Deutsche Aidshilfe warnt vor Diskriminierung durch elektronische Patientenakte

Ein Stetoskop
Bei der ePA ist in Zukunft ein sogenanntes Opt-Out vorgesehen: Wer sie nicht nutzen möchte, muss widersprechen. (Quelle: Pixabay)

Die Deutsche Aidshilfe fordert dringend technische Nachbesserungen an der elektronischen Patientenakte (ePA). Diese wird ab dem 15. Januar 2025 für alle gesetzlich Versicherten eingeführt – es sei denn, sie widersprechen. Damit drohe Diskriminierung, warnt der Verein.

In einer neu veröffentlichten Handreichung zum Umgang mit der ePA gibt die Deutsche Aidshilfe (DAH) beispielsweise Hinweise, wie sich Versicherte vor Diskriminierung im Gesundheitswesen schützen können.

DAH-Vorstand Stefan Miller sagte: “Die ePA bietet große Chancen für eine bessere Versorgung. Leider wurde im Gesetz wie im Entwicklungsprozess versäumt, Vorkehrungen für einen einfachen und selbstbestimmten Umgang damit zu treffen.”

Die Organisation warnt, mit der ePA drohe insbesondere Menschen mit stigmatisierten Erkrankungen wie HIV eine Benachteiligung im Gesundheitswesen. Auch Menschen mit psychischen oder Abhängigkeitserkrankungen müssten Nachteile fürchten. Patientinnen und Patienten könnten zudem wegen ihrer sexuellen Orientierung Diskriminierung ausgesetzt werden.

Komplizierte Einstellungen

Denn würden Patienten nicht selbst aktiv, sind ab dem kommenden Jahr viele ihrer Daten allen medizinischen Einrichtungen zugänglich – vom Hausarzt über die Notfallambulanz bis zur Apotheke. Prinzipiell werden Daten in der ePA lebenslang gespeichert. Bestimmte Informationen ganz aus der Akte herauszuhalten oder nur bestimmten medizinischen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, sei zwar möglich, aber kompliziert, kritisiert die DAH.

So lassen sich Dokumente in der ePA zwar verbergen, erklärt die Organisation. Allerdings seien sie dann für alle unsichtbar. Es sei also “nicht ohne Weiteres möglich, ein Dokument in der ePA nur für Ärztin A freizugeben, nicht aber für Zahnarzt B”.

Alle Dokumente würden automatisiert in Ordner einsortiert und es gebe die Möglichkeit einer ordnerbasierten Sichtbarkeitssteuerung. Die DAH bemängelt aber, die Kategorien seien so allgemein gefasst, dass sie nur begrenzt helfen würden. Sperrten Patienten beispielsweise die Kategorie “Befunde” für Zahnärzte, erhielten diese Ärzte auch keine zahnärztlichen Befunde mehr. Eine genauere ordnerbasierte Steuerung der Sichtbarkeit aus der Vorversion der ePA sei aufgegeben worden.

Dabei gebe es viele Gründe, um die Sichtbarkeit von Inhalten der ePA einschränken zu wollen, erklärt die Organisation. So könnten bestimmte Diagnosen und Informationen innerhalb des Gesundheitswesens zu Diskriminierung führen. Zudem könnten bestimmte Diagnosen schambehaftet sein. Auch die eigene Geschlechtsidentität und Sexualität sei eine sensible Information, die viele Menschen nur mit ausgewählten Personen teilen möchten.

Ganz oder gar nicht

Einige Teile der ePA wie die Medikationsübersicht ließen sich nur komplett sperren, es könnten aber keine einzelnen Einträge verborgen werden. Aus der Liste ließen sich aber Rückschlüsse auf bestimmte Diagnosen schließen, wie eine HIV-Infektion. Studien zufolge würden Menschen mit HIV im Gesundheitswesen am häufigsten Diskriminierungserfahrungen machen.

Die DAH kritisiert außerdem, dass ein Zugriff von Betriebsärzten auf die ePA vorgesehen ist. Diese hätten “nicht das Recht, Gesundheitsinformationen zu erhalten, die über die gesundheitliche Eignung, eine Tätigkeit auszuüben, hinausgehen”. Die Organisation weist daher darauf hin, dass Betriebsärzte nur Zugriff erhalten, wenn Patienten dem zustimmen – dazu sei aber niemand verpflichtet.

Bemängelt wird darüber hinaus, dass Krankenkassen personenbezogene Gesundheitsdaten auswerten können, um frühzeitig Gesundheitsrisiken zu erkennen. Grundlage dafür sind die Abrechungsdaten der Ärzte. Die Krankenkasse erhält keine Einsicht auf die weiteren Inhalte der ePA. Die Krankenkassen müssen Patienten darüber informieren – und die können widersprechen. Die DAH bezweifelt unter anderem, dass sich anhand der Daten tatsächlich Gesundheitsrisiken auslesen lassen – und befürchten, dass die Kassen Druck auf Patienten ausüben könnten.

Ferner kritisiert die Organisation auch die Datenweitergabe zu Forschungszwecken. Vorgesehen ist, dass bestimmte Daten aus der ePA automatisch in pseudonymisierter Form an das Forschungsdatenzentrum Gesundheit weitergeleitet werden. Dieses gibt die Daten an Forschende weiter – auch Pharma-Unternehmen können Zugriff erhalten. Patienten können der Nutzung ihrer Daten zu Forschungszwecken laut DAH widersprechen. Es sei aber nicht möglich, beispielsweise abhängig von der Studie zu entscheiden.

Das Zentrum habe bisher kein Sicherheitskonzept, kritisiert die Organisation. Dabei sei insbesondere bei Gesundheitsdaten eine Re-Identifikation von Personen relativ einfach.

Gesundheitsdaten sind besonders sensibel. IT-Sicherheit und Datenschutz sind daher besonders wichtig. Kritik an der ePA gibt es aber beispielsweise, weil eine zentrale Datenspeicherung der Gesundheitsdaten von Millionen gesetzlich Versicherter ein attraktives Angriffsziel ist. Für solche Vorfälle gibt es inzwischen viele Beispiele: In Finnland waren im Jahr 2020 etwa zehntausende Psychotherapie-Patienten von einem Datenleck betroffen. Und in Frankreich waren Anfang des Jahres rund 33 Millionen Versicherte von einem Datenleck betroffen.

DAH-Vorstand Miller sagte, das Wohl von Patientinnen und Patienten müsse bei der Ausgestaltung der ePA im Vordergrund stehen. Das Recht, sensible Informationen für sich zu behalten, dürfe nicht aufgeweicht werden. “Wer dieses Recht ernst nimmt, muss zudem eine leicht durchschaubare und handhabbare Software zur Verfügung stellen.” Die Gestaltung einer entsprechenden Nutzeroberfläche sei eine wichtige Aufgabe für die Zukunft – Patienten sollten dort etwa einstellen können, dass bestimmte Informationen nur bestimmten Ärzten zugänglich sind.

Widerspruch bei den Krankenkassen

Wer nicht möchte, dass eine persönliche ePA angelegt wird, kann dem schon jetzt widersprechen (sogenannter Opt-Out). Dafür reicht prinzipiell eine formlose Mitteilung an die Krankenkasse.

Die AOK beispielsweise gibt an, Versicherte würden voraussichtlich im Sommer 2024 ein Informationsschreiben erhalten – dann gebe es zusätzlich ein Online-Formular für den Widerspruch. Die TK will bis Ende Oktober 2024 alle dort Versicherten über die Widerspruchsmöglichkeiten informieren. Über den Online-Zugang für Versicherte soll der Widerspruch bereits eingelegt werden können. (js)