EU-Abgeordnete stimmen für kurzfristige Löschfristen von Terror-Inhalten
Online-Plattformen wie Facebook, Twitter und YouTube müssen “terroristische Inhalte” in der EU nach Aufforderung von Behörden künftig innerhalb einer Stunde entfernen. Der zuständige Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres stimmte am Montag mehrheitlich für die Verordnung gegen “die Verbreitung terroristischer Online-Inhalte” (“TERREG-Verordnung”). Bevor die Verordnung in Kraft treten kann, müssen der EU-Rat und das Parlament sie noch in zweiter Lesung verabschieden.
Wie das EU-Parlament mitteilte, bezieht sich die neue Verordnung auf Texte, Bilder, Tonaufnahmen und Videos inklusive Live-Streams, die zu terroristischen Straftaten anstiften. Auch Anleitungen für solche Straftaten und Aufforderungen, sich terroristischen Vereinigungen anzuschließen, fallen darunter. Gelöscht werden müssen außerdem Anleitungen zum Bau von Bomben und Waffen.
Ausnahmen sind für Inhalte vorgesehen, die zu pädagogischen, journalistischen, künstlerischen oder zu Forschungszwecken verbreitet werden. Auch Inhalte zur Bekämpfung von Terrorismus müssen nicht entfernt werden. Laut EU sind außerdem polemische Äußerungen im Rahmen einer öffentlichen Debatte ausgenommen.
Die Verordnung reguliert sämtliche Plattformen, die ihre Dienste in der EU anbieten. Erhalten diese eine Löschanordnung der zuständigen Behörden (“competent authorities”) sind sie künftig dazu verpflichtet, die Inhalte “so schnell als möglich”, mindestens aber innerhalb einer Stunde zu löschen oder sperren. Ein Richtervorbehalt ist für die Löschanweisung nicht vorgesehen. Kleine und nicht-kommerzielle Plattformen sind von der 1-Stunden-Frist ausgenommen.
Die Mitgliedsstaaten sollen jeweils selbst bestimmen, welche und wie viele Behörden zuständig sind: So können sie die Aufgabe beispielsweise Strafverfolgungsbehörden übertragen. Kommen die Plattformen einer Anordnung nicht nach, drohen Verwarnungen oder Geldstrafen. Bei systematischen Verstößen sind bis zu 4 Prozent des Umsatzes eines Unternehmens vorgesehen.
Grenzübergreifende Löschaufforderungen
Die berechtigten Behörden können Löschanordnungen auch an Anbieter versenden, deren Hauptniederlassung sich in einem anderen EU-Staat befindet. Innerhalb von 48 Stunden nach Erhalt der Anordnung haben Plattformen die Möglichkeit, eine Prüfung bei der zuständigen Behörde ihres Landes zu beantragen. Diese sollen die Aufforderung blockieren, wenn sie der Ansicht sind, dass sie gegen die Verordnung oder die EU-Grundrechte verstößt. Auch können die Anordnungen gerichtlich angefochten werden.
Die EU verpflichtet Internetplattformen im Rahmen der Verordnung nicht dazu, Inhalte automatisiert zu überwachen oder zu filtern. Die zuvor geforderten Upload-Filter werden also nicht verpflichtend: Sie gelten als fehleranfällig, sodass beispielsweise journalistische Inhalte automatisiert von der Veröffentlichung ausgenommen werden könnten.
Sowohl die Behörden als auch die Plattformbetreiber müssen in jährlichen Transparenzberichten über die im Rahmen der Verordnung erteilten Anordnungen und die getroffenen Maßnahmen informieren.
Kritiker befürchten Zensur
Die Verordnung wurde bereits während ihrer Entstehung vielfach kritisiert, etwa wegen geplanter Upload-Filter. Während diese nun nicht verpflichtend werden, gibt es weiterhin Bedenken, dass Länder wie Ungarn, die wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit in der Kritik stehen, die Verordnung ausnutzen: Sie könnten versuchen, regierungskritische Inhalte als “Terrorpropaganda” sperren zu lassen. Denn die Terrorismus-Definition ist zwar in der “EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung” aus dem Jahr 2017 festgelegt, wird von Kritikern aber als zu weit gefasst angesehen. Der damalige innenpolitische Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion, Philipp Albrecht, hatte die Terror-Definition als unverhältnismäßig kritisiert und gewarnt, sie könne “von den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten genutzt werden, um politische Aktionen von Umwelt- oder Bürgerrechtsaktivisten zu kriminalisieren”.
Der EU-Abgeordnete Patrik Breyer von der Piratenpartei erklärte, mit seiner Fraktion Grüne/EFA gegen die Verordnung gestimmt zu haben: “Trotz wichtiger Teilerfolge […] bedrohen die ultraschnellen grenzüberschreitenden Löschanordnungen ohne Richtervorbehalt die Meinungs- und Pressefreiheit im Netz.” Grenzüberschreitende Löschanordnungen öffneten “politisch motivierter Internetzensur Tür und Tor.”
Breyer zufolge ist die EU-Verordnung vergleichbar mit dem französischen AVIA-Gesetz: Das französische Verfassungsgericht hatte im Juni 2020 entschieden, dass dieses gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstößt. Breyer beurteilt die EU-Verordnung ähnlich: “Entsprechend dem Gerichtsurteil zum verfassungswidrigen französischen AVIA-Gesetz dürfte auch diese beispiellose EU-Anti-Terror-Internetverordnung das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung unverhältnismäßig weit einschränken und vor Gericht keinen Bestand haben. Nichts ist wirkungsloser gegen Terrorismus als ein aufgehobenes Gesetz.”
Die französische Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net hält die kurzen Löschfristen für unrealistisch – nur große Firmen könnten diesen nachkommen. Die Organisation befürchtet daher, dass Anbieter zunehmend automatisierte Werkzeuge einsetzen könnten, um Inhalte schon beim Hochladen herauszufiltern. Wenn Strafverfolgungsbehörden über Löschungen entscheiden, könne dies zudem zur Zensur politischer Gegner oder sozialer Bewegungen führen. (js)