Dänemark spionierte für die NSA europäische Spitzenpolitiker aus
Es geht um die Frage, ob Dänemark dem US-Geheimdienst NSA beim Abhören deutscher, schwedischer, norwegischer und französischer Spitzenpolitikerinnen und -politiker wie Angela Merkel geholfen hat: Berlin und Paris verlangen nun von der Regierung in Kopenhagen eine umfassende Aufklärung der aktuellen Berichte über Geheimoperationen.
Ein Rechercheverbund um den dänischen Rundfunksender DR sowie NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hatte ab Sonntagabend unter Berufung auf anonyme Quellen berichtet, die NSA habe mit Hilfe Dänemarks europäische Spitzenpolitiker wie Merkel gezielt belauscht. Zugrunde liegt den Angaben eine interne Analyse des dänischen Militärnachrichtendienstes Forsvarets Efterretningstjeneste (FE) über die Tätigkeiten in den Jahren 2012 und 2014.
Der FE hatte der NSA Zugang zu Daten aus Unterseekabeln verschafft, die vor der dänischen Küste verlaufen. Unter den Belauschten waren demnach neben der Bundeskanzlerin auch der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der damalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sowie Spitzenpolitiker aus Schweden, Norwegen und Frankreich.
“Ich möchte sagen, dass das zwischen Bündnispartnern inakzeptabel ist. Das ist ganz klar”, betonte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Montag nach Beratungen des deutsch-französischen Ministerrats. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, sie könne sich dem “nur anschließen”. Steinbrück sprach laut der Zeitung taz von einem “Skandal”. Er habe die Bundeskanzlerin 2013 aufgefordert, gegenüber den USA das sofortige Ende der Totalüberwachung zu fordern.
Auch Politiker aus Schweden und Norwegen äußerten ihren Ärger über das Vorgehen der Verbündeten. Audun Lysbakken, Vorsitzender der norwegischen Linkssozialisten, bewertete das Verhalten der NATO-Partnerländer Dänemark und USA als “ernsthaften Vertrauensbruch”.
Zuvor hatte sich die dänische Regierung von dieser Abhörpraxis distanziert. Dänemarks Verteidigungsministerin Trine Bramsen teilte mit, die jetzige Regierung sei derselben Ansicht, wie sie der frühere Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen bereits 2013 und 2014 geäußert habe. “Systematisches Abhören enger Verbündeter ist inakzeptabel.”
Kanzlerin beruhigt
Macron betonte, man erwarte “vollständige Offenheit und Klärung des Sachverhalts von unseren dänischen und amerikanischen Partnern”. Merkel sagte, an der Haltung der Bundesregierung zu den NSA-Vorgängen habe sich nichts geändert. “Das, was damals richtig war, gilt auch heute.” Damit spielte die Kanzlerin offensichtlich auf ihre Aussage beim Bekanntwerden der NSA-Affäre vor einigen Jahren an. Damals hatte sie gesagt: “Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.” Die Kanzlerin betonte jetzt, es habe sie “beruhigt”, dass auch die dänische Regierung sehr klar gesagt habe, was sie von diesen Dingen halte.
Die dänische Verteidigungsministerin Bramsen teilte mit, zu Spekulationen über mögliche geheimdienstliche Angelegenheiten äußere man sich nicht. Der dänische Militärnachrichtendienst wollte die Berichte auf Anfrage ebenfalls nicht kommentieren.
Regierungssprecher Seibert sagte in Berlin, die Bundesregierung habe die Berichterstattung zur Kenntnis genommen. “Sie steht zur Aufklärung mit allen relevanten nationalen wie internationalen Stellen im Kontakt.” Die Kanzlerin habe erst durch die Anfrage der recherchierenden Journalisten von dem Thema erfahren.
Operation Rohrkolben
Neun Quellen haben dem DR unabhängig voneinander bestätigt, dass das Abhören mithilfe des dänischen Militärnachrichtendienstes FE stattgefunden habe. Die NSA griff die Telefone der Betroffenen offenbar über ein vom FE betriebenes Spähprogramm an.
Innerhalb des FE wurde eine Untersuchung namens “Operation Dunhammer” (Operation Rohrkolben) zur US-Spionage an in Dänemark endenden Unterseekabeln durchgeführt. Eine Arbeitsgruppe sei 2015 in einem geheimen Bericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die NSA durch die dänisch-amerikanische Zusammenarbeit zielgerichtet Daten norwegischer, schwedischer, deutscher und französischer Politiker gesammelt habe. Nach Recherchen von Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR haben die Dänen ihre deutschen Partner nicht über die Ergebnisse informiert.
Snowden kommentiert
Der Whistleblower Edward Snowden hatte 2013 die massenhafte und weltweite Ausspähung durch die NSA aufgedeckt. Er reagierte am Sonntag mit einem sarkastischen Tweet auf die Enthüllungen: “Wenn es doch nur schon vor Jahren einen Grund gegeben hätte, nachzuforschen. Oh, warum hat uns niemand gewarnt.”
Er spielt mit der Nachricht darauf an, dass eine Zusammenarbeit zwischen NSA und dänischen FE bereits aus den 2013 geleakten Dokumenten ersichtlich war. Aus den von Snowden veröffentlichten Informationen ging hervor, dass Dänemark zu den 33 Ländern gehörte, die der NSA unter dem Codenamen RAMPART-A halfen, elektronische Kommunikation weltweit abzuhören. (dpa / hcz)