So sollen 89 Millionen Tonnen an angeblich kompensiertem CO2 aus Waldschutzprojekten berechnet, aber nie wirklich eingespart worden sein. Zu den Käufern der Zertifikate gehören Unternehmen wie VW, Shell, Disney und Apple. Eine Vielzahl der Unternehmen hatte auf den Bericht hin erklärt, Konsequenzen zu prüfen oder gar die Eigenbezeichnung als “klimaneutral” zurückgezogen zu haben.

Im aktuellen Fall haben die Vereinten Nationen auf Anfragen der Redakteure bezüglich der Zertifikate nicht reagiert. (hcz)